Wo die Kirche nicht im Dorf bleiben kann

Von Maria Riederer · 10.05.2013
Noch besingen die Mitglieder des Kirchenchor von Sankt Albanus und Leonhardus allwöchentlich die Gemeinde von Kerpen-Manheim. Doch das Dörfchen muss dem Braunkohle-Tagebau weichen. Die Zukunft des Chores ist ungewiss.
"Zu allen kirchlichen Festen singen wir. Wir singen zu Goldhochzeiten, Hochzeiten, wenn jetzt eines unserer Mitglieder oder inaktives Mitglied Geburtstag hat, nen runden, jetzt zum Beispiel gehen wir auch und singen auch, wir haben auch schon auf andern Festen gesungen, halt wie's kommt."

"Unser ältestes Mitglied ist heute leider nicht hier, der ist jetzt schon 67 Jahre aktives Mitglied. Und wir haben 25 aktive Sängerinnen und Sänger und eine exzellente Chorleiterin und Organistin, das ist die Frau Vavilkina, sie ist ein russisches Gewächs, ein Import, aber sehr gut und sie ist seit einem Jahr ist sie Chorleiterin, und wir sind sehr zufrieden und kommen auch gut klar."

Paul Inden, Bassist und Chorvorsitzender, ist mit Recht stolz. Wer den Sängerinnen und Sängern des Kirchenchors in Kerpen-Manheim lauscht, hat nicht den Eindruck, dass damit bald Schluss sein könnte. Die Stimmen sind klar, der Klang kräftig, es ist ein guter Chor, der den Kirchenraum an diesem Abend mit den Psalmenliedern von Heinrich Schütz füllt.

Bis zum Jahr 2016 soll das Dorf in Nordrheinwestfalen leer sein. Einige Manheimer sind schon in die umliegenden Orte gezogen, die erste Familie baut nun ihr Haus auf dem noch leeren Standort Manheim-Neu. Keiner will der Letzte sein und am Ende allein in Kerpen-Manheim sitzen. Aber viele zögern doch, ihre Heimat früher als nötig zu verlassen. Dann werden die Abrissbirnen kommen, werden alle Häuser - und auch die Kirche - dem Erdboden gleich machen. Bassist Rüdiger Krüger ist im Bürgerbeirat. Er kennt die Nöte der Bewohner.

"Es gibt Gewinner und Verlierer, die alten Leute sind mit Sicherheit die Verlierer, viele von denen haben ein Haus, was sie sich eingerichtet haben, viele von ihnen werden nicht in der Lage sein, finanziell ein neues Haus bauen zu können, es wird so sein, dass viele in betreutes Wohnen, in Eigentumswohnungen oder irgendwo zur Miete ziehen müssen, also die alten Leute sind die Verlierer. Ich bin hier geboren und hatte eigentlich auch vor, hier zu sterben, aber sehr wahrscheinlich wird das nicht klappen."

Da auch der Chor zu einem großen Teil aus älteren Sängern besteht, bangen Paul Inden und seine Mitsänger um die Zukunft des Chores.

"Die jungen Leute gehen ja fast alle nicht mehr zur Kirche, und schon gar nicht Kirchenmusik machen, Jugend singt Englisch und auf die moderne, flotte Weise und wir singen natürlich jetzt Messen, Latein, und auch deutsche Messen, und wir müssen dann eben morgens in die Messe gehen oder nachmittags oder Abends und dann ist ... die Jugend will nicht mehr sich binden im Grunde genommen, nicht?"

Aber nicht nur der Umzug und die Nachwuchsprobleme machen dem Chor zu schaffen. Sie werden auch ihren Raum verlieren - die Kirche, in der sie jahrzehntelang gesungen haben, kann weder im Dorf bleiben noch mit umziehen. Marita Zapp bedauert das sehr:
"Wir haben das Problem, dass wir in Manheim-Neu keine Kirche mehr haben in dem Sinne, wir haben praktisch einen Gebetsraum. Wenn wir 27 Mitglieder sind und 40 Leute haben Platz, wie soll man da singen - wir haben dann mehr Leute vom Chor in der Kirche als Gläubige. Da gibt es keine Orgel, wie das jetzt hier ist, und das ist das Problem, dass wir dann auch eigentlich praktisch gar nicht mehr singen können."

Ein bisschen Heimat - so Kirchenvorstandsmitglied Alfred Beier- soll aber in den neuen Gebetsraum überführt werden.

"Wir werden uns bemühen, möglichst viele Einrichtungsgegenstände, von hier mit zu übernehmen, dass sich vor allen Dingen auch die älteren Leute in Manheim-Neu wieder in der Kirchengemeinde wohlfühlen können."

Wie viele Gemeinden in Deutschland gehört auch die Kirche Sankt Albanus und Leonhardus zu einem Pfarrverband. Wenn die Kirche aufgelöst und die Bewohner von Kerpen-Manheim umgesiedelt werden, soll die Gemeinde einer anderen, schon bestehenden Pfarrei angegliedert werden.

"Unsere Hauptkirche ist dann Sankt Martinus. Die ganzen Orte drumrum haben alle ihre eigenen Kirchenchöre, und dann ist das immer schwierig, es sei denn wir würden uns bei denen integrieren und anschließen, aber dadurch, dass wir alle in einem gewissen Alter sind und die Älteren wollen auch nicht mehr über die Dörfer ziehen zum Proben, dadurch ist das bisschen eingeschränkt."

Der Gedanke an den Abschied von der alten Kirche fällt den Sängern sichtlich schwer. Auch der Sopranistin Annami Meurer.

"Wie das mal sein wird, hier die Kirche so stehen zu lassen, tut richtig weh, das ist wahr, auch die ganze Situation, ich schieb das immer vor mich, ich will mich gar nicht damit belasten. Ich denk, was machste dich jeck damit?"
Die junge Organistin Anna Vavilkina betreut neben diesem Chor noch zwei andere im Pfarrverband. Sie ist keine Frau der großen Worte. Mit äußerster Ruhe, Genauigkeit und viel Humor leitet sie die Sänger und Sängerinnen an. In den Pausen lockert sie die Sänger mit heiterer Orgelmusik auf.

"Ich muss schon sagen, dass ich mit diesem Chor sehr gerne arbeite, dass das für mich wirklich so ein großes Verlust ist, wenn Chor nicht mehr existiert, das wär mir viel zu schade. Es geht nicht nur um Singen, es geht auch um Menschen, die zusammengearbeitet haben, lange Zeit, das merkt man, ist das ein Ganzes."

Die Sänger sind entschlossen, dieses Ganze, die Gemeinschaft so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und zusammen zu singen. Und ein kleines Gebäude wird immerhin - auch als Ganzes - mit umziehen nach Manheim-Neu.

"Das ist das Kapellchen, was Sie vielleicht hinter dem Ort gesehen haben - das das also unterfangen wird und insgesamt rübertransportiert wird, oder - davon wurde auch schon gesprochen - Stein für Stein abgetragen und wieder genauso im Detail aufgebaut wird."

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.
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