Wissenschaftler warnt vor "vier, fünf, sechs Atomkräften" im Nahen Osten

Dan Schueftan im Gespräch mit Marcus Pindur · 31.01.2012
Dan Schueftan, Direktor des National Security Studies Center an der Universität Haifa, hat "keinen Zweifel", dass der Iran eine Atombombe baut - und er befürchtet Veränderungen in der globalen Sicherheitsarchitektur. Dies könne in sehr kurzer Zeit geschehen.
Marcus Pindur: Misstrauen, Angst und Fassungslosigkeit begleiten seit Jahren das iranische Atomprogramm. Die Regierung hat nie ihre internationalen Pflichten unter dem Atomwaffensperrvertrag erfüllt, die internationalen Beobachter der IAEA bekamen nie das ganze Atomprogramm zu Gesicht.

Mittlerweile sind sich viele Experten einig: Der Iran baut an einer Atombombe. Und diese Verdächtigung hegt keineswegs nur der Westen, wie es oft falsch in Medien heißt, diesen Verdacht hegt die Internationale Atomenergiebehörde, die von der UNO beauftragt ist, und diesen Verdacht hegen insbesondere die unmittelbaren Nachbarn des Iran. Das sind eine ganze Reihe arabischer Staaten, aber eben auch Israel.

Heute endet eine Mission von hochrangigen Mitarbeitern der Internationalen Atomenergiebehörde im Iran und wir sind jetzt verbunden mit Dr. Dan Schueftan. Er ist stellvertretender Direktor des National Security Studies Center an der Universität Haifa und Politikberater. Guten Morgen, Herr Schueftan!

Dan Schueftan: Guten Morgen!

Pindur: Rechnen Sie damit, dass diese Mission der IAEA-Mitarbeiter das Misstrauen gegenüber dem Iran verringern kann?

Schueftan: Nein, das ist nicht möglich. Und auch wenn diese Mission jetzt das oder das andere findet: Ich glaube, es gibt überhaupt keinen Zweifel heute in der ganzen Welt und sicherlich nicht in Israel, dass die Iraner eine Atombombe bauen wollen und können.

Die Frage ist: Werden sie sich entscheiden, das jetzt zu tun? Und im Moment kann man versuchen, den Iran zu überzeugen, das nicht zu tun, nur mit einer Bedrohung von einer militärischen Aktion gegen Iran. Und wenn, auch wenn man Sanktionen hat und auch wenn die Sanktionen sehr stark sind, die Frage ist: Kann man auch bedrohen, dass, wenn die Sanktionen nicht effektiv sind, dass man auch den Iran militärisch auch bestraft davon? Das kann vielleicht die Iraner überzeugen, das im Moment nicht zu tun.

Pindur: Bevor wir gleich noch mal zu der Frage des Militärschlages gegen den Iran zurückkommen, zunächst einmal: Wie lange kann es denn Ihrer Einschätzung nach noch dauern, bis der Iran erstens eine Atombombe hat und zweitens dann aber auch fähig ist, sie zum Beispiel mit Raketen in ein Ziel zu bringen?

Schueftan: Das kann sein zwischen paar Monaten und ein, zwei Jahre. Also sehr kurze Zeit. Im Moment, wo sie sich entschließen, das zu tun, kann es dauern paar Monate, bis sie irgendein Atom ... , also nicht genau eine Bombe mit einer Rakete zusammenbringen können, aber eine Atombombe haben. Und dann, bis man das bewaffnet, kann es noch ein oder zwei Jahre dauern.

Pindur: Die israelische Regierung hat ja bereits erkennen lassen, sie behalte sich einen Militärschlag gegen den Iran vor. Glauben Sie, dass man damit dieses Atomprogramm nennenswert verzögern kann?

Schueftan: Das kann man tun, das wird dann vielleicht noch länger dauern, bis die Iraner das tun können. Aber wenn Israel das tut, wird es auch einen Prozess anfangen, der das dem Iran viel schwerer machen wird. Weil, wenn Israel einen Militärschlag gegen Iran hat, da werden die Iraner irgendwie reagieren dazu, und zu dieser Reaktion wird auch eine Reaktion kommen.

Und dann sind Sie schon in einer neuen politischen und militärischen Lage. Also, es ist ... Israel kann nicht, Israel ist nicht fähig, das zu stoppen auf ewig. Aber wenn auch andere damit zukommen, wenn auch die Amerikaner überzeugt sind, dass man dort was tun kann, dann kann man das verzögern.

Wir haben schon eine Erfahrung mit anderen arabischen Staaten, dass die versucht haben, eine Militärwaffe zu haben, also Irak und Syrien. Israel hat dort einen Militärschlag gemacht und im Moment haben diese beiden Staaten keine Militärbombe. Also, auch dort konnte man sagen: Israel kann das nur auf zwei Jahre verschieben, fünf Jahre verschieben, aber jetzt haben sie sich entschlossen in Syrien im Moment, das nicht zu bauen. Das kann auch im Iran passieren. Viel schwieriger, aber kann passieren.

Pindur: Jetzt können wir nicht genau wissen, welche Entscheidung die iranische Regierung fällen wird. Es gibt einige Außenpolitikexperten, die sagen, wir werden zumindest mittelfristig eine iranische Atombombe nicht verhindern können, lasst uns jetzt darüber nachdenken, wie wir danach mit einem nuklear bewaffneten Iran leben könnten! Könnte man mit einem nuklear bewaffneten Iran leben, könnte Israel damit leben?

Schueftan: Die ganze Welt kann damit nicht leben. Und das möchte ich erklären, das ist besonders wichtig: Im Moment, wo Iran so eine Waffe hat, wird das auch Saudi-Arabien, Ägypten, die Türkei und vielleicht andere Staaten im Nahen Osten haben.

Und dann haben wir einen Nahen Osten mit vier, fünf, sechs Atomkräften. Dann sieht der ganze Nahost ganz, ganz anders aus, und dann werden auch andere Staaten in der Welt verstehen, dass wir ohne eine Atomwaffe nicht weiterkommen können. Wenn der gefährlichste Teil der Welt auch atombewaffnet ist, da ändert sich die Welt. Da werden andere Staaten in der Welt, nicht nur im Nahen Osten, sich auch bewaffnen. Das ändert die ganze Politik der Welt. Da kann Amerika schon nicht mehr so wichtig sein in der Welt, da werden schon viele andere Staaten sich sagen können, wir können uns nicht mehr auf Amerika verlassen.

Zum Beispiel Japan: Also, im Moment kann sich Japan sagen, dass, obwohl Russland und China Atomwaffen haben und noch Korea Atomwaffen hat, muss Japan diese Waffen nicht haben, weil, sie können sich auf Amerika verlassen. In dieser neuen Welt kann man sich schon auf Amerika nicht verlassen und die ganze Welt ändert sich, die ganze Politik der Welt ändert sich.

Pindur: Vielen Dank für diese Informationen und Einschätzungen, Dan Schueftan, stellvertretender Direktor des National Security Studies Center und Politikberater an der Universität Haifa!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr zum Theam auf dradio.de:
Streitfall Kernenergie Gibt es eine Lösung für den Konflikt mit dem Iran? (DKultur, Politisches Feuilleton, 31.1.2012)
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