Wissenschaftler über Corona und nationale Grenzen

Warum Schlagbäume das Virus nicht aufhalten

10:23 Minuten
An einer Wand mit Weltkarte ist eine Atemschutzmaske angepinnt.
Grenzen zu für die Schadensbegrenzung? Bei Corona funktioniert das derzeit nicht, meint der Physiker Dirk Brockmann. © picture alliance / Ulrich Baumgarten
Dirk Brockmann im Gespräch mit Axel Rahmlow · 06.04.2020
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Das Saarland macht die Grenze zu Frankreich dicht. Um die Neuinfektionen einzudämmen, heißt es. Vollkommen sinnlos, wenn es überall Infizierte gibt, sagt Dirk Brockmann, der als Physiker an epidemiologischen Modellen arbeitet.
Das Saarland macht seine Grenze zu Frankreich dicht: Zu viele Menschen pendelten noch immer von hüben nach drüben, so die Begründung des saarländischen Innenministers. Parallel empfiehlt die Bundesregierung allen Bundesländern, für alle Einreisenden, außer für Berufspendler, eine 14-tägige Quarantäne zu erheben.
Der Physiker Dirk Brockmann beschäftigt sich an der Berliner Humboldt-Universität unter anderem mit komplexen Systemen und epidemiologischen Modellen. Er sagt: Quarantäne sei sinnvoll, doch geschlossene Grenzen brächten nichts – es sei denn, ein stark betroffenes Gebiet grenze unmittelbar an eine Region, die gar nicht betroffen sei. Aber eine solche Situation beziehungsweise geografische Einschränkung der Mobilität könne es auch innerhalb eines Landes geben und sei kein alleiniges Argument dafür, nationale Grenzen dicht zu machen.

Wie eine Glasplatte in der vollen Badewanne

In Europa sei definitiv nicht der Fall, dass "sehr stark betroffen" und "nicht betroffen" aneinandergrenzen, weil in allen Ländern "signifikante Infektionen stattfinden". Die Sinnlosigkeit lasse sich an einem Beispiel gut nachvollziehen, so Brockmann: "Das ist so, als wenn man eine Glasplatte in eine volle Badewanne einlässt und sich dann darüber freut, dass das Wasser nicht mehr von der einen Hälfte in die andere fließt."
Mit anderen Worten: Es ergebe einfach keinen Sinn, Menschen daran zu hindern von A nach B zu reisen, weil sich hier wie dort überall Infizierte aufhielten. Und alle bisherigen Studien bestätigten dies.

Wann sind wir über den Berg?

Mit seinem Institut und gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut hat der Wissenschaftler gerade einen Mobilitätsbericht veröffentlicht, der die Veränderungen seit Verhängung der Kontaktsperre erfasst. Demnach hat die Mobilität im Vergleich zum März 2019 um 40 Prozent nachgelassen. Ob dieser Rückgang schon ausreiche, um einen Wendepunkt der Pandemie herbeizuführen, lasse sich jedoch noch nicht sagen. "Wir wissen noch nicht, ob wir schon über den Berg sind."
(mkn)
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