Wissenschaft

Mediale Welten im digitalen Umbruch

Zwei orangefarbene Netzwerkkabel hängen vor vor einem Computer-Bildschirm, der Zahlenkolonnen mit einem binären Code zeigt.
Die Digitalisierung macht's möglich: Wissenschaftler vernetzen sich weltweit. © dpa / Oliver Berg
Von Jochen Stöckmann · 01.09.2014
Die weltweite Vernetzung und der internationale Wissenstransfer machen es möglich: Humboldts Traum allgemeiner Bildung könne wahr werden, so die Hoffnung einiger Experten. Andere warnen: Durch die Digitalisierung werden die Menschen mit Informationen und Wissen überschüttet.
Einen Museumsmann werden Nerds und ähnlich netzaffine Geister wohl nicht ohne weiteres in einer medienstrategischen Schlüsselstellung vermuten. Aber als Direktor des vorderasiatischen Museums in Berlin agiert Martin Hilgert an der Schnittstelle zweier Universen, hinter sich das museale Reich altehrwürdiger materieller Objekte, vor sich eine neue virtuelle Welt, in der die wertvollen Kulturgüter mittels Digitalisierung geschützt, erhalten und zudem für jedermann zugänglich gemacht werden. Dazu aber bedarf es einer aufwendigen Technik und qualifizierter Mitarbeiter:
"Wenn wir über die digitale Welt von morgen sprechen, dann vergessen wir oft: All das ist für öffentliche Institutionen weder aus der Grundfinanzierung noch aus Forschungsdrittmitteln zu finanzieren. Deswegen möchte ich dafür plädieren, dass wir über ein institutionelles Upgrading, einen nationalen Digitalisierungspakt nachdenken."
Humboldts Traum kann wahr werden
Dieser Vorwärtsstrategie in Zeiten des digitalen Umbruchs redet für den Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken auch der Informatiker Wolfgang Coy das Wort. Er hat bereits in den 80er-Jahren den Vormarsch der Industrieroboter analysiert, heute beobachtet er die Rationalisierung geistiger Arbeit. Beim elektronischen Publizieren, so Coys Befund, hat Deutschland den Anschluss um fast eine Forschergeneration verpasst, zumindest im Bereich der Naturwissenschaften. Das gedruckte Buch, dieses von Verlagen sorgfältig ausgewählte Wissenspaket, ist längst abgelöst worden durch Online-Diensten, die eine Fülle von Informationen bieten. Da fällt es zwar schwer, den Überblick zu behalten. Aber das fällt kaum ins Gewicht angesichts der Aussicht, dass eine alte Utopie der Aufklärung endlich Realität werden könnte, über nationale Grenzen hinweg, ohne räumliche Einschränkung.
Coy: "Die Verbreitung wissenschaftlicher Information wird befreit, Humboldts Traum allgemeiner Bildung kann wahr werden. Aber was Bildung eigentlich ausmacht, ist, dass wir Urteilskraft entwickeln, dass wir in der Lage sind Informationen einzuordnen, zu beurteilen."
Doch diese kritische, aber durchaus nicht ablehnende Haltung ist nicht jedermanns Sache: Gegen alle Warnungen vor dem unbeschränkten Sammeln von "Big Data" sieht der Mathematiker Martin Grötschel mit der Digitalisierung die beste aller Welten anbrechen - in der sich die seit Jahrzehnten geforderte, immer wieder ad acta gelegte "Interdisziplinarität" fast von selbst einstellt.
Grötschel: "Dadurch, dass wir jetzt das Internet haben und diese Dinge alle miteinander verlinken können, haben wir eine wunderbare Welt der Möglichkeiten der Interdisziplinarität, die plötzlich entsteht. Die großen Fragen, wie spare ich Ressourcen, wie mache ich das besser, die sind ja nicht von einer einzigen Wissenschaft beantwortbar."
Im Wesentlichen sind es Naturwissenschaften, die für diese Projekte infrage kommen, bei denen ökonomische oder positiv formuliert: alltagspraktische Interessen eine große Rolle spielen. Gerade deshalb betont der Literaturwissenschaftler Siegfried Zielinski die Bedeutung grundlegender Fragen der Computerisierung.
Zielinski: "Aber was passiert, wenn das Schreibwerkzeug wesentlich Denkwerkzeug geworden ist?"
Dieser technische Trend hin zu "kognitiven Maschinen" wirft längst seine mentalen Schatten. Bei einem internationalen Treffen von Doktoranden hat Zielinski erlebt, wie eine neue Generation das schnell erworbene "horizontale Wissen" einsetzt. Hoch spezialisiert, haben die jungen Wissenschaftler schnelle Antworten parat - aber ihnen fehlt, was der in der Menschheitsgeschichte bewanderte Medienarchäologe die "Tiefenzeit" nennt.
Zielinski: "Der Dialog mit Datenbanken, mit Browsern und mit Bildschirmen, die ständige Verbindungsarbeit funktioniert hervorragend, perfekt. Die Frage ist, wo die Substanz herkommt - und wo das Vermögen herkommt, Kritik zu entfalten?"
Die deutsche Kritikkultur
In der letzten Runde, dem "Wissenschaftstalk" sollte es dann zum Schwur kommen, zum Abgleich der Theorie mit "konkreten Beispielen". Stattdessen aber entwickelte sich eine Art Generationen-Clash, die ressentimentgeladene Ablehnung einer zum Popanz aufgebauten "deutschen Kritikkultur" - etwa von der Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz.
Bunz: "Das deutsche Entgegnen von dieser Neuerung dieser Technologie ist, ganz schnell zu sagen: Die Leute werden mit Informationen überschüttet. So kann man diskutieren, aber so kommen wir nicht weiter. Und das ist immer wieder meine große Sorge, dass wir Deutschen sehr gut sind Kritik zu üben, aber Technologie eine gewisse Kritikresistenz hat."
Nur: In welche Richtung zielt dieses "Weiterkommen" - ohne den sozusagen "analogen", deshalb so verlässlichen Kompass sachverständiger Technikkritik?