Wirtschaftsnobelpreisträger: Eurobonds sind "nicht das Richtige"

15.08.2011
Der Ökonom und Mathematiker Reinhard Selten hat sich gegen die Einführung von Eurobonds ausgesprochen. Die derzeitige Krise sei keine Krise des Euros, sondern vielmehr eine Überschuldungskrise, sagte der Wirtschaftsnobelpreisträger.
Jörg Degenhardt: Wir befinden uns am Beginn eines neuen Sturms, meint Weltbank-Chef Zoellick, und im Blick hat er dabei die Schuldenprobleme zahlreicher Industrienationen. Sicher ist: Wir befinden uns am Anfang einer neuen Woche. Den Börsen könnte eine weitere Berg- und Talfahrt bevorstehen, sollte sich die Schuldenkrise im Euroraum noch zuspitzen oder die Wirtschaft in den USA weiter schwächeln. Die Politik ist gefordert, aber die zeigt sich uneins. Eurosünder Italien etwa ruft nach Eurobonds, nach gemeinsamen europäischen Anleihen, Schwarz-Gelb in Berlin sagt aber noch Nein. Morgen reist die Bundeskanzlerin nach Paris, um sich mit Frankreichs Präsident Sarkozy zu beraten. Dabei wollen sie auch Vorschläge für eine bessere wirtschaftspolitische Steuerung der Eurozone prüfen. Die scheint notwendig, um der Gemeinschaftswährung, um dem Euro wieder etwas auf die Beine zu werden. Reinhard Selten ist am Telefon, der Volkswirt ist der erste und bisher einzige Deutsche, der einen Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat. 1994 war das, gemeinsam mit zwei amerikanischen Kollegen, für Leistungen auf dem Gebiet der Spieltheorie. Guten Morgen, Herr Selten!

Reinhard Selten: Guten Morgen!

Degenhardt: Durchleidet der Euro derzeit die schwerste Krise seit seiner Existenz, oder sagen das nur die Schwarzseher?

Selten: Nun ja, also, man kann eigentlich gar nicht von einer Krise des Euros sprechen, sondern man sollte also eher von einer Überschuldungskrise sprechen.

Degenhardt: Ist das jetzt nur eine andere Bezeichnung, läuft das nicht unterm Strich auf dasselbe hinaus?

Selten: Nein, das glaube ich nicht. Also, hätte man die der Währungsunion zugrunde liegenden Verträge eingehalten, dann wäre das also nur eine Krise einzelner Staaten gewesen, eine Überschuldungskrise. Eine solche Überschuldungskrise muss schließlich dazu führen, dass eine Insolvenz der Staaten auftritt, falls sie nicht durch Vereinbarungen verhindert wird, und es muss dann eben ein, was man heute einen Haircut genannt hat, gemacht werden, das heißt, die Staatspapiere müssen abgewertet werden und so weiter. Das ist aber nicht geschehen. Man hat sich dann entgegen der Verträge zu etwas anderem entschlossen, und nachdem man also das getan hat, wird es doch jetzt notwendig sein, einen Schritt weiter in diese Richtung zu gehen.

Degenhardt: Das heißt, wir brauchen neue Verträge, mit denen man die Euroländer besser zwingen kann, Haushaltsdisziplin zu halten?

Selten: Ja, ja, ich glaube, ja, das ist es. Und natürlich ist ein Eurobond, der dann beliebig ... also, Eurobonds, die also ausgegeben werden können von den verschuldeten Staaten, aber dann von der Europäischen Gemeinschaft bezahlt werden müssen, das ist nicht das Richtige.

Degenhardt: Das heißt, Sie sind, um das klar und deutlich zu sagen, gegen die Eurobonds und die Kanzlerin sollte in ihren Gesprächen morgen in Paris auch nicht dafür stimmen?

Selten: Ja, also, ich meine ... Diese Verhandlungen sind natürlich immer offen, man kann nicht sagen ... Man muss vielleicht einen Kompromiss finden, der auch mit entsprechenden Auflagen in diese Richtung geht. Ich jedenfalls halte es nicht für sehr gut, es wäre besser, eine andere Lösung zu finden.

Degenhardt: Aber, um mal etwas spitzfindig zu fragen, Herr Selten: Gehört nicht zu einer europäischen Finanzpolitik - und die gilt es ja wohl auch anzustreben -, gehört dazu nicht auch die Vergesellschaftung der Schulden in Europa?

Selten: Nein, das glaube ich nicht. Es werden auch die Schulden von Ländern und Gemeinden in Deutschland nicht gemeinsam ... Es ist allerdings so, dass, wenn eine Gemeinde überschuldet ist, das Land dafür eintritt, aber es übernimmt dann auch die Hoheit, die entsprechende Hoheitsgewalt in der Gemeinde. Das heißt also, es wird eben, wenn es von der Gemeinschaft übernommen wird, dann übernimmt sie auch die Exekutive in dieser Angelegenheit.

Degenhardt: Dann stellt sich ja so ein bisschen der Eindruck ein, wenn man sich in Deutschland umhört, wenn man Umfragen liest, dass Deutschland offensichtlich die Hauptlast bei der - in Anführungszeichen - "Rettung des Euro" trägt. Die Deutschen fühlen sich insbesondere bedroht von der Finanzkrise. Wie groß ist denn die Gefahr, dass Deutschland dabei möglicherweise seine eigene Kreditwürdigkeit verspielt, dass die Kreditwürdigkeit der Deutschen abgewertet wird?

Selten: Also, das glaube ich nun nicht, dass da eine große Gefahr besteht. Natürlich, wenn es eine Wirtschaft, eine gemeinschaftliche Wirtschaftssteuerung gibt, wird es sich dann also auch mehr um die Kreditwürdigkeit des Euroraumes handeln als um die der einzelnen Länder. Aber ich glaube also nicht, dass da eine große Gefahr besteht.

Degenhardt: Es heißt ja immer, die Deutschen profitierten zu allererst vom Euro ...

Selten: ... ja, ja ...

Degenhardt: ... was brächte denn eigentlich die Wiedereinführung der D-Mark? Die wirtschaftliche Katastrophe? Wenn ich an den Mittelstand denke, zum Beispiel?

Selten: Ja, also ich glaube, das würde also sehr unangenehme Folgen haben. Denn das würde bedeuten, dass der Welthandel stark geschädigt wird, denn die Einführung des Euro hat den Handel des Euro, nicht nur der Staaten des Euroraumes untereinander, sondern auch den Handel mit anderen Ländern gestärkt. Also, andere Länder, für andere Länder war es nun vorteilhaft, sich in diesen Ländern auch zu engagieren. Denn diese inneren Währungsrisiken, die vorher bestanden haben, sind ja dann weg. Man kann also auch im Ausland besser planen, wenn man sich in Deutschland oder anderswo engagiert.

Degenhardt: Allen Spekulationen zum Trotz: Der Euro ist noch zu retten, sagt jedenfalls der Wirtschaftsnobelpreisträger Reinhard Selten. Ich bedanke mich für das Gespräch!

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