Wirtschaftskrise in Venezuela

Prügelei um eine Tüte Mehl

Sie sehen eine Frau, die einen Fisch putzt, rechts und links stehen Kinder.
Es fehlt an dem Nötigsten in Venezuela: Strom, Trinkwasser und Lebensmittel sind keine Selbstverständlichkeit mehr © AFP / Juan Barreto
Von Anne-Katrin Mellmann · 20.03.2017
Venezuela ist ein herabgewirtschaftetes Land: Die Armut wird immer schlimmer, Menschen hungern. Lebensmittel werden inzwischen von Schwarzmarkthändlern zu horrenden Preisen verkauft - und Behörden und Armee verdienen dabei mit.
Giovanni Rincon zeigt seine Schätze: Reis, Maismehl und Bohnen – venezolanische Grundnahrungsmittel, die er weiterverkaufen will und deshalb ordentlich gestapelt im Kühlschrank in seiner Sozialwohnung aufbewahrt.

Die Wohnung war ein Geschenk von Hugo Chávez

Die Wohnung war ein Geschenk der sozialistischen Regierung des verstorbenen Hugo Chávez. Giovanni, Familienvater, Anfang 30, mit roter Schirmmütze, nimmt Platz im Sessel unter dem einzigen Bild an der Wand: Es zeigt Comandante Chávez, vom Krebs gezeichnet, aber mit strahlendem Gesicht:
"Als Chávez starb, blieben wir wie Waisen zurück. Sein Projekt wurde nicht vollendet. Die Revolution ist keine mehr. Ganz ehrlich. Ich bin Chávist von ganzem Herzen. Aber das Projekt führt nirgendwo mehr hin. Man sieht ja, wo wir stehen: Es geht rückwärts, das Geld reicht nicht mehr, die Produktion steht still. Wenn nichts mehr produziert wird, kommt alles zum Stillstand. Das Volk kann nicht mehr versorgt werden. Viel schlechte Politik ist daran schuld: Die Enteignung von Unternehmen etwa. Die Bauern zogen in die Städte, weil sich Landwirtschaft für sie nicht mehr lohnte."
Der kleine Isaai Camacho (v.r.) wartet mit seiner Mutter am 20.06.2016 am Kinderkrankenhaus «Jorge Lizarraga» der Stadt Valencia in Venezuela (Südamerika) auf eine Behandlung. 
Versorgungskrise in Valencia: Eine Mutter wartet mit ihrem Kind im Krankenhaus von Valencia auf einen Arzt, der Zeit hat© dpa / picture-alliance / Georg Ismar
Damit begann das große Geschäft für "bachaqueros" wie Giovanni. So werden die abertausenden Schwarzmarkthändler genannt. Nie waren Lebensmittel so wertvoll. Sie müssen importiert werden, aber die Staatskassen sind leer. Das Prinzip bachaqueo: günstige subventionierte Ware kaufen und für ein Vielfaches weiterverkaufen - oder schon da sein, bevor Lebensmittelverteilungen beginnen:

Sozialisten, die eigentlich Kapitalisten sind

"Damit schaden wir unserem Land. Wir bezeichnen uns als Sozialisten, aber im Grunde sind wir Kapitalisten, denn wir verkaufen Lebensmittel 20 Mal über ihrem Wert. Einerseits habe ich Schuldgefühle, denn ich bin Sozialist und im Sozialismus sollten alle die gleiche Chance haben, aber dann denke ich: Nutze einfach die Gelegenheit!"
Die Ungerechtigkeiten des Systems treffen die Armen am härtesten. Wer sich die hohen Schwarzmarktpreise nicht leisten kann, muss nächtelang in Schlangen vor Supermärkten verbringen und hungert.
"Ich habe schon oft gesehen, wie sich Leute wegen einer Tüte Mehl geprügelt haben. So weit sind wir schon. Die heute im Abfall nach Essbarem suche, sind nicht mehr nur die Obdachlosen und die Armen, sondern gut gekleidete Kinder und Erwachsene, Leute wie du und ich. Es gibt einfach kein Essen."
Wenn welches ins Land kommt, kontrolliert das Militär die Verteilung. Das System ist intransparent und korruptionsanfällig und lebt von Händlern wie Giovanni Rincon.

Behörden und Armee verdienen kräftig mit

"Unsere Behörden machen mit bei dem Geschäft: Die Verteilung von Lebensmitteln wird ja immer von Sicherheitskräften begleitet. Die behalten dann einfach ein paar Kilo Mehl für sich und sie oder ich verkaufen sie weiter. Von diesem Kuchen bekommen alle ein Stück."
Deshalb schützen sich die Beteiligten an dem Geschäft gegenseitig. Giovanni arbeitet illegal, sein Job wird regelmäßig von der sozialistischen Regierung gegeißelt, aber jeden Tag gibt es in Venezuela mehr wie ihn.
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