Wirtschaftshistoriker über Friedrich Engels

"Er wäre auch heute noch Revolutionär"

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Die Statue Friedrich Engels' in Denkerpose ist ein Geschenk Chinas an die Stadt Wuppertal. Engels guckt nachdenklich zu Boden und streicht sich mit einer Hand den Bart.
Friedrich Engels ermöglichte durch geistigen wie finanziellen Input, dass Marx' Schriften Verbreitung fanden. © Picture Alliance / dpa / Bernd Thissen
Werner Plumpe im Gespräch mit Ute Welty · 15.02.2020
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Vor 200 Jahren wurde Friedrich Engels geboren. Ohne ihn, sagt Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe, wären viele Schriften von Karl Marx nie erschienen. Durch Engels' Zutun wurden sie zu politischen Statements. Und ohne sein Geld wäre Marx verhungert.
Ute Welty: Es gilt, ein besonderes Jahr zu feiern, denn vor 200 Jahren wird Friedrich Engels in Wuppertal geboren. Für die offizielle Eröffnungsveranstaltung heute haben sich Oper, Schauspiel und Orchester zusammengeschlossen. Was Engels uns heute sagt, ist Thema für Werner Plumpe. Der Wirtschaftshistoriker von der Uni in Frankfurt am Main hat viel geforscht zu Unternehmen. Sein jüngstes Buch wird hochgelobt als Analyse des Kapitalismus. Guten Morgen, Herr Plumpe!
Werner Plumpe: Guten Morgen!
Welty: Wer Engels sagt, sagt auch Marx, aber Engels fällt auch oft genug hintenüber im Vergleich zu Marx. Ist das gerecht?
Plumpe: Ja, das ist in gewisser Weise folgerichtig, denn Engels hat das selber so sehen wollen. Er hat an zahlreichen Stellen, vor allen Dingen in seinen späteren Schriften, darauf hingewiesen, dass er eigentlich nur der Gehilfe war, dass die großen Gedanken, dass die Analyse der Moderne, die seit einiger Zeit als Marxismus gilt, dass die von Karl Marx stammt und er dazu beigetragen habe. Er hat auch immer darauf bestanden, dass das so dargestellt worden ist. Von daher ist das heute bestehende Bild in gewisser Weise auch eins, das Friedrich Engels selbst in die Welt gesetzt hat.

Engels hat den Marxismus zugänglich gemacht

Welty: Wenn Engels Marx nicht finanziell unterstützt hätte, wäre die Geschichte aber anders ausgegangen. Wie muss man also das Verhältnis der beiden bewerten?
Plumpe: Oh ja, ich glaube, das muss man sehr, sehr differenziert sehen. Er wird ja in neueren biografischen Studien sogar als Erfinder des Marxismus bezeichnet. Das, würde ich vielleicht sagen, ist ein bisschen zu weitgehend, aber ohne die Hilfe von Friedrich Engels, ohne die Anregung von Friedrich Engels wäre wohl ein großer Teil der Schriften von Karl Marx nie erschienen, die ja Marx selber zur Publikation faktisch gar nicht auch fertig gemacht hat. Seine großen Schriften, vor allen Dingen die ökonomischen, wären ohne die Redaktion von Friedrich Engels überhaupt nicht entstanden.
Was entscheidend ist, ist, dass Friedrich Engels von Anfang an darauf gedrängt hat, die Einsichten, die Auffassungen, die Analysen in eine politische Form zu bringen. Das hat Marx ebenfalls weitgehend nicht getan. Das ist das große Verdienst, wenn man so will, von Engels, dass er die Auffassungen, die man heute als Marxismus bezeichnet, in eine populäre Form gebracht hat und sie dadurch überhaupt erst größeren Teilen der Bevölkerung zugänglich gemacht hat.
Welty: Um es mal konkret zu machen: Welchen Stempel hat Engels zum Beispiel dem "kommunistischen Manifest" aufdrücken können?
Plumpe: Das "kommunistische Manifest" ist eine Gemeinschaftsarbeit, die zum größeren Teil von Karl Marx geschrieben worden ist, aber von Engels stammt vor allen Dingen das Drängende, das man bis heute an seinen Schriften ja erkennen kann. Also diese Bereitschaft, sich zur politischen klaren Aussage durchzuringen und diese dann zu sagen und auch mit Nachdruck zu vertreten, das zieht sich ja durch das "kommunistische Manifest" durch. Das findet sich auch in vielen späteren Schriften von Engels, vielleicht sogar etwas mehr als von Marx. Also dieses Drängende, dieses Nach-vorne-Gehende, dieses auch Politisch-sich-äußern-Wollende, das ist im Wesentlichen Engels.
Welty: Engels ist der Sohn eines wohlhabenden Bürgers. Er hat tiefen Einblick in die damalige Textilindustrie. Was folgt daraus?
Plumpe: Das kann man, glaube ich, überhaupt nicht überschätzen. Die Herkunft Engels, sowohl aus pietistischen Wuppertaler Verhältnissen als auch aus dem Fabrikantenmilieu der Zeit hat ihn dazu gebracht, dass er einerseits das, wovon man schrieb, die wirtschaftliche Analyse der Gegenwart, sehr genau kannte. Er wusste einfach, worum es geht. Er hat ja sein Leben lang, also lange jedenfalls, als Außenhandelskaufmann gearbeitet, und er ist in einer frömmlerischen Welt großgeworden, in der es darauf ankam, auf Erlösung auszugehen. Das zusammen, wenn man so will, dieses ökonomische Wissen und der Wunsch nach Erlösung, das findet sich bei Engels eigentlich laufend und immer. Letztlich hat die Tatsache, dass er im Unternehmen seines Vaters bis in die frühen 1870er-Jahre gearbeitet hat, letztlich auch das materielle Fundament gegeben, damit er Marx, wenn man so will, wirtschaftlich über Wasser halten konnte.

Globalisierung und Rückzug aufs Nationale hängen zusammen

Welty: Die Textilindustrie ist ja inzwischen umgezogen, von Großbritannien nach Asien. Auf der einen Seite globalisieren sich die Märkte, und auf der anderen Seite ist der Brexit vollzogen, und es gilt "America first". Wie passt das alles zusammen?
Plumpe: Das hat sehr viel mit dem zu tun, was man als Globalisierung bezeichnet. Das hat ja Engels auch in seiner Zeit schon im "kommunistischen Manifest" und später sehr genau beobachtet. Die Globalisierung führt auf der einen Seite dazu, dass der weltwirtschaftliche Zusammenhang immer enger und intensiver wird, alles immer mehr einbezogen wird, aber es werden nicht alle Teile der Welt gleichzeitig intensiv einbezogen, sondern manche sind Gewinner, manche sind Verlierer. Insofern ist die Zeit, die Engels in Großbritannien erlebt hat, die Zeit, als Großbritannien die Werkstatt der Welt war, der große Gewinner gewesen ist, und das ist heute anders.
Die USA unter Donald Trump stellen fest, dass die Globalisierung ihnen eben nicht nur nutzt, sondern auch anderen und dass sie Deindustrialisierungsprozesse haben, die man den Chinesen ankreidet, was nicht richtig ist, was aber gleichwohl unter den gegebenen politischen Bedingungen die Amerikaner zwingt zu reagieren. Ähnliches haben wir in Großbritannien. Die Globalisierung, die weltweiten Migrationsprozesse und alles andere führen dazu, dass man sich aus etwas zurückziehen will oder zurückzieht, wo man glaubt, nicht ausreichend Einfluss zu haben. Das war zu Engels Zeiten definitiv noch anders. Da war Großbritannien das unbestrittene Zentrum der Welt, und in dieser Mitte saß Friedrich Engels und konnte von dort aus die Welt beobachten. Also eine ganz andere Konstellation, als das heute der Fall ist.
Das Denkmal für Karl Marx und Friedrich Engels in Berlin nahe dem Alexanderplatz
Friedrich Engels hat Karl Marx als bedeutenderen Teil ihres Gespanns hervorgehoben.© picture alliance / Wolfram Steinberg
Welty: Wäre Engels noch der Revolutionär als der er gilt?
Plumpe: Ich glaube ja. Ich glaube, Engels war von seinem ganzen Typ, von seinem ganzen Habitus her jemand, von seiner religiösen Prägung vor allen Dingen her, der nach so etwas wie Erlösung gestrebt hat, der allerdings nüchtern genug war, diese Erlösung nicht mehr im Jenseits zu erwarten, sondern sie für diese Welt gewünscht hat, herbeischreiben wollte. Ich glaube, diesen persönlichen Zug, den hat er nicht abgelegt, zu keinem Zeitpunkt seines Lebens, auch wenn er hinterher die Veränderungen der Welt durchaus realistisch gesehen hat und wahrscheinlich in seinem persönlichen Umfeld und Habitus alles andere als ein wirklicher Revolutionär war, sondern da war er wohl ein guter und auch gut lebender Bürger, aber die Vorstellung, dass es eine Erlösung geben muss, die war für ihn wohl konstitutiv.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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