Wirtschaftsfaktor: Clubkultur in Köln und Berlin

Von Gerd Brendel und Carola Hoffmeister · 29.12.2009
Jedes Wochenende wird Berlin zur Party-Haupstadt Europas. Aus Paris, London und Madrid kommen Tausende, um hier zu feiern und zu tanzen. Zwei oder drei Nächte lang ziehen die "Easyjet-Raver" durch die Clubs und Bars der Hauptstadt. Mittlerweile lebt ein ganzer Wirtschaftszweig von ihrer Lust auf eine Dauerparty, die nur hier an der Spree gefeiert wird.
Warum das so ist? Gerd Brendel reiste ein Wochenende lang durch die Berliner Nacht und fragte Touristen, Clubmacher, Djs, Türsteher und Wirtschaftsexperten nach dem Erfolgsgeheimnis des Berliner Nachtlebens. Denn was vor 20 Jahren als Hinterhof-Phänomen begann, hat sich zum Wirtschaftsfaktor entwickelt.

Berlin, Flughafen Schönefeld Freitagnachmittag.

"”Ich bin mit meiner ganzen Büromannschaft angereist, um ins Berliner Nachtleben einzutauchen.""

Benjamin ein junger Franzose auf Hochzeitsreise mit seiner Frau aus Paris, Andrea, Kunststudent aus Mailand und der Musikmanager Jonathan aus London.

"Und morgen schauen wir uns Büroräume für unsere Berlin-Filiale an und dann gehen wir aus."

Sie alle kommen für ein Wochenende nach Berlin auf der Suche nach dem etwas, was sie in ihren Heimatstädten nicht finden.

Rave is King, Fukk Offf: "Alcohol, Drugs, Neonlights, Overdrive, Noise ,Partypeople."

Zugegeben, natürlich gibt es das auch in Paris, Mailand und London, aber Berlin verfügt über ein paar entscheidende Wettbewerbsvorteile: Sie haben viel mit Musik zu tun und dem "Arm, aber sexy"-Image der Stadt.

"Cutting edge" nennt zum Beispiel Jonathans Kollege Berlin. "Cutting edge" wörtlich übersetzt heißt soviel wie Schnittkante, übertragen meint es den schmalen Grat zwischen abgehobener Avantgarde und Massengeschmack: cool eben, angesagt.

"Die kreativste moderne Musik kommt aus Berlin."

"Berlin ist und wird noch bedeutender als Techno-Hauptstadt der Welt."

Isan Oral, Clubbetreiber.

"Ist immer noch genügend Platz für jeden und alle, um sich zu verwirklichen."

Sven Marquard, Türsteher.

"Musikwirtschaft, die Clubs und Veranstaltungen als Bestandteil sind ein immenser Wirtschaftsfaktor für die Stadt."

Nadja Clarus, Clubexpertin und Referentin bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft.

Becker: "Das ist ein Amalgam, das die Stadt in dem Bereich einzigartig macht."

Im Bereich Party-Tourismus.

"Gäste, die am Freitag kommen, für bestimmte Parties, Djs die dann gehäuft am Wochenende stattfinden."

Andreas Becker kennt die Stadt und ihre Gäste seit zehn Jahren. Als er 1998 sein Hostel in Berlin-Mitte eröffnete, fragten ihn seine Gäste nach dem "Führerbunker" heute fragen ihn die Rucksackreisenden nach Parties und Dj-Gigues.

Becker: "Berlin hat sich aufgrund des offenen Publikums, aufgrund der Infrastruktur für Djs techno elektro und house lables als die wichtigste Basis der Welt entwickelt , das heißt alle großen Djs legen hier regelmäßig auf, oder haben ihre Homebase hier."

Dazu kommt noch ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.

"Das Preisniveau der Stadt, Das heißt, die Stadt hat ne hochdemokratisierte Ausgeh-Kultur. Dinge hohe Eintrittspreise.. gibt’s hier nicht, weil man das nicht will, aber auch weil es diese Klasse die sich das leisten kann, nicht gibt. Die Stadt ist pleite, da macht das keinen Sinn."

Aber die Besucher ernähren Berliner wie Andreas Becker:

"Wir hatten in der ersten Statistik vor 12 Jahren da gab’s 30 Länder, wo die Gäste herkamen, wir sind mittlerweile bei 140. Also, wir haben mittlerweile indische Backpacker , marrokanische Backpacker, chinesische Backpacker , es ist eindeutig ein Globalisierungsphänomen."

Vor einem Jahr hat Becker gegenüber von seinem Circus-Hostel in Berlin-Mitte ein Hotel eröffnet. Rund 120 Euro kostet hier das Doppelzimmer. In seinem 100 Betten-Hostel ist ein Schlafplatz im 8-Bettzimmer für 19 Euro zu bekommen.

"Womit wir in Berlin etwas über der Konkurrenz liegen, man kann schon für zehn oder elf Euro übernachten."

Schon heute ist Berlin mit 110.000 Betten der zweitgrößte Hotelmarkt Europas und mit 21.000 Betten im Hostel-Bereich der größte des Kontinents.

Jonathan und seine Kollegen aus London haben den Jugendherbergs-Ära hinter sich gelassen, sie leisten sich ein neu eröffnetes Hotel ein paar Meter entfernt von Beckers "Circus-Hostel. Das Nachbargebäude war früher ein besetztes Haus mit einem halbillegalen Club im Keller. Heute bietet die Hotelbar über zehn Wodka- und Gin Sorten. Von hier bis zum Hackeschen Markt reiht sich ein Modegeschäft ans nächste. Mitte ist zum Einkaufsparadies geworden.

"Wir sehen unsere Gäste von da zurückkommen mit Tüten die sich bei Fred Perry für 140 Euro ein Poloshirt gekauft haben, dann für 200 Euro Lederschuhe ,die kommen zurück und haben 800 Euro ausgegeben. Die Restaurants in Mitte erklären mittlerweile, dass sie ohne Touristen nicht überleben könnten, die bereit sind 50 Euro für Abendessen zu bezahlen."

Vom Hotel gehen wir ins beste italienische Restaurant der Stadt hier in Mitte, aber dann geht es weiter ins Watergate und ins Berghain, mindestens bis Sonntagnachmittag.

Auch wenn sich vielleicht nicht alle Touristen ein Abendessen für 50 Euro leisten können - Das " Berghain" - vor einem halben Jahr wurde es von Dj aus aller Herren Länder zum besten Club der Welt gewählt. Aber schon vorher stand der Techno-Tempel auf der Liste fast jedes Wochenendbesuchers.

Es ist drei Uhr nachts: Die letzten in der Schlange vor dem bekanntesten Club der Stadt werden mindestens eine Stunde im Nieselregen warten müssen. Benjamin aus Frankreich, Andrea der Kunststudent aus Mailand und Jonathan aus London: Hier treffen sie zusammen auf den Spuren eines Mythos, der vor 20 Jahren seinen Anfang nahm.

"Meiner Wahrnehmung nach war der Ursprung die Situation nach dem Mauerfall, als die Kulturschaffenden Raum in Ostberlin fanden und auch gleich nutzten und vor allen Dingen drei Jahre in Ruhe gelassen wurden."

Einer der "Kulturschaffenden des Nachtlebens, der den Freiraum für sich zu nutzen verstand war Dimitri Hegemann. Die Clubnächte in seinem "Tresor", einer ehemaligen Bank auf dem Todesstreifen brachten den Mythos von Berlin in die Welt.

Das war der Ursprung, das gemeinsame aufbrechen durch die Nacht feiern und diese Freiheit zu erleben durch diesen Sound.

"Daraus entstand das schöne Zauberwort: Freiraum. Ich glaube das hat so ’ne Art Virus freigesetzt .. und das geht weiter erstaunlicherweise."

Für Dimitri Hegemann mittlerweile im zweiten "Tresor", einem ehemaligen Elektrizitätswerk .Mit über 50 zählt Hegemann zu den Veteranen. In seinem Club überwiegen die unter 25-Jährigen und die Raver von auswärts.

"80 Prozent der Clubs könnten dicht machen, wenn wir die Touristen nicht hätten. Das Thema ist noch gar nicht durch, weil die Leute immer Orte suchen, wo sie erste Erfahrungen machen wollen."

"Das heißt, unsere Gäste ziehen durch zwei, durch drei Tage Berlin und stehen am Morgen da und wundern sich, dass sie nicht auf Polizei getroffen sind."

Beschreibt Herbergswirt Andreas Becker den vielleicht entscheidenden Wettbewerbsvorteil der Partymetropole Berlin,

"dass sie um fünf Uhr von einem Club zum nächsten ziehen, ohne auf ordnungspolitische Präsenz zu treffen, In dem einen Club Pillen angeboten bekommen , in dem anderen Joints rauchen im nächsten in einem Club in einem Darkroom Lesben und Schwule Sex praktizieren. Das empfinden unsere Leute als große Freiheit."

Vorm Berghain um fünf Uhr morgens kommt die Freiheit allerdings an ihre Grenze: Sie trägt vermutlich das markanteste Gesicht des Berliner Nachtlebens und heißt Sven Marquard .Seit 15 Jahren hütet er die Türen vor Berliner Clubs: Lippenpiercings wie Raubtierzähne. Tätowierungen auf dem Gesicht und den Händen sind sein Markenzeichen.

Wen er abweist oder durchwinkt bleibt eines der großen Geheimnisse des Berliner Nachtlebens, dass auch der berühmteste Türsteher Berlins selbst nicht lüften kann oder will.

"Kann ich wirklich nicht beantworten, dass es um Leute geht, die lebendig aussehen, die strahlen, manchmal kann man das einschätzen, manchmal in der Geschwindigkeit des Ablaufs nicht."

Jonathan, Benjamin und Andrea haben Glück. Nach der peniblen Leibesvisitation und 14 Euro Eintritt betreten sie den Ort, wo der Mythos Berlin für die Gegenwart weitergeschrieben wird. Auch das Berghain war früher ein Kraftwerk. Wo früher die Turbinen standen, führt eine Riesentreppe aus Stahl auf die große Tanzfläche. Hier feiern Wochenende für Wochenende im Schnitt tausend Raver aus der ganzen Welt.

Überall sonst auf der Welt sind die Clubs superchic, mit viel Sicherheitspersonal, kontrolliert, mit abgetrennten VIP-Areas. Hier gibt’s sowas alles nicht.

Beschreibt Jonathan das Berghain-Gefühl.

Nur die Djs thronen über der Masse. Um die Sets von Andre Galuzzi, Jeff Mills oder Luke Slater zu hören, reisen die Tänzer aus der ganzen Welt an.

"Ein gutes Dj-Set ist wie eine Reise: Du fängst am Boden an in einer angenehmen Landschaft, dann läufst du einen Berg hoch. Der Himmel öffnet, Sterne fallen, nichts ist, wie es scheint, Aber irgendwann musst Du runterkommen. Jetzt wanderst Du durch schäbige dunkle Gassen, und irgendwann bist Du wieder zuhause."

So beschreibt Slater eine gelungene Nacht auf der Tanzfläche. Eine Reise, die für viele Berlin-Touristen im Berghain noch lange nicht zuende geht. Wenn der Morgen graut, herrscht auf dem Parkplatz vor dem Club Hochbetrieb. Jetzt stehen die Taxis Schlange. Auch Benjamin und Andrea leisten sich den Luxus eines Privat-Chauffeurs.

Nicht für die Fahrt zurück ins Hostel, sondern zur After-Hour in einem der kleinern Clubs in Mitte, immer weiter dem Mythos Berlin auf der Spur. Eine Tresenbekanntschaft hat ihnen das Dice empfohlen, den neuen Club von Isan Oral. Auch das "Dice” ist ein umgebauter Industriebau, der zu DDR-Zeiten als Umspannwerk gebaut wurde. Oral zitiert den rauen Berlin Beton-Untergrund-, aber er kopiert ihn nicht.

"Ich bin nun mal nicht der Partyveranstalter, der im Underground irgendwo illegal im Hinterhof Parties macht, sondern ein kleines wirtschaftliches Unternehmen, das sein Personal bezahlen muss und seine Miete bezahlen muss."

Sechs Leute beschäftigt Oral von Montag bis Freitag , am Wochenende kommen noch mal 30 Leute dazu , als Türsteher, für die Garderobe, für den Service. Die Eröffnung musste mehrmals verschoben werden. Aber wenn Oral von den Gründen erzählt, beschleicht einen Sehnsucht nach den guten alten Zeiten illegaler Clubwirtschaft

"Es ist schon komisch wenn man einen Club aufmacht, der ab 18 Jahre ist, aber überall Kindersicherung haben muss, kann man nichts daran ändern. Es ist schon komisch wenn eine Sachbearbeiterin Zusagen macht, und dann die Abteilungsleiterin sagt, schriftlich haben sie aber nichts. muß man nicht so benennen, wir wollen ja weiter ausbauen."

Die nächsten Genehmigungsanträge sind schon in Arbeit: Für eine Konzertraum und eine Dachterrrasse. Vielleicht sollte sich Oral demnächst bei Nadja Clarus melden. In ihrem Büro bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft hat man die wirtschaftliche Bedeutung der Party-Touristen längst erkannt.

"Es gibt circa 300 Clubs, diese Zahl wird konstant geblieben sein, die 2005 einen Umsatz von insgesamt 170 Millionen erwirtschaftet haben. Ich vermute diese Zahlen sind gestiegen, Durchschnittlich beschäftigen die Clubs 12 Mitarbeiter, insgesamt sind wir auf 8000 Mitarbeiter, davon hälftig sozialversicherungspflichtig."

Zahlen, die für sich genommen klein klingen. Aber Nadja Clarus weiß, dass sie nur die Spitze eines Eisbergs namens Kreativwirtschaft sind: Und dazu zählen die Graphiker, die die Websites für die Clubs entwerfen, genauso wie die gesamte Musikindustrie:

"Es ist international, es sind Musiker hier, es sind lables."

In den letzten Jahren sind immer mehr "Kreative" an die Spree gezogen, die mit über 17 Milliarden ein Fünftel des Berliner Bruttoionlandsprodukts erwirtschaften. Deshalb versucht Clarus an der Basis zu helfen:

"Das sind Lärmschutz, das sind Einbringen von Interessen von Clubs in Bebauungspläne … wir helfen bei der Standortsuche, bei der Standortsicherung, wir organisieren runde Tische , versuchen die Interessen von Clubs zu formulieren."

Egal, ob Anwohner gegen Konzertveranstalter klagen, oder ein Club mit neuen Eigentümern verhandeln muss.

Davon haben Andrea aus Mailand und Benjamin aus Paris während ihres Berlin-Ausflugs nichts mitbekommen. Kurz vor Abflug am Sonntagabend sind sie sich sicher, dass sie wiederkommen werden. Und auch Jonathan kommt wieder, nicht nur als Besucher. Das Büroapartment dass sich er und seine Kollegen am Sonnabend angeschaut haben wurde angemietet. Nur Dimitri Hegeman vom Tresor wird demnächst für längere Zeit dem Berliner Nachtleben den Rücken kehren: Zur Weltausstellung nächstes Jahr eröffnet er eine Filiale seines Clubs in China:

"Wir werden in Shanghai einen Club betreuen, während der Expo das booking machen, der shelter heißt das, ganz viele Künstler einladen , deutsche elektronische Musik."

Das Berliner Party-Feeling ist zur exportfähigen Marke geworden. Und die Party ist noch lange nicht vorüber, da ist sich Dimtri Hegemann sicher, wie gesagt:

"Ich glaube, dass das bestehen bleibt, weil die Leute immer Orte suchen , wo sie erste Erfahrungen machen wollen, Grenzforschung betreiben."

Und wo soll das besser gehen, als hier, wo vor 20 Jahren eine unüberwindlich scheinende Grenze in einer Nacht für alle Zeiten überwunden wurde.

Musik: "Berlin, Berlin, die Stadt kennt keine Mauern ..."

Köln, die Stadt am Rhein, wurde einst gefeiert als das Mecca alter und neuer Musik. Diesen Status ist sie nun offiziell los. 2003 wanderte die Musikfachmesse Popkomm nach Berlin. Zwei Jahre später verabschiedete sich der Fernsehsender Viva ebenfalls in die Hauptstadt. In diesem Jahr brannte das Historische Stadtarchiv ab, teilweise vernichtet wurde damit die bedeutendste Musikaliensammlung von Köln.

Doch wie schlecht steht es wirklich um die Domstadt? Carola Hoffmeister hat sich in den Clubs umgeschaut.


Das Apropo in der Kölner Südstadt. In dem ehemaligen Elite-Puff etwas abseits des Zentrums feiert seit den Siebzigerjahren die Funk-and-Soul-Szene in schummrigem Plüsch-Ambiente. Gegen Mitternacht ist das Kölsch alle, dafür gibt’s Sekt und einen Live-Act.

Andi Schulz: "Schön, dass ihr da seid! Viel Spaß jetzt mit der Rockformation!"

Im Apropo wird gefeiert. Genauso im Beehive, einem winzigen Club mit psychedelischer Wandtapete, der an einer Ausgehmeile im Zentrum liegt. Die zwölf Quadratmeter große Tanzfläche wird zur Sardinenbüchse, wenn D-Jane Angie hinter den Plattentellern steht:

"Wir haben bis fünf auf, wir machen auch meistens um fünf zu, aber dann sind immer noch so viele Leute hier, dass wir auch bis sechs aufmachen könnten. Das Interessante ist, hier sind jedes Wochenende, wirklich jedes Wochenende, neue Gesichter. Es gibt natürlich auch Stammgäste, aber es sind immer neue Leute da, auch von auswärts, ganz viele. Auch aus Berlin!"

Ganz in der Nähe vom Beehive befinden sich das Blue Shell und das Luxor, seit mehr als 30 Jahren Urgesteine der Kölner Clubszene und berühmt geworden durch die kultige Fernsehsendung Rockpalast. An diesem Abend steht im Luxor allerdings nur ein einsamer DJ hinter den Turntables, der Türsteher hofft auf bessere Zeiten:

"Man muss halt am Ball bleiben, man muss mit guten Acts überzeugen, mit einem guten Stammpublikum natürlich, was hier im Moment halt fehlt."

Mit Veranstaltungsorten wie Luxor oder Blue Shell entwickelte sich Köln einst zur Club- und Musikmetropole Deutschlands. Plattenfirmen wie Ariola oder EMI Electrola zogen Kreative aus aller Welt an den Rhein, genauso die größte Hochschule für Musik in Europa.

Das neue Jahrtausend: Der Musiksender Viva geht nach Berlin, die Popzeitschrift Spex folgt. 2003 wandert die Fachmesse Popkomm nach Berlin ab. Seitdem gilt Köln als musikalische Geisterstadt, durch deren Clubs nur noch der eisige Wind der Vergangenheit weht. Durch den Verlust der Popkomm entstand zumindest keine wirtschaftliche Lücke, sagt Manfred Post, Leiter des Kölner Referats für Popmusik:

Manfred Post: "” Die Popkomm war immer eine Imagemesse. Das heißt, weder die Stadt hat direkt daran verdient noch die Messe. Es war ein Zuschussgeschäft, weil es halt eine Trendmesse war. Und deshalb waren die Auswirkungen auf das Musik-Wirtschaftsgeschäft auch
nicht besonders groß. Das war ein Imageschaden.""

Wirtschaftlich ist Köln genau wie Berlin oder Hamburg von der Krise des Musikgeschäfts betroffen. In der Stadt am Rhein gibt es inzwischen unzählige winzige Plattenlables, doch die spülen kaum Geld in die Kassen. EMI, einst das größte Tonträgerunternehmen der Welt, verbucht weltweit Verluste und beschäftigt nur noch rund 120 Mitarbeiter in Köln.

Rainer Michalke ist Programmchef des Veranstaltungszentrums Stadtgarten. Köln leidet nicht unter Abwanderung, vielmehr unter fehlendem Zuzug von Musikern aus ganz Europa, sagt er. Die Magnetwirkung der Stadt am Rhein sei dahin.

"Köln ist leider in den letzten Jahren sehr restriktiv gewesen aufgrund der konservativen Stadtverwaltung, die wir ja hatten. Sobald sich ein Nachbar beschwert hat, wurde der Laden sofort zugemacht. Wenn man da genau anders agieren würde und die Leute, die Life-Musik in ihrer Gaststätte veranstalten, fördern würde, dann wäre ich davon überzeugt, dann könnte man imWettbewerb mit Berlin eine ganz andere Rolle spielen."

Aber es gibt auch Hoffnung: Als Trotz auf den Verlust der Popkomm riefen die Kölner wann 2004 die c/o Pop ins Leben, ein Festival für Elektro-, Indie- und Popkultur. Dort gehe es weniger anonym zu als auf der Massenveranstaltung Pokomm, schwärmt Manfred Post:

"Ich denke, dass wir mit der c/o Pop mehr am Puls der Zeit sind, weil wir damit auch nicht mehr auf die großen Majors angewiesen sind. Die kleinen Stellboote sind da immer noch ein bisschen pfiffiger und ein bisschen aktueller als die großen Dampfer."

Das kann auch Marlo bestätigen. Der Veranstalter organisiert regelmäßig Partys im Subway, einem Elektro-Club mit Retro-Möbeln nahe der Innenstadt. Die c/o Popp, die sich mehr der elektronischen Musik verschrieben hat, beschert ihm jede Menge Gäste:

"Es sind neue Partys entstanden. Ich will jetzt nicht sagen: Köln lebt oder sprüht gerade über vor Begeisterung, aber es entwickelt sich was. Mir fehlt hier nix."

Auch Andi Schulz fehlt nix Er ist einer der rund 100 DJ und Partyveranstalter in Köln. Der ständige Vergleich zu Berlin nervt ihn:

"Ich kann mich nicht beschweren, ich kann schon sagen, dass man damit über die Runden kommen kann, auch wenn man sicherlich nicht reich wird. Aber wenn man hier was Gutes anbietet, dann kommen da viele Gäste hin. Ich find, in Köln, da kriegt man mehr mit."