Wirtschaftliche Schäden durch Corona

Pleitewelle am Berliner Großmarkt

09:25 Minuten
Betriebsamkeit herrscht morgens im Großmarkt. Zahlreiche Großhändler bieten hier ihre Waren an.
Am Großmarkt in Berlin machen sich viele Händler Sorgen. Der Handel liegt am Boden. © picture alliance / dpa / dpa-zb-zentralbild / Paul Zinken
Von Anja Nehls · 07.01.2021
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Viele Händler auf dem Berliner Großmarkt haben kaum noch Abnehmer für Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse. Das trifft auch die Erzeuger, Zwischenhändler und Spediteure schwer. Ein ganzes Handelssystem steht vor dem Kollaps.
"Elf Tomaten, ein Champignon, und das war es. Hier sind normalerweise komplette Paletten - aber jetzt ist so wenig los, ist bei mir auch so."
Statt mehrerer Paletten Zwiebeln, Tomaten und Petersilie kauft Mohamed Tufan morgens um halb sechs auf dem Berliner Großmarkt nur ein paar Kisten. Er beliefert Restaurants, Hotels, Cafés und Dönerbuden – und die haben bis auf die Dönerbuden alle geschlossen.
Nach Mohamed Tufan kommt noch ein Kunde und kauft vier Kartons Orangen, dann ist wieder Schluss. Also hat Halil Sahim vom Obst- und Gemüsegroßhändler Erenak Zeit zum Reden - ein ganz schlechtes Zeichen:
"Tote Hose, Geschäft ist tot. Und die ganze Nacht stehst Du rum, ein, zwei drei Paletten und vorne fünf. Jetzt stehen wir rum und warten, dass der Chef sagt, okay Leute, tschüss, danke für eure Arbeit."

Große Lücken in den Regalen

Mitarbeiter gibt es hier, bis jetzt zahlt der Chef deren Gehalt aus der eigenen Tasche. Lange geht das nicht mehr gut, fürchtet Halil Sahim. Um 70 Prozent sei der Umsatz eingebrochen:
"Und fast 2000 Quadratmeter Miete, er muss Miete bezahlen und den Wareneinkauf machen und den Leuten Lohn bezahlen, was willst du machen."
Auf den breiten Gängen in der Fruchthalle sind deutlich weniger Menschen als sonst, die kleinen Gabelstapler kaum beladen und in den Regalen gibt es große Lücken. Eine besonders große Verkaufsfläche rechts hinten am Gang ist ganz leer, davor steht ein Zaun, verschlossen, und darüber hängt noch das Schild: "Das Beste aus den Gärten der Welt, Weiss Fruchtimport seit 1897". Tja – vorbei. Der italienische Direktimporteur von gegenüber zuckt mit den Schultern, bei ihm sei es jetzt auch soweit:
"Die sind komplett pleite, ungefähr vor einem Monat, zwei Monaten, 123 Jahre alt die Firma, ungefähr 40 Leute arbeiteten hier, alles weg. Meine Lieferfirma ist auch zu, Restaurants zu, Firma zu, auch pleite, und das Geschäft ist tot."

Händler können die Mieten nicht mehr zahlen

Die Stimmung ist schlecht in den großen Hallen an der Berliner Beusselstraße. Das merkt man auch in den Büros direkt über dem Obst und Gemüse, meint Petra Cardinal von der Berliner Großmarkt GmbH: "Ich bekomme das ja mit, da sind Familienbetriebe dabei, die gibt es schon seit Jahrzehnten, die haben immer gut dagestanden und bei denen bricht jetzt vieles zusammen."
Die landeseigene Berliner Großmarkt GmbH ist die Vermieterin von über 300 Händlern, die hier auf über 300.000 Quadratmetern Fläche hauptsächlich Früchte, Fleisch und Blumen anbieten - schwerpunktmäßig für kleine Läden, Markthändler, Hotellerie und Gastronomie. Und weil jetzt wieder fast alles geschlossen ist und das Geschäft auch im Sommer nicht normal lief, können die meisten inzwischen ihre Verkaufsflächenmieten nicht mehr bezahlen, sagt Petra Cardinal:
"Wir als Berliner Großmarkt GmbH gehen großzügig damit um, dass wir die Mieten entsprechend stunden, sodass wir jetzt im Moment um die zwei Millionen an Außenständen haben und wir vorsichtig überlegen, wie damit mittelfristig umgegangen wird."

Keinen Anspruch auf staatliche Hilfszahlungen

Das steht in den Sternen und soll entschieden werden, wenn Corona vorbei ist. Für den griechischen Direktimporteur Lycos, Spezialist für Obst, Gemüse und mediterrane Feinkost, ist es dann vielleicht schon zu spät, sagt Vertriebsleiter Torsten Friedrich. Die Firma hat Insolvenz beantragt, die Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.
Ob das Unternehmen überlebt, ist ungewiss – für den 75-jährigen griechischen Seniorchef sei das alles unvorstellbar, meint Friedrich: "Das ist sein Lebenswerk, er hat das in den 70er-Jahren in Deutschland selbst aufgebaut und so ein Ende ist für ihn persönlich eine Katastrophe."
Gestapelt liegen Zwiebelnetze und Olivendosen in den Regalen des Fruchthofes auf dem Gelände des Großmarktes in Berlin. 
Volle Regale gibt es im Großmarkt zur Zeit nur selten, die Großkunden fehlen.© picture-alliance / dpa / Marcel Mettelsiefen
Noch gibt es hier grüne und schwarze Oliven direkt aus Griechenland, Olivenöl, geröstete Paprika und griechischen Bergtee – nur die finanziellen Hilfen, über die überall berichtet werde, die gebe es für diesen Händler nicht:
"Geredet wird da viel, es wird sicherlich auch gezahlt. Aber für uns gibt es diese Novemberhilfen gar nicht. Wir arbeiten nicht direkt mit der Gastronomie zu 80 Prozent, sondern wir haben Zwischenhändler, die wiederum mit der Gastronomie zusammenarbeiten. Wir haben auch noch andere Kundengruppen, wie Feinkostläden und ethnische Supermärkte, Markthändler, die nicht unbedingt Anspruch auf diese Hilfen haben, und wir damit auch nicht. Wir haben gut 60 Mitarbeiter. Auch das ist ein Kriterium, viele Förderungen sind nur für Unternehmen bis zu 50 Mitarbeitern und da liegen wir drüber."

Familienbetriebe haben es schwerer

Und das bedeutet, dass Lycos wohl leer ausgehen wird, obwohl Torsten Friedrich alles versucht hat.
Kleinere Unternehmen wissen aber häufig gar nicht, welche Hilfsprogramme es überhaupt gibt, sagt Petra Cardinal. Notfalls hilft sie bei der Recherche dann sogar persönlich:
"Zum Teil wäre angezeigt, sich noch ein bisschen besser beraten zu lassen. Ich mache das immer davon abhängig, wie viele Ressourcen die haben. Wir haben hier Händler, die befinden sich in einem Konzernverbund mit einer riesigen Rechts- und Steuerabteilung, die gehen sicherlich anders damit um, als ein gewachsener Familienbetrieb mit ein paar Quadratmetern, der eigentlich gar keine Ressourcen für eine solche Situation hat und sicherlich auch Schwierigkeiten, damit umzugehen."
Schnittblumen stehen in großen Eimern an einem Verkaufsstand beim Großmarkt.
Nur auf dem Blumengroßmarkt herrscht noch Nachfrage.© picture alliance / Christian Charisius/dpa | Christian Charisius
Ein bisschen weniger Sorgen macht sich Petra Cardinal über den Blumengroßmarkt in der Halle hinter dem Obst und Gemüse. Auf dem Parkplatz davor stehen mehrere kleine Lieferwagen von Blumenhändlern, die sich hier heute Morgen um kurz vor sechs eindecken, wie Daniela Rettkowski und Dietmar Matulla.
"Amaryllis, Aralienblätter, Nelken, Gerbera, Lilien, weiße Lilien. Das ist seit Corona mehr geworden, dadurch, dass die Leute keinen mehr besuchen dürfen, schicken sie nur noch Blumen, ich habe einen Fleurop-Service mit drin, ich kann mich kaum retten. Ich arbeite auch für einen Bestatter und da sind im Moment sehr viele Trauerfeiern, also bei mir ist es nicht weniger. Und die Leute sagen, Mensch, jetzt bleiben wir zuhause, jetzt machen wir es uns aber auch zuhause richtig schön. Und das ist seit März so, seit dem ersten Lockdown. Haus und Garten haben viele schön gemacht in den Sommermonaten, und jetzt holt sich jeder einen schönen Blumenstrauß nach Hause."

Kurzes Zeitfenster für den Verkauf

So positiv wie die Einzelhändler sehen die Großhändler in der Halle die Sache nicht. Viele Blumen gehen sonst auch an Hotels und Restaurants und werden als Geschenk außerhalb von Blumengeschäften verkauft. Das sei auch für die Gärtner eine Katastrophe, sagt Sabine Strauch vom Blumengroßhandel Christoph Lorenz. Einige Pflanzen hätten nämlich nur im Winter Saison:
"Ein Amaryllisgärtner, der arbeitet für zwei Wochen im Jahr, die werden jetzt geschnitten und haben keine Abnehmer. Da gehen ganze Betriebe dran kaputt. Amaryllis ist eine sehr kostenintensive Zwiebel, so eine Produktionszwiebel kostet bis zu 200 Euro, die wird dann mehrfach geteilt und man hat sechs Jahre Vorlauf, bevor man schneiden kann, bevor die Blüten kommen. Der Hauptverkauf passiert zwei Wochen vor Weihnachten."
Und der fiel größtenteils dem Lockdown zum Opfer. Man sorge sich hier um- und miteinander, sagt Sabine Strauch. Die Mietstundung der Großmarkt GmbH ist eine Gelegenheit zum Atemholen, für viele aber keine Rettung. Eine spätere Rückzahlung der ausstehenden Mieten wird für viele Händler schwierig, befürchtet Petra Cardinal:
"Überschuldung kann dann ein Thema sein oder Kreditwürdigkeit, das regeln wir dann aber, wenn die Leute individuell auf uns zukommen. Und dann muss man gucken, dann muss natürlich offengelegt werden: Wie sind da die Zahlen, wie waren sie in den Vorjahren und welche Hilfsprogramme sind angefragt worden."

Hoffen auf einen Investor

Bis jeder individuelle Einzelfall geprüft wurde kann es Monate oder sogar Jahre dauern. Für viele ist das zu spät. Der Fruchthändler Weiss hat bereits aufgegeben, den griechischen Importeur Lycos kann nur noch ein Investor retten, meint Torsten Friedrich:
"Wir hoffen natürlich und tun alles dafür, dass es weitergeht, schlussendlich wird es davon abhängen, ob jemand bereit ist, in die Firma zu investieren, und das wiederum hängt davon ab, wie die allgemeine Lage ist, wie lange und wie viel Lockdown noch kommt und ob die Gastronomie das überlebt oder nicht und in welchem Maße."
Denn davon hängt nicht nur das Schicksal der Händler auf dem Berliner Großmarkt ab, sondern auch das der Gärtner, Erzeuger, Zwischenhändler, Verwaltungsangestellten, Reinigungskräfte und Fahrer, betont Blumenhändlerin Sabine Strauch:
"Es ist ja ein Miteinander, jeder hängt am anderen dran, die Spediteure, die das fahren, es ist ein großes System."
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