Wirkung der US-Serie "Holocaust"

Zum ersten Mal waren die Deutschen erschüttert

Filmszene: Nackte Männer, davor Wehrmachtssoldaten an Maschinengewehren
Szene aus dem dritten Teil der Serie "Holocaust" © WDR/Worldvision Enterprises Inc.
Götz Aly im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 07.01.2019
Die US-Filmserie "Holocaust" habe die deutsche Gesellschaft für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit geöffnet, sagt der Historiker Götz Aly. Wie "starr" Deutschland vor 40 Jahren noch war, könne man sich heute nicht mehr vorstellen.
Man könne sich das heute nicht mehr vorstellen, wie "starr" Deutschland vor 40 Jahren noch war, sagt der Historiker Götz Aly. Es habe keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust und den NS-Verbrechen stattgefunden. Erst die Hollywood-Verfilmung "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss" habe die deutsche Gesellschaft diesbezüglich emotional erreicht.
"Ich erinnere mich, dass zum Beispiel meine Eltern, die 1941 geheiratet haben, mein Vater war natürlich auch Soldat, dass die das erschüttert hat. Zum ersten Mal haben sie das gesagt", so Aly.

Hollywood brachte den Deutschen den Holocaust nahe

Auch um dies zu begreifen, sollte man sich die Wiederholung der US-Serie "Holocaust - Geschichte der Familie Weiss" bei WDR, NDR oder SWR unbedingt anschauen, empfiehlt Aly. In Deutschland habe es niemand geschafft, einen solchen breitenwirksamen Spielfilm herzustellen, auch wenn die Filmmethode im Rückblick "komisch" erscheine.
Zwar habe es in den 1960er- und 70er-Jahren relativ viele NS-Prozesse in der Bundesrepublik gegeben. Doch diese seien, etwa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, im Vermischten abgehandelt worden.
Durch den US-Film "Holocaust" sei eine Öffnung gelungen, die dann sehr langsam, in vielen Schritten dazu geführt habe, dass sich die deutsche Gesellschaft doch in ihrer ganzen Breite und sehr intensiv mit dieser Vergangenheit auseinandergesetzt hat, sagt Aly.

Großeltern oder Urgroßeltern haben mitgewirkt

Heute sei das Interesse an der deutschen Vergangenheit "riesig". Allerding sehe er dabei die Gefahr, dass sich viele zu schnell mit den Opfern identifizieren würden, stellt der Historiker fest.
Zuwenig werde dabei bedacht, dass doch "unsere eigenen Eltern, Großeltern, Urgroßeltern" an den Verbrechen in einer fast selbstverständlichen Weise irgendwie aktiv oder passiv oder schweigend mitgewirkt haben.
Das Ausmaß der Verstrickung beschreibt Aly so:
"Heute stehen 96-jährige Männer manchmal vor Gericht, als KZ-Wachtmeister oder als Schreibstubenleute, wegen Beteiligung am Mord. Wenn man dieses Kriterium vor 50 Jahren genommen hätte, 1960, 70, dann hätten mehr als 300.000 deutsche Männer und einige zehntausend deutsche Frauen angeklagt und lebenslang ins Gefängnis gesteckt werden müssen. Und das hätten Millionen deutsche Familienmitglieder und die gesamte deutsche Gesellschaft nicht ertragen."
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