"Wir werden ein anderes Netz benötigen"

Boris Schucht im Gespräch mit Hanns Ostermann · 22.05.2013
Um nicht unnötig Windparks bei Überkapazitäten abschalten zu müssen, müsste die Netz-Infrastruktur umgebaut werden, sagt der Geschäftsführer des Netzbetreibers 50Hertz, Boris Schucht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse zudem mit dem Netzausbau synchronisiert werden.
Hanns Ostermann: Jeder Autofahrer kennt das – steht er im Stau, hat er zwei Möglichkeiten: Entweder übt er sich in Geduld oder er nutzt die nächste Abfahrt der Autobahn in der Hoffnung, dann schneller ans Ziel zu kommen. Beim Strom ist das komplizierter, Wind und Sonne sorgen inzwischen für zu viel Strom. Das Netz der Autobahnen ist zu bestimmten Zeiten restlos überfordert. Seitenstraßen gibt es nicht, passt man nicht auf, dann droht das System zu kollabieren. Boris Schucht weiß das nur allzu gut: Sein Unternehmen 50Hertz gehört zu den vier Netzbetreibern in Deutschland. Ich fragte ihn zunächst: Was machen Sie, damit das System nicht zusammenbricht?

Boris Schucht: Ja, Herr Ostermann, das ist eine gute Frage, das ist heutzutage nämlich wirklich komplizierter geworden, und ich möchte die mal so beantworten: Die Übertragungsnetzbetreiber und in dem Falle 50Hertz sind, wenn man ihren Autobahnvergleich nimmt, die Verkehrsleitzentralen, die dafür sorgen, dass überall genau die Menge an Strom hinkommt, die auch gerade verbraucht wird, das ist die sogenannte Systembalance.

Ostermann: Und wie bekommen Sie die hin, wenn mehr Strom produziert wird, als wir gebrauchen können?

Schucht: Die große Herausforderung für uns ist, dass mit den erneuerbaren Energien immer größere Mengen volatile Erzeugungen in das System hineingekommen sind. Wir haben Wind, wir haben Sonne - der Windstrom kommt dann, wenn der Wind weht, und die Sonne, der Sonnenstrom kommt dann, wenn die Sonne scheint, und unsere Herausforderung ist, dieses nun genau so zu koordinieren, dass es zum Bedarf in Deutschland, in Europa genau passt.

Ostermann: Das passt eben nicht immer, und deswegen sind Sie gezwungen, Windparks oder Kraftwerke abzuschalten. Passiert das eigentlich immer häufiger?

Schucht: Das ist glücklicherweise derzeit noch eher die Ausnahme, es ist auch volkswirtschaftlich vollkommen in Ordnung, dass man nicht die letzte Kilowattstunde unbedingt transportiert, sondern dann auch Anlagen abschaltet. Wir müssen in Zukunft immer mehr Strom vom Norden Deutschlands und von ländlichen Regionen dort, wo die erneuerbaren Energien anliegen, diese zu den großen Verbraucherzentren, das heißt, im Südwesten Deutschlands, transportieren. Und dafür ist die nötige Infrastruktur notwendig.

Die Infrastruktur, die wir derzeit in Deutschland haben, ist für eine andere Situation gebaut worden, wo man nämlich die großen Kraftwerke rings um die Verbraucherzentren stehen hatte. Das wird sich in Zukunft immer mehr auflösen, und wir werden ein anderes Netz benötigen, und dafür ist der Netzausbau geplant. Und wenn wir den vernünftig hinbekommen, wenn wir dort Schritt halten mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, dann werden wir es hinbekommen, dass wir eigentlich nur unwesentliche Mengen an erneuerbaren Energien dann abriegeln müssen.

Ostermann: Das scheint aber im Augenblick doch nicht der Fall zu sein, es fehlen die notwendigen Stromtrassen, Genehmigungsverfahren ziehen sich hin. Wie groß ist eigentlich die Gefahr, dass an diesem Problem die Energiewende scheitert?

Schucht: Ich möchte definitiv keine Panik machen. Also, derzeit gibt es zumindest überhaupt keinen Anlass, darüber zu diskutieren, dass die Systemstabilität in irgendeiner Weise gefährdet ist. Aber es ist schon die große Herausforderung in der Zukunft, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien stärker mit dem Netzausbau in Einklang bringen, das heißt synchronisieren. Wir sollten in Zukunft nur so viele erneuerbare Energien auch zeitnah zubauen, wie wir mit dem Netz abtransportiert bekommen. Und de facto ist es so, dass der Netzausbau immer etwas längere Zeit in Anspruch nehmen wird, weil es größere Infrastrukturprojekte sind als der Ausbau der erneuerbaren Energien. Es ist sehr viel einfacher, mal eine Photovoltaikanlage auf ein Dach zu schrauben, als eine 500-Kilometer-Leitung von Norddeutschland nach Bayern zu ziehen.

Ostermann: Sie könnten den Strom natürlich auch umleiten - theoretisch jedenfalls - nach Polen oder irgendwie parken… oder speichern.

Schucht: Ja, Speichern ist mit dem Strom so eine Sache: Leider gibt es da nur technisch bisher sehr wenig Möglichkeiten. Es gibt die sogenannten Pumpspeicherwerke, da wird in Zeiten, wo dann der Strom zu viel da ist, dieser in Wasserkraft gewandelt, also Wasser einen Berg hoch gepumpt, um dann, wenn der Strom wieder gebraucht wird, das Wasser den Berg runterlaufen zu lassen, um damit Strom zu produzieren. Das ist aber in Deutschland wirklich nur in sehr geringem Maße möglich, deshalb die großen Strommengen, die wir derzeit produzieren, sind damit leider nicht speicherbar, sondern wir werden im Endeffekt diese nur integriert bekommen, indem wir im Endeffekt die Leitungen nutzen, die wir haben, und neue Leitungen bauen, und das System dann dementsprechend fahren.

Ostermann: Jetzt wird jede Menge Strom produziert, dann sollte er doch eigentlich billiger werden. Wir Verbraucher merken genau das Gegenteil - woran liegt das?

Schucht: Ja, ich glaube, wir müssen schon ganz ehrlich auf die Sache schauen, und der Ausbau der erneuerbaren Energien kostet einfach Geld. Das weiß auch jeder, weil wir brauchen auch dazu immer noch die bestehenden konventionellen Kraftwerke. Es gibt immer Tage im Jahr, wo wir quasi keine erneuerbaren Energien anliegen haben. Das sind typischerweise so Wintertage, an denen die Sonne nachmittags nicht mehr scheint, oder abends nicht mehr scheint, und auch kein Wind weht, und das ist interessanterweise für ganz Deutschland der Fall.

Das heißt, für diese Tage brauchen wir konventionelle Kraftwerke, die den gesamten Stromverbrauch Deutschlands decken können. Und es ist natürlich einleuchtend, dass, wenn ich deutlich mehr Kapazitäten vorhalte, um den Strom zu erzeugen, weil nämlich die Konventionellen und die Erneuerbaren, dass das im Grundsatz mehr Geld kostet. Insofern werden wir schon ehrlich sein müssen, der Ausbau der erneuerbaren Energien der kostet Geld, und das ist etwas, das müssen wir akzeptieren, wenn wir diesen Weg vorangehen wollen.

Ostermann: Er kostet Geld, aber wenn Sie beispielsweise an 77 Tagen 2012 Windräder und anderes abgestellt haben, das heißt, der Strom nicht eingespeist wurde, dann wird doch hier Geld verbrannt - Millionen werden verbrannt.

Schucht: Ja, das ist nur bisher ein relativ kleiner Anteil, die Abriegelung von erneuerbaren Energien ist derzeit wirklich volkswirtschaftlich noch vernachlässigbar. Wir haben aber ein anderes Problem, wir haben ja den Strom marktwirtschaftlich in Deutschland organisiert. Das heißt, dass über die Börse Strom verkauft wird, und der Kunde den Strom an der Börse kauft, mit dem Effekt, dass zuerst natürlich der Strom von den günstigsten Kraftwerken Deutschlands verkauft wird. Und es stellt sich dann je nach Bedarfslage ein Szenario ein, wo dann erst mal die ganzen günstigsten Kraftwerke im Betrieb sind.

Was wir heutzutage nicht mehr hinbekommen, dass wir neben den erneuerbaren Energien dann noch die günstigsten Kraftwerke, den Strom aus den günstigsten Kraftwerken in die Verbraucherzentralen transportiert bekommen, sondern wir müssen, weil dann Leitungsengpässe bestehen, diese günstigeren Kraftwerke herunterregeln, und dafür ältere, teurere und zum Teil auch weniger ökologische Kraftwerke im Süden Deutschlands hochregeln, das nennt sich dann im Fachjargon, das sind die sogenannten Redispatch-Maßnahmen oder Redispatch-Kosten. Und das ist mittlerweile an ungefähr zwei Drittel aller Tage der Fall, und das kostet sehr viel Geld, daran sieht man auch, wie notwendig der Leitungsausbau ist.

Ostermann: Boris Schucht, Vorsitzender der Geschäftsführung von 50Hertz, einem der vier Netzbetreiber in Deutschland. Herr Schucht, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Schucht: Vielen Dank, Herr Ostermann!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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