"Wir versuchen, eine Brücke zu schlagen"

Stefan Willich im Gespräch mit Nana Brink · 29.12.2010
Akupunktur, Naturheilverfahren und Homöopathie gehören zu den Forschungsprojekten des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Berliner Charité. Wir empfinden uns als Anwalt der Patienten und wollen die Spreu vom Weizen trennen, sagt Direktor Stefan Willich.
Nana Brink: Immer mehr Menschen suchen einen Ausweg aus der Schulmedizin. Sie suchen nach alternativen Heilmethoden wie Homöopathie oder der traditionellen chinesischen Medizin. Nicht selten aber fallen sie dabei natürlich auch Scharlatanen oder Wunderheilern in die Hände, die uns das Blaue vom Himmel versprechen, aber letztendlich einfach nur viel Geld kosten. Das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Berliner Charité untersucht regelmäßig die komplementärmedizinischen Therapien. Und am Telefon ist jetzt Professor Stefan Willich, der Direktor des Instituts. Einen schönen guten Tag, Herr Willich!

Stefan Willich: Guten Tag!

Brink: Welche Untersuchungen führen Sie denn an Ihrem Institut durch?

Willich: Wir versuchen, eine Brücke zu schlagen zwischen der sogenannten Schulmedizin, also der Medizin, die an den Hochschulen gelehrt wird, und den komplementärmedizinischen Verfahren - oder auch Alternativmedizin genannt. Im Vordergrund unserer Arbeit hier an der Charité stehen Forschungsprojekte im Bereich von Akupunktur, Naturheilverfahren, Homöopathie, auch Schröpfen, und wir werden uns sicher in der Zukunft weiteren Verfahren widmen. Ayurveda haben wir vor, traditionelle chinesische Medizin und andere.

Brink: Kann ich mir das so vorstellen, dass Sie auch dann so eine Art TÜV sind für diese alternative Medizin, vielleicht ein bisschen salopp ausgedrückt, aber auch sagen können, was ich denn als Patient von denen dann konkret zu erwarten habe?

Willich: Ja, da haben Sie recht, wir empfinden uns schon als Anwalt der Patienten, wenn man so will, und wir versuchen hier Spreu vom Weizen zu trennen. Alternativmedizin ist eine sehr bunte, sehr vielfältige Szene, bei der auch viel Unfug betrieben wird und viel Scharlatanerie, und das müssen wir ausschließen, dass hier Patienten gefährdet sind. Das heißt, wir sehen unsere Aufgabe darin, seriöse, hochrangige Forschungsprojekte durchzuführen und dann die Therapiemethoden, die sich als wirksam und als sicher erweisen, den Patienten zugänglich zu machen.

Brink: Wie schwer ist es denn, Scharlatane von echten Wunderheilern zu trennen? Haben Sie da ein Beispiel, damit wir uns das besser vorstellen können?

Willich: Wenn man heute im Internet surft, dann gibt es eine Vielfalt von Angeboten, die häufig sogar die Notlage von Patienten meinetwegen mit Krebserkrankungen ausnutzen, irgendwelche Substanzen, die angeboten werden, teilweise für teures Geld. Der klare Standard der Schulmedizin und auch von uns an der Charité natürlich ist der von guten wissenschaftlichen Studien. Das heißt, ein Einzelfallbericht nach dem Motto, hier oder da hat dieses oder jenes gewirkt, ist nicht aussagekräftig, sondern man muss an einer größeren Zahl von Patienten systematisch erproben, ob eine Therapie wirksam ist im Vergleich zum Beispiel zur Schulmedizin.

Brink: Das heißt, wenn ich jetzt irgendwas im Internet meinetwegen finde, eine alternative Heilmethode, empfiehlt es sich dann, bei Ihnen nachzugucken, ob das auch wissenschaftlich fundiert ist?

Willich: Ja, wir stehen da sicher dazu bereit und werden natürlich auch kompetent über die Verfahren Auskunft geben können, mit denen wir hier arbeiten und betraut sind. In jedem Fall empfiehlt sich natürlich eine Kontaktaufnahme zum Arzt. Also gut ausgebildete Ärzte sollten auch über Möglichkeiten und Grenzen von Alternativmedizin zumindest grob Bescheid wissen.

Brink: Was sind denn dann Scharlatane in Ihren Augen?

Willich: Scharlatane sind in meinen Augen Personen, die medizinische Therapien oder Diagnostiken anbieten ohne vernünftige wissenschaftliche Basis, das heißt, ohne dass die Wirksamkeit und Sicherheit nachgewiesen ist, und die dafür noch ordentlich Geld verlangen.

Brink: Dann ist aber doch zum Beispiel der ganze Bereich Homöopathie ein Grenzfall, nicht? Wo ja auch sozusagen der Dialog zwischen Schulmedizin und Homöopathie ein sehr schwieriger ist?

Willich: Ja also Homöopathie fällt sicher nicht in den Bereich Scharlatanerie. Aber bei Homöopathie ist in der Tat offen, wie wirksam und vor allem bei wem es denn wirksam sein könnte. Es gibt viele Untersuchungen zu dem Thema. Klar ist, dass die Kügelchen alleine, die hoch verdünnten homöopathischen Kügelchen alleine vermutlich nur wenn überhaupt eine kleine Bedeutung haben. Wichtiger ist offenbar das gesamte Behandlungssystem, angefangen von der sehr ausführlichen Anamnese, die der Arzt in der Regel erhebt, also ein langes, stundenlanges Gespräch mit dem Patienten bis über eine sehr enge Arzt-Patienten-Beziehung, die eben auch die Erfahrung, das Weltbild der Patienten, die Präferenzen des Patienten berücksichtigt und so weiter.

Brink: Welche Auswirkungen haben denn Ihre Studien? Ich denke da zum Beispiel an die Krankenkassen, weil viele Heilmethoden, alternative Heilmethoden werden ja von den Krankenkassen nicht bezahlt.

Willich: Unsere großen Studien zur Akupunktur, die wir in den letzten Jahren durchgeführt haben, waren ein ganz wichtiger Punkt dafür, dass die Kassen die Akupunktur bei chronischen Kniegelenkschmerzen und chronischen Rückenschmerzen mittlerweile erstatten und auch erstatten müssen. Das ist so festgelegt.

Brink: Also denken Sie, dass die Krankenkassen in Zukunft mehr diese alternativen Methoden akzeptieren werden müssen auch?

Willich: Die Kassen erwarten zu Recht auch eine entsprechende Forschungslage. Also man kann hier nicht a priori sozusagen auf guten Glauben hin bestimmte Dinge finanzieren, sondern möchte im Sinne der Patienten und natürlich auch im Sinne der finanziellen Lage der Krankenkassen natürlich auch wissen, dass das Geld gut investiert ist.

Brink: Also was empfehlen Sie dann Menschen, die eine alternative Heilmethode ausprobieren möchten? Sie sollen sich immer die sogenannte zweite Meinung einholen?

Willich: Zweite Meinung empfiehlt sich grundsätzlich bei schwierigen medizinischen Problemen. Das würde ich jedem, der irgendwas sehr Kompliziertes hat oder eine schwierige Operation vor sich hat, jedem empfehlen, dass man da lieber noch mal eine zweite Meinung anhört.

Brink: Professor Stefan Willich, Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Berliner Charité, schönen Dank für das Gespräch!

Willich: Okay, vielen Dank!

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