"Wir stehen vor einer Zeitenwende"

Moderation: Ute Welty · 17.10.2013
Der Aufstieg der BRIC-Staaten - Brasilien, Indien und China - sei beispiellos, meint "Spiegel"-Autor Erich Follath. Es sei die größte wirtschaftliche Transformation, die die Welt je gesehen habe. Doch der Boom drohe, wie ein Bumerang zurückzukommen.
Ute Welty: BRICS, BRIC, BIC – wenn Sie jetzt denken, nun hat die Welty ihre Sprechperlen vergessen, dann muss ich Sie korrigieren. Die Abkürzungen sind ganz einfach zu erklären. Sie stehen für die Länder, die dem Westen inzwischen deutlich was vormachen, was das Wirtschaftswachstum angeht. Mit drei dieser Länder hat sich "Spiegel"-Autor und "Spiegel"-Korrespondent Erich Follath beschäftigt, mit Brasilien, Indien und China, eben die BIC-Staaten unter den BRICS-Staaten, zu denen dann noch Russland und Südafrika zählen. Guten Morgen, Herr Follath!

Erich Follath: Guten Morgen!

Welty: Sie sagen, Brasilien, Indien, China, das sind die neuen Großmächte, und so heißt auch Ihr Buch, das Sie heute in Berlin vorstellen. Warum diese drei und warum vernachlässigen Sie Russland und Südafrika derart sträflich?

Follath: Zunächst einmal ist es ja so, dass die große Supermacht – das hatten Sie ja auch schon in den Nachrichten und heute den ganzen Tag – von einer Krise in die nächste taumelt, auch wenn sie jetzt so für die nächsten Monate einigermaßen über die Runden kommt.

Welty: Sie meinen die USA!

"China spricht schon von einer "entamerikanisierten" Welt"
Follath: Genau. Die globale Finanzmacht ist blamiert, die Institutionen sind erschüttert, der amerikanische Präsident musste auch seine Asien-Reise absagen, was dort nicht so sehr gut ankam. Und wir werden das ganze ja wiederholt sehen, noch mal im Winter und Anfang Februar. Und die Chinesen beispielsweise, die haben darauf reagiert und sprechen schon von einer entamerikanisierten Welt. Sie haben dem amerikanischen Traum jetzt einen chinesischen Traum gegenübergestellt. Und es sieht so aus, als gäbe es eine neue Weltordnung, als gäbe es diese neuen Großmächte, wie ich mein Buch genannt habe. Wir stehen da vor einer Zeitenwende. Im Jahr 2013, jetzt in diesem Frühjahr, hat die UNO einen Bericht herausgegeben über die menschliche Entwicklung, und da heißt es, der Aufstieg des Südens ist beispiellos in der Geschwindigkeit und in dem Ausmaß auch. Es ist die größte wirtschaftliche Transformation, die die Welt je gesehen hat. Also es verschieben sich die Gewichte.

Welty: Aber Ihrer Meinung nach verschieben sie sich ja nicht so sehr in Richtung Russland und Südafrika, oder habe ich Sie da falsch verstanden?

Follath: Nein, das ist durchaus so. Russland hat in dieser Konstellation der BRICS - Südafrika kann man da fast vernachlässigen, die BRICS haben ein afrikanisches Land aufnehmen wollen in ihren Kreis und sind auf Südafrika gekommen, man hätte genauso gut mindestens Nigeria nehmen können -, Russland hat einen großen Nachteil: das ist die Demographie. Russland überaltert stark, das tut auch China, aber im Gegensatz auf einem ganz anderen Level. Und die Russen, glaube ich, haben einen großen Fehler gemacht, in den letzten Jahrzehnten eigentlich schon, dass sie nur auf ihre Ressourcen gesetzt haben und ihre Industrie sehr vernachlässigen. Dazu kommt noch, dass, ich glaube, das russische System nicht so sehr attraktiv ist für den Rest der Welt und auch nicht für die Russen selbst und Putin eigentlich, wie soll ich sagen, eher ein letztes großes Aufbäumen in Sachen Syrien und Weltsicherheitsrat versucht. Ich denke aber, dass der Abstieg Russlands innerhalb dieser Großmächte vorgezeichnet ist.

Welty: Es geht auf der einen Seite um enormes Wachstum und auf der anderen Seite um Umweltzerstörung, um Menschenrechtsverletzungen und auch um ein Machtverständnis, das mit unserem Demokratieverständnis nicht immer deckungsgleich ist. Geht das eine vielleicht sogar nicht ohne das andere?

"Wirtschaftlicher Aufstieg, gepaart mit Umweltzerstörung und Korruption"
Follath: Ja das ist die zentrale Frage, weil im Moment beobachten wir ja zwei Phänomene: Erst mal diesen wahnsinnigen Aufstieg, man muss sagen, der letzten 40 Jahre, wo diese Staaten zu wirklich Großmächten, wirtschaftlichen Großmächten geworden sind. Auf der anderen Seite: gerade in den letzten Monaten werden ja sowohl Brasilien als auch China als auch Indien von Demonstrationen erschüttert, und manchmal denkt man fast, der Boom wirkt fast wie ein Bumerang. Die Umweltzerstörung, die Korruption, die Vetternwirtschaft in diesen Staaten, die Prestigeprojekte beispielsweise in Brasilien bei der Fußball-Weltmeisterschaft werden angeprangert und sie werden nicht so sehr angeprangert von den Ärmsten der Armen, sondern von der neuen Mittelklasse, die entstanden ist und die jetzt eben mehr will von ihren Regierungen. Sie will Rechenschaft der Politiker, sie will good governance, wie die Engländer sagen, sie will eine Verantwortlichkeit sehen. Und das vor diesem Hintergrund wirft diese Staaten zwar jetzt im Wachstum etwas zurück.

Ich glaube aber, das Wachstum ist insgesamt und der Aufstieg dieser Staaten ist unaufhaltsam. Welches System nun das beste ist, das wird die interessante Frage sein. Ist dieses autoritäre staatskapitalistische, ja fast Manchester-kapitalistische System der Volksrepublik China das Zukunftsmodell, oder doch eher das chaotische indische Modell? Ich glaube, das ist noch mit ziemlich offenem Ausgang, obwohl die Chinesen, muss man sagen, sehr viele Vorteile haben, und, ich glaube, auch die Partei ist, sich zumindest graduell zu ändern. Das wird dann kein Mehr-Parteien-System à la Großbritannien oder USA oder Deutschland, aber es werden Experimente kommen und es wird immer mehr eine Verantwortlichkeit der Politik verlangt werden von den Menschen, die sich einfach nicht mehr damit begnügen, dass jetzt nun die Lebensbedingungen ein bisschen besser werden gegenüber dem Vorjahr.

Welty: Der "Spiegel"-Autor Erich Follath über die neuen Großmächte Brasilien, Indien und China. Ich danke fürs Gespräch!

Follath: Bitte schön!

Welty: Und Follaths Buch ist ein "Spiegel"-Buch der Deutschen Verlagsanstalt. Die knapp 450 Seiten gibt es für 22,99 Euro.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.