"Wir mögen keine Grenzen"

Von Gerd Brendel · 16.05.2011
Fernab vom Festivaltrubel treffen sich Theaterleute aus der ganzen Welt in den Uferstudios. Sie gehören zu den 50 geladenen Teilnehmern des internationalen Forums, das jedes Jahr am Rande des Theatertreffens stattfindet.
Berlin-Wedding, Montagmorgen kurz nach elf. Körper werden zu einem. Das alte Straßenbahndepot im Norden der Hauptstadt hallt wieder vom Stampfen 20 junger Regisseure, Autoren, Dramaturgen - alle auf der Suche nach einer Theatersprache für den eigenen Körper.

"check the body , theatermaterial körper ist das Motto vom internationalen Forum."

Das Forum gehört zum Begleitprogramm des Theatertreffens:

"Hinter den Kulissen des Theatertreffens machen wir so'n Campus und dieser Campus ermöglicht es, dass wir hier 50 Künstler aus allen Teilen der Welt zusammenbringen."

"Jetzt hat jeder Theatermacher heute diesen offiziellen Live-Ticker auf dem Schirm, was überall auf der Welt passiert, gleichzeitig hat man seine ganzen privaten virtuellen Netzwerke."

Das ist die eine Seite der Wahrnehmung, erklärt Forumsleiter Uwe Gössel das Motto in diesem Jahr. Dem gegenüber steht eine andere Erfahrung:

"Grad in den westlichen Ländern erfahren wir, dass der Körper entweder besonders schön sein soll und gleichzeitig sind Tod und Krankheit wie Unfälle. Aber das Theater kann das, was mit unserem Körper, mit unserer körperlichen Existenz verbunden ist, nicht nur thematisieren, sondern es kann es auch spürbar machen, weil wir teilen ja den Raum zur selben Zeit."

Auf dem Forum gibt es dazu einen Tanz-Workshop und einen Workshop: Chöre auf der Bühne, als Stellvertreter des Publikums oder als "politischer Körper" wie in den antiken Dramen.

Im Workshop, den die Schauspielerin Maricel Alvarez und der Regisseur Emilio Garcia Whebi aus Buenos Aires anbieten, geht es um Grenzerfahrungen:

" Als Künstler versuchen wir immer gegen die eigenen Grenzen zu kämpfen und sie zu überwinden. Wir mögen keine Grenzen, aber wenn wir unsere Beschränkungen verstehen, können wir sie mit unseren Körpern überwinden."

In Innarritús Film "Biutiful" spielt Maricel Alvarez an der Seite von Javier Bardem eine manisch-depressive Alkoholikerin. Jetzt sitzt sie mit jungen Theatermachern im Kreis und diskutiert, was es bedeutet, sich im eigenen Körper nicht zuhause zu fühlen: Miho aus Japan führt den Kimono ihrer Großmutter vor, wunderschön steht sie da und unbeweglich, denn das Kleidungsstück erlaubt nur winzige Trippelschritte.

"Ich hasse das jahrhundertealte Blut, das in meinen Adern fließt", sagt sie immer wieder. Dann ist Natascha Lamulla aus Namibia an der Reihe. Die Regisseurin leitet seit ein paar Jahren ihr eigenes Theater, das einzige in Namibia, wie sie sagt. In ihrem letzten Projekt thematisierte sie den Missbrauch von Kindern in ihrer Heimat, die einem Aberglauben zum Opfer fallen:

"Bei uns propagieren die traditionellen Wunderheiler neuerdings Sex mit einem Kleinkind als Gegenmittel für Aids."

Natascha stellte die Zeitungsbilder der ermordeten und missbrauchten Kinder mit Schauspielern nach und löste einen Skandal in Windhoek aus. Wie lassen sich Nataschas, Mihos und die Erfahrungen der anderen für das Theater umsetzen? Am Ende des Workshops steht eine Präsentation, aber das Ergebnis ist eigentlich Nebensache, viel wichtiger als das Ziel ist der gemeinsame Weg dahin:

"Die Theaterleute sind manchmal in ihren Ländern sehr einsam, und hier schaffen sie 'ne Erfahrung, dass sie nicht allein sind, auch wenn sie zerstreut sind."

Natascha Lamulla aus Namibia formuliert es so:

"Ich habe erkannt, wir haben alle unterschiedliche Probleme. Bei uns in Namibia geht es um die nackte Existenz, wortwörtlich. Was wir hier auf der Bühne beim Theatertreffen erleben, ist weit weg von meinen Erfahrungen, aber das ist großartig. Die anderen erfahren vielleicht, wie es ist, Theater unter schwierigeren Bedingungen als hier zu machen, und ich habe die Möglichkeit zu sehen, wo wir in Namibia sind und wohin wir gehen können.