"Wir können bis allerspätestens 2020 die Kernkraft ersetzen"

Björn Klusmann im Gespräch mit Gabi Wuttke · 05.04.2011
Nach Ansicht von Björn Klusmann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, wird die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien am Energiemix keinen Einfluss auf die Endverbraucherpreise haben.
Gabi Wuttke: Wird eine Physikerin widerlegt? Kann sich ein ganzes Land verändern? Nachdem Angela Merkel sich eines Besseren belehren lassen musste, stehen nun ab sofort Wasser, Wind und Sonne in Deutschland auf dem Plan. Ein Plan, den erstaunlicherweise plötzlich alle gut finden und schon immer gut gefunden haben, ein Plan, den der Dachverband der dazugehörigen Branche schon seit 20 Jahren verfolgt, natürlich auch in diesem Jahr auf der HANNOVER MESSE. Um 06:51 Uhr begrüße ich in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur den Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, Björn Klusmann. Guten Morgen, Herr Klusmann!

Björn Klusmann: Guten Morgen!

Gabi Wuttke: Rennt man Ihren Mitgliedern jetzt in den Messehallen die Bude ein?

Klusmann: Ja, das kann man so ausdrücken. Wir haben ein ganz, ganz hohes Interesse am Thema erneuerbare Energien im Moment, der Anlass ist klar, Sie haben es gesagt, die Situation in Japan und die Wende in der deutschen Energiepolitik, und das spüren wir auch auf der HANNOVER MESSE, wo die erneuerbaren Energien in diesem Jahr einen ganz besonderen Schwerpunkt einnehmen mit der Schwerpunktmesse Wind, das kann man schon spüren, ja.

Gabi Wuttke: Was ist denn stärker nachgefragt, wie weit die Technik ist oder was sie kostet?

Klusmann: Beides. Also die Menschen haben natürlich berechtigte Fragen, ob denn die erneuerbaren Energien schnell genug die Kernkraft ersetzen können, ob die Technologien gut miteinander zu kombinieren sind. Aber es ist natürlich auch die Sorge, ob sich dadurch der Strompreis verändert. Wir können da gut auf unsere Prognosen verweisen, die wir nicht ändern mussten, jetzt nachdem die deutsche Energiepolitik sich sehr schnell geändert hat. Wir haben vor der Episode der Laufzeitverlängerung das Gleiche gesagt, wie wir jetzt auch danach sagen können: Wir können bis allerspätestens 2020 die Kernkraft ersetzen und verlässliche Energieversorgung in Deutschland anbieten, und auf die Energiepreise der Haushaltskunden wird das keinen spürbaren Einfluss zunächst einmal haben.

Gabi Wuttke: Na ja, die letzte Strompreis-Erhöhung, die führte ja schon zu einem gelinden Aufschrei. Was erfahren Sie jetzt von den Menschen in Hannover, die an die Stände kommen: Sind die bereit, mehr zu zahlen, oder stellt man sich so vor, jetzt stellen wir um und alles bleibt schön? Sind wir darauf vorbereitet? Denn es wird teurer werden.

Klusmann: Also es gibt erstens Umfragen, dass in der Tat die Menschen bereit sind, auch für eine nachhaltige Energieversorgung etwas mehr zu bezahlen; aber ich muss widersprechen, die letzten Strompreis-Erhöhungen sind eben nicht auf die erneuerbaren Energien allein zurückzuführen. Zwar ist die EEG-Umlage, damit finanzieren wir ja den Ausbau der Erneuerbaren, etwas angestiegen, aber gleichzeitig haben die erneuerbaren Energien an den Strombörsen, also dort, wo sich die Energieversorger mit Strom eindecken, auch einen preisdämpfenden Effekt, weil viel Windenergie dort ohne Brennstoffkosten zu Preissenkungen eben führt. Das hat im Übrigen die Bundesnetzagentur bestätigt, die die Energieversorger davor gewarnt hat, jede Preiserhöhung immer mit erneuerbaren Energien zu begründen. Also insofern ist da auch viel Mythenbildung unterwegs, die erneuerbaren Energien sind keine Preistreiber, sie haben ehrliche Preise, in denen alle Folgekosten der Energieversorgung eingepreist sind. Das ist bei den anderen Energieträgern noch längst nicht der Fall. Insofern haben wir vor einem ehrlichen Kostenvergleich keine Angst.

Gabi Wuttke: Stricke ich an einem Mythos, wenn ich sage, es wird massenhaft Investitionen geben müssen, die sich ja wohl irgendwo auch niederschlagen? Irgendwer muss es ja bezahlen.

Klusmann: Nein, das ist natürlich kein Mythos, es wird in der Tat massive Investitionen geben. Aber wir sind im Moment ja gerade auf der HANNOVER MESSE, der weltgrößten Industriemesse, und in keiner anderen Branche wird es als Problem gesehen, wenn massive Investitionen ins Haus stehen. Also insofern haben wir gute Nachrichten. Unsere Branchen und Unternehmen werden in diesem Jahr viereinhalb Milliarden Euro in neue Produktionskapazitäten, also Fabriken in Deutschland zur Produktion von Erneuerbare-Energien-Kraftwerken investieren. Das sind in der Regel sehr gute Nachrichten. Unsere Investoren sind Privatakteure, hier fließen keine Staatsgelder, keine Subventionen. Insofern ja, es wird massiv investiert werden, aber nicht jede Investition muss als Kostenfaktor aufgefasst werden. Wir sind in einem Generationenprojekt im Umbau unserer Energieversorgung, und da ist es ganz richtig, dass viel investiert wird. Aber nochmal: Die erneuerbaren Energien haben einen marginalen Einfluss auf die Energiepreise, und das wird auch so bleiben.

Gabi Wuttke: Lassen Sie uns doch mal bei den Bürgern bleiben: Wie, glauben Sie, wird die Zukunft aussehen für die Mitglieder Ihres Verbandes – und das sind ja nicht gerade wenig –, denn wir haben ja auch schon in den letzten Wochen und Monaten erfahren, und das könnte ja massiv steigen, dass es viele Menschen gibt, die sagen, saubere Energie ist schön und gut, aber bitte kommen Sie nicht bei meinem Garten vorbei und legen Sie bitte keine neuen Stromtrassen längs meines Hauses. Worauf müssen wir uns da einstellen?

Klusmann: Also das ist in der Tat ein Thema, das wir sehr ernst nehmen, die Frage der Akzeptanz sowohl des notwendigen Netzausbaus als auch überhaupt des Baus von Anlagen zur erneuerbaren Energieproduktion. Wir haben jetzt, nachdem die Bundesregierung erklärt hat, sie will die Energiewende jetzt doch schneller vorantreiben, ein Zehn-Punkte-Aktionsprogramm für erneuerbare Energien vorgelegt. Fünf dieser zehn Punkte drehen sich genau um das Thema Netze und um die Frage, wie können wir Akzeptanz erhöhen. Und das zeigt, wir nehmen das Thema sehr ernst, wir drücken uns nicht. Ein Thema ist beispielsweise, dass wir mit der Aufteilung der Gewerbesteuer die Kommunen vor Ort besser an den Einnahmen der Netzbetreiber beteiligen wollen. Das schafft auch Akzeptanz, wir kennen das von der Windenergie, dort sind die Standortgemeinden inzwischen besser an der Gewerbesteuer beteiligt …

Gabi Wuttke: … aber Herr Klusmann, die Atomkraftbetreiber, die wissen, was Bürgerprotest heißt, und wir kennen inzwischen auch den Wutbürger. Stellen wir uns doch mal darauf ein!

Klusmann: Ja, wobei ich schon glaube, dass wir da auf doch deutlich unterschiedlichen Ebenen unterwegs sind. Also die Kernkraft ist eine absolut nicht beherrschbare Risikotechnologie, gegen die es seit Jahrzehnten in Deutschland einen wachsenden Widerstand gibt, da sind die lokalen Auswirkungen, die es zweifelsohne bei jeder Technologie der Energieumwandlung gibt, eine ganz andere Dimension. Und häufig ist die Frage der Einbindung der Bürger vor Ort – und das geht bei erneuerbaren Energien, daran können sie sich beteiligen – und auch des lokalen Nutzens der erneuerbaren Energien, auch der ist vorhanden – die Kommunen haben mehr Gewerbesteuereinnahmen, sie gewinnen Handlungsspielräume zurück –, das sind Themen, die dazu führen, dass gerade in Regionen, Norddeutschland vielfach, in denen Windenergie bereits eine lange Geschichte hat, die Akzeptanz über die Zeit sogar steigt. Also insofern denke ich sind wir da doch auf sehr unterschiedlichen Ebenen, was Kernkraft und Erneuerbare angeht.

Gabi Wuttke: Deutschland und die erneuerbaren Energien, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Björn Klusmann, der Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie. Herr Klusmann, besten Dank und schönen Tag!

Klusmann: Ich danke Ihnen!