"Wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht"

Rolf-Dieter Heuer im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 14.12.2011
Physiker des Europäischen Teilchenforschungszentrum Cern sind dem Nachweis des lange gesuchten Higgs-Teilchen einen wichtigen Schritt nähergekommen. Damit habe man ein "Standardmodell der Teilchenphysik" bestätigt, erkärt Cern-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer.
Jan-Christoph Kitzler: Stellen sie sich vor, sie sind auf einer Party mit vielen Gästen, die überall im großen Raum verteilt sind, und plötzlich taucht das Gerücht auf, ein Popstar geht durch den Raum. Sofort sammeln sich viele Menschen dort, wo dieser Star sein soll, und weil das Gerücht durch den Raum wabert, kommt es zu einem Phänomen, das man sich vorstellen kann wie eine wandernde Zusammenballung von Menschen. Das ist ein Bild, mit dem Physiker sich das sogenannte Gottesteilchen oder Higgs-Boson erklären. Nur gefunden hat man dieses kleinste Teilchen, das aller Materie ihre Masse verleihen soll, noch nicht.

Gestern nun haben die Forscher am Genfer Teilchenbeschleuniger LHC, der größten Maschine, die die Menschheit bisher gebaut hat, Ergebnisse veröffentlicht, die weitere Rückschlüsse erlauben auf das Higgs-Boson. Darüber spreche ich jetzt mit Rolf-Dieter Heuer, dem Generaldirektor des Cern, der Europäischen Organisation für Kernforschung, die diesen riesigen Teilchenbeschleuniger betreibt. Schönen guten Morgen!

Rolf-Dieter Heuer: Schönen guten Morgen, Herr Kitzler.

Kitzler: Herr Heuer, was würde denn eigentlich passieren, wenn Sie jetzt das Higgs-Boson nicht finden?

Heuer: Erst einmal möchte ich sagen, Sie haben es wunderbar erklärt, wunderschön.

Kitzler: Danke.

Heuer: Wenn wir es nicht finden, dann machen wir eine Entdeckung, denn dann fehlt uns der letzte wichtige Baustein unseres sogenannten Standardmodells, nämlich dieses Higgs-Boson. Und dieses Biest ist eigentlich dafür verantwortlich, den elementaren Teilchen die Masse zu geben, und das fehlt dann. Das wäre zum ersten Mal, dass dieses Standardmodell ein richtig großes Loch hat, und dann ist es unsere Aufgabe, dieses Loch zu stopfen mit was anderem, mit einem anderen Mechanismus, was das gleiche bewirkt wie das Higgs-Boson.

Kitzler: Das heißt, alle gängigen Theorien, mit denen die Kernphysik jetzt arbeitet, die sind dann über den Haufen geworfen?

Heuer: Nein, es sind nicht alle gängigen Theorien über den Haufen geworfen. Es gibt viele Leute, die auch andere Theorien haben. Aber die, die am besten passt im Moment, ist die des Higgs-Bosons und deswegen suchen wir es auch so verzweifelt, denn wir wissen alles über dieses Biest, alle seine Eigenschaften, nur nicht, ob es existiert.

Kitzler: Gestern haben Sie jetzt neue Ergebnisse veröffentlicht. Wie nahe sind Sie denn jetzt schon dran?

Heuer: Wir haben einen großen Schritt nach vorne gemacht, und zwar haben wir zwei Dinge dieses Jahr erreicht. Erstens mal haben wir das Fenster für die Masse dieses Teilchens, sozusagen für die Bedeutung des Popstars, sehr stark eingegrenzt. Es hat also jetzt nur noch ein begrenztes offenes Fenster, in dem die Masse dieses Teilchens sein kann.

Und innerhalb dieses begrenzten Fensters haben beide großen Experimente am Large Hadron Collider gewisse Abweichungen gefunden, die in positiver Richtung auf ein Higgs-Boson deuten könnten. Allerdings brauchen wir noch sehr viel mehr Daten, und die werden wir nächstes Jahr sammeln. Wir haben also A eingeschränkt und B so ein bisschen vielleicht die ersten Hinweise gekriegt.

Kitzler: Gehen Sie denn davon aus, dass man am Ende zu hundertprozentiger Gewissheit kommt?

Heuer: Ja. Ich habe schon in letzter Zeit meinen Kopf ziemlich weit rausgestreckt und gesagt, Ende nächsten Jahres haben wir eine Entdeckung, denn dann haben wir entweder dieses Higgs-Boson gefunden, oder aber wir schließen seine Existenz aus.

Kitzler: Der Teilchenbeschleuniger, das LHC, ist ja eine riesige Maschine, die auch sehr teuer war. Inwieweit sind Sie eigentlich zum Erfolg verdammt?

Heuer: Ich meine, wenn sie Forschung treiben, dann ist es erst mal wichtig, dass die Geräte, die sie hinstellen und die sie in über 20 Jahren Arbeit sich ausgedacht und gebaut haben, dann auch funktionieren. Sowohl der Beschleuniger als auch die Experimente haben dieses Jahr ausgesprochen gut funktioniert. Sie haben meine Vorhersage für dieses Jahr, meine Versprechungen über die Zahl der Kollisionen um Faktor fünf übertroffen. Das ist ganz fantastisch gelaufen dieses Jahr, und ich glaube, das ist schon mal ein Riesenerfolg.

Zum Erfolg verdammt? - Ja! Wir wollen ja was Neues finden und wir werden das Higgs-Boson entweder finden, oder ausschließen, und das ist das Fantastische.

Kitzler: Gestern hat ja eine andere Forscherin vom Cern gesagt, es stehen jetzt ziemlich aufregende Monate bevor an dieser Forschungseinrichtung. Wie müssen wir uns das vorstellen? Was passiert da jetzt?

Heuer: In den nächsten zwei, drei Monaten ist der Beschleuniger stillgelegt. Wie jedes Auto braucht er auch mal so ein bisschen seine Wartungsphasen. In der Zeit werden die Physiker weiter an den Daten dieses Ergebnisses arbeiten, was sie gestern dargestellt haben, und werden sie dann in einer Publikation als endgültiges Ergebnis festschreiben. Danach werden wir neue Daten nehmen, so ab Mitte März, und dann schauen wir natürlich alle paar Wochen ganz gespannt, wie sich diese Daten entwickeln, wie sich die Analyse dort entwickelt.

Sagen wir mal so: Das Seminar gestern war um 14 Uhr und um 8:30 Uhr waren die ersten Zuhörer schon im Seminarraum, weil unser Seminarraum viel zu klein ist. Daran können Sie ermessen, wie spannend und wie vibrierend es eigentlich hier jetzt ist im Labor.

Kitzler: Wenn Sie dieses Teilchen, dieses Higgs-Boson, identifiziert haben, was wissen wir dann eigentlich?

Heuer: Dann haben wir dieses sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik bestätigt. Dann haben wir ein geschlossenes Modell, ein Modell, was aber gerade so vier bis fünf Prozent der Materie und Energiedichte des Universums beschreibt. 95, 96 Prozent sind dunkle Materie und dunkle Energie, ein Viertel dunkle Materie, drei Viertel dunkle Energie, die das Universum auseinander treibt. Wir müssen noch 96 Prozent der Materie und Energiedichte des Universums verstehen. Wir haben noch viel, viel Arbeit in den nächsten 20 Jahren vor uns. So lange wollen wir diesen Beschleuniger betreiben.

Kitzler: Die Arbeit wird Ihnen also nicht ausgehen.

Heuer: Oh nein!

Kitzler: Das war Rolf-Dieter Heuer, der Generaldirektor des Kernforschungszentrums Cern. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Heuer: Ja, bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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