"Wir brauchen eine Reform der Reform"

Julian Nida-Rümelin im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin begrüßt die Entscheidung der Kultusministerkonferenz (KMK), bei den Bachelor- und Masterstudiengängen nachzubessern.
Gabi Wuttke: Die Studenten in Deutschland hielten es nicht mehr aus. Sie gingen auf die Straße, unterstützt von vielen ihrer Hochschullehrer: Weil das Bachelor-Studium sie zu Lernmaschinen macht, weil der verschulte Bologna-Prozess sie erdrückt. Zehn Jahre nach dem Beschluss, ein einheitliches europäisches Hochschulwesen zu schaffen, wollen die Kultusminister der 16 Bundesländer für flexiblere Studiengänge und vereinheitlichte Abschlüsse sorgen. – Am Telefon ist jetzt der Kulturstaatsminister a.D., Julian Nida-Rümelin, heute Professor für Philosophie in München. Guten Morgen, Herr Nida-Rümelin.

Julian Nida-Rümelin: Guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Sie sind einer der vehementesten Kritiker des Bologna-Prozesses. Hatten Sie noch damit gerechnet, dass sich die KMK bewegt?

Nida-Rümelin: Dass die KMK so schnell reagiert, das ist wirklich erfreulich und ungewöhnlich, wenn man die Geschichte der KMK kennt. Ich nehme an, in der Tat: die Studierenden sind dafür ausschlaggebend. Von Seiten der Professoren wurden ja immer wieder Einwände formuliert, sehr ernst auch begründet, aber das hat keine Rolle gespielt oder wenig Eindruck gemacht. Aber jetzt, wenn die Studierenden dasselbe sagen, das ist dann doch irritierend und ich glaube, das war der letztlich ausschlaggebende Punkt.

Wuttke: Aber ist es nicht beunruhigend auf der anderen Seite, dass der Druck von außen jetzt eine Nachbesserung bewirkt und nicht die Einsicht in vernünftige Argumente, die ja schon sehr, sehr lange vorgetragen worden sind?

Nida-Rümelin: Also was immer jetzt die Motive sind, es ist jedenfalls höchste Zeit. Wir brauchen eine Reform der Reform, weil wir sonst eine ganze Studierendengeneration in ein System hineinschicken, was unausgegoren ist, was im Grunde keine Mobilitätschancen bietet, und das ist einfach unfair. Das wäre unfair gegenüber einer ganzen Studierendengeneration. Von daher bin ich froh über die Entwicklung.

Wuttke: Die KMK hält sich noch mit Details ihrer Einigung zurück. Sie sollen erst heute Vormittag bekannt gegeben werden. Wie müsste denn idealerweise für Sie der Bologna-Prozess jetzt fortgesetzt werden?

Nida-Rümelin: Also es gab bestimmte Ziele, die waren vernünftig und die bleiben vernünftig, zum Beispiel die Mobilität innerhalb Europas zu erhöhen. Was passiert ist, dass Studiengänge konzipiert wurden in breiter Front (nicht nur in Deutschland, aber da besonders), die eine solche Mobilität gar nicht mehr zulassen. Die sind so hochgradig verschult, dass jedes Auslandssemester das gesamte Konzept zum Zusammenbruch bringt und mit Zeitverlusten verbunden ist. Und da wurde von der Wissenschaftspolitik geantwortet, ja, kein Problem, vertikale Mobilität, das heißt zwischen Bachelor und Master, haben wir ja, das wird zunehmen. Mag ja sein, nur das ist unfair gegenüber den zwei Dritteln, oder wie viel auch immer Prozent es sein werden, die – das wollte ja die Wissenschaftspolitik – nach dem Bachelor erst mal zumindest in den Beruf gehen. Dann haben sie nämlich vorher eben keine Auslandsstudien hinter sich gebracht. Also das ist erst mal das Allerwichtigste. Ich glaube, es wird wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass man am Ende eine europaweite Vereinbarung braucht – das wäre ideal – zwischen den Universitäten, dass die Studienleistungen, gemessen jetzt in ETTS-Punkten, anerkannt werden und dass man die Studiengänge so entschlackt und entschult, dass Auslandssemester möglich sind.

Wuttke: Sie sprechen jetzt von einer europaweiten Einigung. Auf welcher Ebene muss die dann getroffen werden?

Nida-Rümelin: Ja, gut, das sind jetzt Details. Da bräuchten wir länger. Ich meine, wenn die Universitäten, was ja eigentlich ihrer neuen Autonomie, die sie jetzt zum Teil gewonnen haben, jetzt entspräche, da auf Universitätsebene zu einem Ergebnis kämen, meinetwegen sogar auf Fakultätsebene, das heißt also fächerspezifisch, dann würde das ausreichen. Frage ist, ob der Prozess schnell genug über die Bühne geht und ob es da nicht zumindest zu Beginn eines politischen Impulses auf europäischer Ebene bedarf.

Wuttke: Sind Sie der Ansicht, dass nicht nur zehn Jahre vergeudet wurden, sondern auch mit dem Blick nach vorne und dem, was Sie gerade sagten, dass wenn es denn ins Rollen käme, dann auch noch einige Zeit braucht, um wiederum neu strukturiert zu werden, dass es sehr, sehr viele verlorene Jahre für die Bachelor-Studenten in Deutschland waren?

Nida-Rümelin: Also ganz so kritisch sehe ich es nicht, weil der Status quo ante, der Zustand vor Beginn des Bologna-Prozesses war ja auch in vielen Bereichen wirklich deplorabel. Es war ja nicht alles in bester Ordnung. Wir hatten extrem hohe Studienabbrecherquoten, die Studiengänge in den Geistes- und Sozialwissenschaften haben ein Großteil der Studierenden offenbar überfordert, sie haben sehr viel Freiheit gegeben, sehr viel akademische Freiheit, aber eben offenbar zu viel für manche Studierende. Das heißt, wir haben jetzt eine gewisse Strukturierung erreicht, die man nicht vollständig rückgängig machen sollte. Aber eben Verschulung muss unbedingt abgebaut werden und vor allem muss man auch der Lebenswirklichkeit junger Menschen gerecht werden. Ich meine, viele jobben, und zwar zum Teil, weil es einfach nötig ist, und zum Teil, weil sie damit auch Erfahrungen sammeln, die ihnen später den Weg in den Beruf erleichtern. Dieses Jobben ist während des Studiums praktisch nicht mehr möglich, um ein Beispiel zu nennen. Oder Kinder haben ist praktisch nicht mehr möglich. Das kann nicht sein! Das muss sich sehr plötzlich und sehr grundlegend ändern.

Wuttke: Zeigt sich am Bologna-Prozess in Deutschland für Sie eigentlich, genauer gesagt mit dem Blick auf die Justierungen, die Nachjustierungen, die jetzt vollzogen werden sollen, dass der Föderalismus letztlich mal wieder über sich selbst gestolpert ist, oder beweist die Einigung eigentlich die Stärke des Systems?

Nida-Rümelin: Also ich hätte mir insgesamt eine stärkere Rolle des Bundes gewünscht. Ich meine, letztlich muss ja Deutschland auch im internationalen Vergleich als Bildungsnation bestehen. Es gibt eine nationale Verantwortung für Kultur. Ich bin ein in der Wolle gefärbter Föderalist, bayerischer Föderalist, das ist klar, und man kann den Ländern nicht das Gebiet nehmen, in dem sie noch am ehesten eigene Gestaltungsmöglichkeiten haben. Das ist nun mal Kultur und Bildung. Da gibt es nichts dran herumzureden. Aber dass der ganze Prozess derart umständlich und überbürokratisiert gelaufen ist, hängt schon auch mit der Tradition des deutschen Föderalismus zusammen. Man hätte sehr viel lockerere Rahmenbedingungen setzen können auf Bundesebene. Der Bund ist nun mal die Ebene, auf der koordiniert wird. Überall dort, wo die Länder in ihren Kompetenzen an Schranken stoßen, ist der Bund dran. Da kann man nicht noch eine dritte Ebene einziehen – das ist ja die KMK -, die mit Vetoprinzip übrigens arbeitet. Wenn nicht alle 16 zustimmen, dann wird nichts geschehen. Also ich glaube, der Bund hat einen großen Fehler gemacht, Bildungskompetenzen abzugeben, statt das besser auszubalancieren. Ich hoffe, das ändert sich in naher Zukunft.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Julian Nida-Rümelin, der Kulturstaatsminister a.D.. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Nida-Rümelin: Nichts zu danken! Seien wir optimistisch!

Wuttke: Wiederhören!

Nida-Rümelin: Wiederhören.