Wintertourismus im Allgäu

Proteste gegen Schneekonservierung

13:16 Minuten
Mit einer Schleuder wird ein Haufen Schnee mit Sägemehl bedeckt.
Beim Snowfarming wird Kunstschnee angehäuft und anschließend mit feuchtem Sägemehl bedeckt. © picture alliance/ Keystone/ Christian Beutler
Von Tobias Krone · 28.06.2019
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Das Experiment "Snowfarming" der Gemeinde Scheidegg im Allgäu sorgt für Kritik bei Naturschützern. "Fridays for Future"-Aktivistin Lucia Böck will das Einlagern von künstlichem Schnee verhindern: Das sei "ein Schlag ins Gesicht für den Klimaschutz."
Hinter dem Kurhaus in Scheidegg ist es schattig an diesem heißen Junitag – es ist der richtige Ort für ein Experiment, das im Verborgenen stattfindet. Michael Bart, der jedes Jahr aus dem Ruhrgebiet zum Wandern herkommt, hätte den großen Haufen fast übersehen.
"Wissen Sie, was das ist?"
"Nein. Keine Ahnung."
"Was vermuten Sie denn?"
"Ich vermute mal, dass das gehäckseltes Holz ist, das jetzt irgendwie gelagert werden soll, aber ich habe keine Ahnung, wofür."
Nur ein paar kleine Pfützen am Rand des Haufens verraten ein wenig, dass es nicht die Hackschnitzel sind, die hier schwitzen, sondern das, was sie verbergen. Der unscheinbare Haufen, 40 Meter lang und vier Meter hoch, besteht zum größten Teil aus Schnee.

Ein unscheinbarer Haufen Schnee

"Man muss sich das halt so vorstellen: Wenn Sie in einem gut gedämmten Haus sitzen, schwitzen Sie ja auch nicht bei 25, 30 Grad, sondern da ist es ja auch noch angenehm kühl. Und so ähnlich funktioniert das Ganze natürlich auch. Durch diese 50 bis 70 Zentimeter Hackschnitzel soll die Kälte in dem Schneeberg bleiben, beziehungsweise die Wärme von außen abgeschirmt werden. Wir werden dann im Herbst sehen, ob es so funktioniert hat, wie wir uns das vorgestellt haben."
Roland Schlechta ist Bauamtsleiter und betreut das Experiment "Snowfarming", das die Gemeinde Scheidegg im Winter begonnen hat. Sie hat Schnee eingelagert. Für den nächsten Winter. Scheidegg ist im westlichen Allgäu eine der ersten Langlauf-Loipen – nur meist mit Startschwierigkeiten.
Bauamtsleiter Roland Schlechta
Bauamtsleiter Roland Schlechta betreut das Experiment "Snowfarming".© Deutschlandradio / Tobias Krone
"Gerade in schneearmen Zeiten um die Weihnachtszeit herum ist das Problem, dass der Saisonstart meistens sehr holprig stattfindet."
Da aber in den Weihnachtsferien sehr viele Menschen langlaufen wollen, überlegen die Scheidegger, wie sie für diese Tage Schnee auf die Loipe bekommen. Oder zumindest ein bisschen mehr Schnee.
"Der jetzt produzierte Schnee langt für circa 500 Meter Langlaufloipe auf der grünen Wiese. Aber es ist jetzt nicht dafür gedacht, quasi auf der grünen Wiese komplette Langlaufloipen anzubieten, sondern mal als Versuch."

Schneehaufen unter Hackschnitzeln

Der Gemeinderat hatte sich zuvor das Snowfarming in Seefeld in Tirol angeschaut. Dort lagert man mehrere Tausend Kubikmeter pro Jahr unter Hackschnitzeln ein, etwa das Zehnfache des Scheidegger Schneehaufens. Da dieser etwa 300 Höhenmeter tiefer liegt, will Scheidegg erst einmal schauen, wie viel Schnee am Ende übrig bleibt.
Das Pärchen aus dem Ort, das an diesem Nachmittag hier mit Stöcken vorbei wandert, grinst sich an, als es auf den Schneehaufen angesprochen wird. Sie denken daran, wie beim Frühjahrshochwasser der benachbarte Bach über die Ufer trat.
"Vor zwei Wochen war da Hochwasser und da habe ich gedacht, in den nächsten Nachrichten bringen sie, der Eisberg hat das Kurhaus gerammt. Also, das macht keinen Sinn. Für uns Scheidegger macht es auf jeden Fall keinen Sinn."

Skepsis der Dorfbewohner

Die zwei verraten nur ihre Vornamen. Thomas und Monika. In ihrem Bekanntenkreis seien die meisten gegen das Snowfarming-Projekt.
"Klar, er kommt ein bissle später. Der Winter ist ab Dezember. Aber wir haben dann die letzten Jahre immer so viel Schnee gehabt. Die haben gar nicht gewusst, wo sie ihn hinfahren sollen. In Lindenberg haben sie auch einen riesigen Schneehaufen am Waldsee, weil sie da den Schnee lagern müssen. Im Ort ist gar keine Möglichkeit."
"Die Wanderkurgäste sind sonst da im Herbst. Dann zieht sich der Herbst halt ein bisschen mehr in die Länge, und wenn Schnee liegt, dann gehen sie auch Skifahren. Ich hoffe, dass er wegschmilzt, dann macht man nächstes Jahr die Dummheit nicht mehr."

Eine teure Angelegenheit

Das Projekt hat in Scheidegg seine Gegner. Zumal das Transportieren des Schnees Geld kostet. Doch die Alternative wäre, feste Schneekanonen entlang der Loipen aufzustellen.
"Das ist natürlich mit einem relativ hohen Investment verbunden. Da sprechen wir also von zwischen ein und zwei Millionen, je nachdem, wie viel Strecke man macht. Dann natürlich das Thema Schneeteich, Beschneiungsteich – das sind natürlich alles Punkte, die da natürlich eine Rolle spielen und natürlich auch mit Kosten verbunden sind."
Zudem entspreche es der ökologischen Philosophie der Gemeinde, den Schnee zu konservieren unter einer natürlichen Decke aus Hackschnitzeln, die man im Anschluss verbrennen könne. Das Snowfarming soll auch für den Weg eines sanften Tourismus stehen. Doch ob das wirklich so ist – der Grünen-Politiker Christian Zwanziger im Bayerischen Landtag München wiegt skeptisch den Kopf hin und her.
"Wenn der Schnee, der in diesem Depot gelagert wird, jetzt überschüssiger Naturschnee wäre, der in schneereichen Wintern anfällt – das wäre das eine. Aber nach den Informationen, die mir vorliegen, geht es meistens darum, dass man zum Ende der Saison nochmal die kälteren Temperaturen nutzt, um dann Kunstschnee zu produzieren, den man dann einlagert. Und dann ist unterm Strich die Problematik bei dem Kunstschnee in dem Lager für Snowfarming die gleiche wie bei Kunstschnee, den wir sonst im Winter sehen, nämlich der energieintensive Einsatz, den zu produzieren."
Das Bild zeigt einen Kubikmeter Schnee unter Hackschnitzeln.
Unter den zu sehenden Hackschnitzeln befindet sich ein Kubikmeter Schnee.© Deutschlandradio / Tobias Krone
Naturschnee kann man in Wintersportorten nur bedingt gebrauchen. Das Problem: Er ist zu weich. Auch in Scheidegg hat eine – gemietete – Schneekanone vier Tage und Nächte lang den Haufen aufgepudert. Bauamtsleiter Roland Schlechta:
"Der Kunstschnee hat eine viel engere Zusammensetzung. Man muss sich das so vorstellen, dass er mehr Richtung Eis – Eiskristalle geht und nicht so locker ist, wie der natürliche Schnee, der viel weicher ist. Als der Schneeberg fertig war, konnte man da fast nicht drauf laufen, weil der einfach hart und eisig war. Und das ist natürlich genau das, was im Herbst auch rauskommen soll, dass es ein sehr harter Schnee ist, wenn er geöffnet wird, der dann auch über einen längeren Zeitraum quasi dem Regen oder auch dem Sonnen- und Wärmeeinfluss trotzen soll."

Wasserleitungen und Schneeteiche – nicht gerade klimafreundlich

Der Klimawandel ist in vollem Gange. Und das setzt vor allem Orte in den bayerischen Alpen unter Druck. Skifahren wird auf längere Sicht nur noch oberhalb der 1500-Meter-Marke möglich sein, sagen Experten. Übrig bleiben da eigentlich nur die Zugspitze und Nebel- und Fellhorn rund um Oberstdorf. Die anderen Skigebiete müssen jetzt in Schneekanonen investieren, damit sie noch zwanzig Jahre was davon haben.
Noch subventioniert der Staat Bayern künstliche Beschneiungsanlagen. Wie es in den kommenden Jahren aussieht, ist ungewiss. Und das sorgt dafür, dass viele Skigebiete auch im Oberallgäu schnell noch Pläne einreichen für Wasserleitungen und Schneeteiche, in denen das Wasser für die Schneekanonen gesammelt wird. Im Allgäu lässt sich beobachten, wie dieser Ausbau der Alpen gerade die Bevölkerung spaltet. Die einen sehen den wirtschaftlichen Profit, die anderen – Grund zu streiken:
"Und wenn wir an jedem Ort solche Sachen verhindern, die einfach wieder ein Schlag ins Gesicht sind für den Klimaschutz, dann können wir einen großen Beitrag leisten – wir müssen auf allen Ebenen ansetzen."
Fridays for Future-Aktivistin Lucia Böck
Lucia Böck ist gegen Beschneiungsanlagen im Allgäu: Der Klimaschutz ist ihr wichtiger.© Deutschlandradio / Tobias Krone
Lucia Böck ist das lokale Gesicht von Fridays for Future. Die 19-Jährige hat auf ihren Rucksack eine bunt beschriebene Demo-Pappe geschnallt mit dem Slogan: "Rettet den Grünten!" Es geht um ihren Hausberg.
Während sich viele Mitstreiter an diesem Donnerstag zum Kohleprotest nach Aachen aufgemacht haben, geht die Studentin heute mit dem Reporter wandern. Auf dem Grünten will eine einheimische Familie ein Skigebiet wiederbeleben, das pleite gegangen ist und zwei Winter lang brach lag. Umweltschützer und nun auch Fridays for Future wollen das verhindern.

Der Berg ist kein Rummelplatz

"Ein Berg wird wieder zu einem Rummelplatz gemacht und zu einem Freizeitpark. Anstatt dass man einfach sagt: Ein Berg ist ein Berg, das ist Natur – und es gehört der Natur. Es ist doch nicht so, dass wir wieder hergehen können und sagen: Einzelne Leute wollen Profit, also opfern wir wieder einen ganzen Berg dafür."
Eine Gondelbahn und ein Sechser-Sessellift sollen die alten Schlepplifte ersetzen, die neben Kühen auf den Almwiesen herumstehen. Und auch Kunstschnee soll es geben, sagt Anja Hagenauer. Die 22-Jährige ist die Tochter der Investorenfamilie, die in Rettenberg am Fuß des Grünten lebt.
"Es ist einfach absolut wichtig, verlässlich zu sein für die Besucher, die Gäste, die Übernachtungen im Voraus buchen möchten. Dadurch – ja – muss eine Beschneiung unbedingt ausgebaut werden. Wir werden neue Kanonen dazukaufen müssen, wir werden vielleicht Leitungen neu verlegen müssen. Mit dem Wasser sind wir gerade in Planung – wo das herkommen soll."

Baustellen im Almgebiet

Der Bund Naturschutz befürchtet, dass ein weiterer Schneeteich her muss. Baustellen im Almgebiet sorgen für hässliche Bilder – und heftige Gegenreaktionen von Naturschützern, wie der Bau eines Schneeteichs bei Bayrischzell vor einigen Jahren gezeigt hat. Auch für die Familie Hagenauer wäre ein weiterer Teich eine Option.
Doch der Gedanke, dass Wasser auf dem Berg für Kunstschnee reserviert bleiben soll, leuchtet Fridays-Aktivistin Lucia Böck nach der Erfahrung des vergangenen Sommers nicht ein.
"Wir hatten Wasserknappheit, da gab es Dörfer, die hatten kein Trinkwasser mehr. Da musste mit dem Lastwagen Wasser angeschleppt werden. Und hier ist auf einmal 70.000 Kubikmeter Trinkwasser da, um Schnee herzustellen."

Glider – eine Belastung für Wald

Der Grünten ist ein Traditions-Skigebiet, die neuen Bahnen ersetzen nur alte Skilifte, deshalb dürfte die Genehmigung kein Problem sein. Doch die Hagenauers wollen die Gondelbahn auch im Sommer betreiben. Und als besondere Attraktion haben sie den Grünten-Glider geplant. Eine Art Hänge-Achterbahn, auf der die Besucher einzeln durch den Bergwald ins Tal kurven – mit einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Die Stahlschiene wäre an Bäumen befestigt.
Es wäre eine Weltneuheit, aber auch eine hohe Belastung des Waldes und seiner Tiere, fürchten Naturschützer. Anja Hagenauer, die für den Glider lieber das Wort Walderlebnisbahn verwendet, hält die Eingriffe für vertretbar. Und auch die Tiere würden sich an den Walderlebnisgleiter gewöhnen.
"Die Tiere, die sind nicht dumm. Die wissen dann genau, okay, das ist die Linie, da geht es runter, da kommen Menschen. Die gewöhnen sich daran. Und dann sind die halt einen Meter weiter drüben. Oder sie wüssten sogar: Okay, hier kommt kein Raubvogel her oder sonstiges. Das gibt es auch, das beobachten wir viel an unserer Anlage an der Alpsee Bergwelt."
Das Bild zeigt eine blühende Wiese auf dem Berg "Grünten".
Die Wiesen auf dem Berg "Grünten" blühen wieder, seit die Lifte stillstehen. © Deutschlandradio / Tobias Krone
Am Alpsee, gut 10 Kilometer weiter, betreiben die Hagenauers schon sehr erfolgreich den Alpsee Coaster, eine rasante Sommerrodelbahn. Noch halten sich Attraktionen wie diese in den bayerischen Alpen in Grenzen – im Gegensatz zu Tirol, wo Mountainbike-Trails, Hochgeschwindigkeits-Seilbahnen oder Streichelzoos fest zum Sommer-Portfolio gehören.

Vom Wintersportgebiet zum Sommererlebnispark

Erlebnishungrige Touristen fragen so etwas nach. Der Weg vom Wintersportgebiet zum Sommererlebnispark erfordere daher Attraktionen wie einen Grünten-Glider. Findet Landrat Anton Klotz von der CSU.
"Wir müssen damit rechnen, dass wir in 15, 20, 25 Jahren nach jetzigem Stande immer weniger Schnee haben, und insofern wird der Sommertourismus immer wichtiger. Vor allem auch aus wirtschaftlichen Gründen. Auf der anderen Seite wollen wir, dass die Wertschöpfung bei uns im Allgäu stattfindet, nicht sonst wo, sondern bei uns im Allgäu. Und wenn ich im Sommer eine gute Infrastruktur anbiete, dann ist das auch ein Teil der Wertschöpfung."
Einen Glider durch den Bergwald würde es zunächst einmal nur auf dem Grünten geben. Das würde Touristen nach Rettenberg am Fuß des Berges ziehen – weswegen der dortige Gemeinderat geschlossen für das Projekt ist. Und dennoch sind einige Bergbauern dagegen. Denn dass es auch anders geht, hätten die vergangenen zwei Jahre gezeigt. Der Betrieb brummt an diesem bewölkten Feiertag in der Grünten-Hütte von Norbert Zeberle. Auch ohne Lifte. Das sei auch im Winter so.

Schneeschuhwandern statt Hänge-Achterbahn

"Wir haben ein Konzept angeschlagen mit unserer Naturrodelbahn, wir haben Eventfirmen, die mit Schneeschuhgängern kommen. Und natürlich die Tourengeher kommen explizit hierher, weil kein Skilift mehr läuft."
"Und wie läuft’s?"
"Ehrlich gesagt, besser als gedacht. Das Publikum hat sich komplett geändert. Andere Zielgruppen - das heißt: Jeder, der zu uns will, muss sich bewegen. Wir haben nur noch zufriedene Leute, die kommen mit einem Lächeln rein, jeder hat was gemacht. Die Leute bleiben länger sitzen, sie unterhalten sich auch miteinander. Im Skibetrieb ist es schnelllebig – da kommt ein Gast, der 40 Euro für die Tageskarte zahlt, der will die natürlich reinfahren, die Karte. Er hat ungefähr eine Viertelstunde, 20 Minuten für Essen und Trinken und geht wieder. Diese Hektik gibt’s nicht mehr."
Der sanfte Tourismus am Grünten – er könnte ein kurzes Kapitel bleiben. Die Wiesen blühen wieder viel bunter, seitdem die Skilifte im Winter stillstehen, sagt Norbert Zeberle von der urigen Grünten-Hütte. Wenn das neue Skigebiet kommt, wird auch sie einem Berggasthof weichen.
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