Winterschlaf in der "Dicken Wirtin"

12.07.2013
Gedde ist Schriftsteller. Bald wird er 60, und von seinem Beruf hat er die Nase voll. Drum fährt er nach Berlin und setzt sich in die "Dicke Wirtin". In Ingvar Ambjørnsens Roman wird dieser durchschnittliche Typ zu einer faszinierenden Figur.
Ein alternder Schriftsteller im Getriebe des norwegisch-deutschen Literaturbetriebs, die Metropole Berlin mit ihren - vor allem für Nordländer! - höllischen Verführungen und eine manische Erzählsucht: Das sind die Ingredienzien, aus denen Ingvar Ambjørnsen einen absurd anmutenden Roman entwirft.

Der norwegische Autor, 1956 in Tønsberg geboren und durch seine erfolgreichen "Elling"- Romane längst nicht nur in Skandinavien bekannt, hat mit der Figur des Claes Otto Gedde einen Protagonisten kreiert, der auch als alter ego des Autors gelesen werden kann. Wie so oft bei Ambjørnsen ist auch dieser Gedde ein neurotisches und problembeladendes Wesen. Von Verlegern und Schriftstellerkollegen wird er als Mann mit "toskanischen Visionen" bezeichnet, der für seine geheimen Italien-Projekte gern Vorschüsse in Millionenhöhe verlangt.

Obwohl sich Gedde schon seit langem in einer Dauerkrise befindet, treibt ihn nun die Erkenntnis um, dass eigentlich alles immer schief läuft. Hinzu kommt, dass er demnächst sechzig Jahre alt wird - sich also tief in der Midlifec Crisis befindet – und zunehmend unter seiner Schriftstellerexistenz leidet.

Denn zuletzt stand Gedde als Autor des norwegischen Freßsack-Verlages mit dem Buch "Die alte belgische Küche" in der literarischen Öffentlichkeit. Die Publikation war für den Verleger Odd Einar Olsen zwar ein großer Glückstreffer, dem Verfasser wurde angesichts des Erfolgs aber seine wachsende Ideen- wie Sprachlosigkeit bewusst.

Aus Frankfurt am Main kommend, wo Gedde zwei anstrengende Tage auf der Buchmesse verbracht hat, nimmt er sich vor, in Berlin "Winterschlaf" zu halten und ganz nebenbei über ein neues Projekt nachzudenken. Als Fluchtort dient dem Norweger der Kiez um den Savignyplatz, wo sich die geliebten Kneipen sowie das legendäre Charlottenburger Restaurant "Dicke Wirtin" befindet, in dem seit Jahrzehnten Künstler, Studenten und Schriftsteller aus aller Welt verkehren. Dort fühlt sich Gedde wirklich heimisch.

Ganz in der Nähe liegt auch die Wohnung seiner verstorbenen Freundin Margot Breivik, deren plötzlicher Tod die eigene Lebenskrise noch verstärkt. Aber seine Trauer über den Verlust der Geliebten kann man zwischen den Zeilen nur ahnen, der Text weicht einem Nachdenken darüber aus.

Ingvar Ambjørnsen hat mit Claes Otto Gedde einen diffusen Charakter geschaffen, der sich immer tiefer im dicht gewebten Netz des Erzählens verfängt. Ein Kartographieren seiner Kreise, in denen er sich bewegt, würde ergeben, dass er auf 250 Seiten kaum von der Stelle gekommen ist. Allein in der Sprache ist Ambjørnsens Protagonist mit hohem Tempo unterwegs. Es sind die Worte, die diese faszinierende Figur zusammenhalten – so wie es sich für einen richtigen Schriftsteller-Roman gehört.

Besprochen von Carola Wiemers

Ingvar Ambjørnsen: Eine lange Nacht auf Erden
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Rotbuch Verlag, Berlin 2013
251 Seiten, 18,99 Euro

(Titel der Originalausgabe: "En lang natt på jorden, Cappelen Damm, Oslo 2007)