"Wintermärchen" von Jan Bonny

Im Innenleben einer Terrorzelle

10:28 Minuten
German director Jan Bonny poses during a photocall for the film "WintermaerchenÒ during the 71st Locarno International Film Festival, Friday, August 10, 2018, in Locarno, Switzerland. The Festival del film Locarno runs from 1 to 11 August. (KEYSTONE/Alexandra Wey) |
Der Regisseur Jan Bonny bringt seinen neuen Film "Wintermärchen" in die Kinos. © picture alliance/dpa/KEYSTONE/Alexandra Wey
Jan Bonny im Gespräch mit Patrick Wellinski · 16.03.2019
Audio herunterladen
Regisseur Jan Bonny hat einen Spielfilm über die Beziehungsdynamik eines rechten Terror-Trios gedreht. In „Wintermärchen“ sind die Parallelen zum NSU-Skandal kaum zu übersehen, auch wenn es, wie Bonny sagt, kein Film über die realen NSU-Mitglieder ist.
Patrick Wellinski: Eine Frau schlägt ihren Ehemann. Mit dieser Variante der häuslichen Gewalt feierte der deutsche Regisseur Jan Bonny international große Erfolge. Doch seit seinem Debütwerk "Gegenüber" sind jetzt fast elf Jahre vergangen. Nach mehreren Ausflügen ins Fernsehen kehrt Jan Bonny kommenden Donnerstag wieder ins Kino zurück. Und erneut geht er ans Eingemachte. In "Wintermärchen" wagt Bonny einen Blick in die Funktionsmechanismen einer deutschen Terrorzelle. Drei Neonazis, die morden, fluchen, feiern, miteinander schlafen und dann wieder morden. Hart und schonungslos versteht sich "Wintermärchen" als Blick auf die deutsche Gegenwart im Gewand eines filmischen Experiments. Das erinnert allein durch die Dreierkonstellation natürlich auch an den NSU. Als ich Jan Bonny zum Interview traf, wollte ich daher von ihm wissen, ob er sich noch an die Ausgangsidee für "Wintermärchen" erinnern kann.

Politischer Film

Jan Bonny: Das hat ja nie eine Quelle. Es kommen ja immer so ein paar Sachen zusammen. Und auch, wenn das wirklich überhaupt kein Film über den NSU ist, in dem Sinne, dass er jetzt die realen Figuren des NSU oder die realen Umstände verhandelt, liegt der Ursprung doch in dem Besuch des NSU-Prozesses, wo ich war mit einem Freund von mir, Alex Wissel, der bildender Künstler ist. Und nach einer Weile, wir haben noch nicht angefangen, uns darüber zu unterhalten, wir haben angefangen, uns darüber zu unterhalten, was für Filme und was für künstlerische Arbeiten es gibt über rechte Gewalt und welche Ansätze da meistens verfolgt werden und was man vielleicht noch machen könnte, wenn man einen politischen Film macht.
Ich würde sagen, dass "Wintermärchen" ein politischer Film ist. Die Produzentin Bettina Brokemper, mein Co-Autor Jan Eichberg und ich, wir haben versucht, auf unsere Zeit zu reagieren - vielleicht auch auf diesen Prozess, aber eben nicht direkt. Indem wir einen Film machen wollten, der unmittelbar funktioniert, der versucht, nicht auf der ersten Ebene auch zu belehren oder pädagogisch zu sein oder zu erklären, sondern einen auf eine unmittelbare Art und Weise in solche gruppendynamische Prozesse reinwirft, mit vielen offenen Stellen und Fragen. Der Film ist auch letztlich mehr als Frage an den Zuschauer gemeint als jetzt als direkte Antwort.

Zugang über Beziehungsdrama

Wellinski: Es stimmt, dass Sie auf jeden Fall nicht moralisieren, über diese Menschen jetzt irgendwie keinen Zeigefinger heben. Man sieht sie einfach erst mal nur beim Handeln.
Bonny: Ja, das stimmt und das ist auch unangenehm. Das soll es natürlich auch sein, aber der Film bietet einen Zugang über ein Beziehungsdrama, wenn man so will. Er bietet einen Zugang zu Figuren, die man wahrscheinlich … Ja, jetzt fängt es an, das will ich eben nicht vorgeben. Aber sagen wir mal, das Beziehungsdrama bietet den Zugang zu diesen Figuren, die natürlich Dinge tun, die man ablehnen sollte als Zuschauer. Ich lehne diese Gewalt ab, die da passiert. Aber wir wollten einen Weg finden, trotzdem eine sinnliche Nähe dazu herzustellen, um den Zuschauer zu zwingen, darüber ein Urteil zu fällen, ohne dass wir das vorgeben.
Wellinski: Man muss sich das jetzt vorstellen, dass, wenn Taten passieren, die Drei quasi auch aufgeladen zurück in ihre Wohnung kommen. Und ich hatte das Gefühl, es entlädt sich recht häufig über eine Sexualität. Das ist ein recht prägnantes Moment in Ihrem Film, es kommt ja immer wieder zu unterschiedlichen auch sexuellen Konstellationen. Warum war es Ihnen wichtig, diese Gewalt über die Sexualität zu erzählen?
Bonny: Ich würde sagen, die Gewalt ist eher über die Beziehungsdynamik der Drei erzählt. Das ist die Verknüpfung. Das ist nicht nur vordergründig die Gewalt, aber gleichzeitig hatten wir das Gefühl, dass die Gewalt noch eine Entsprechung braucht, Sie braucht noch eine andere, eine Spiegelebene, über die man dann auch die Gewalt, wenn man sie sieht, vielleicht anders beurteilt. Es gibt bei diesen Figuren und in diesem Beziehungsdrama eine ganz ursächliche Verknüpfung zwischen der Sexualität und der Gewalt, die zum Teil schwer auszuhalten ist.
Auch bei der Sexualität geht es ja auch nicht um eine Bewertung. Der Film soll sie nicht anstellen, diese Bewertung, der Zuschauer soll da erst mal frei sein. Ich hatte das Gefühl, dass es in Ordnung ist, wenn man als Zuschauer sich dabei erwischt, dass man vielleicht zu nah dran war emotional. Das ist richtig und in Ordnung, dass man immer wieder in Dilemmata gebracht wird als Zuschauer, zu denen man sich dann verhalten soll. Da das als ein körperlicher Film angelegt ist, - das ist auch ein Rückgriff auf das, was ich am Anfang gesagt habe, ein Film, der unmittelbar funktionieren soll – müssen auch alle Facetten der Körperlichkeit eine Rolle spielen.

Narzistische Figuren

Wellinski: War denn dann überhaupt die Rede davon oder der Gedanke da, dass diese Drei sich auch über ihre Weltsicht unterhalten? Es bleibt, wenn man so reingeworfen wird in diese Körperlichkeit, in das Taktile, es wird auch viel geschrien, sie bewegen sich auch viel. Sie reden nur ganz selten oder nur recht oberflächlich über ihre Weltsicht. Musste man sich da zügeln, um da nicht reinzugehen mit Dialogen, die das erklären, oder war das von vorneherein klar, das interessiert jetzt an dieser Stelle gar nicht so sehr?
Bonny: Uns als Filmemacher interessiert diese Weltsicht natürlich. Ich glaube auch, dass die den Zuschauer interessiert, aber es ist doch erst mal interessanter, wenn sich das zunehmend entblättert, wenn man dem zunehmend nahekommt, wenn man erst mal gar nicht weiß, wozu man da eigentlich gebeten ist. Ich denke, dass die Weltsicht dieser Figuren auch vollkommen klar wird, ohne dass die unentwegt darüber sprechen.
Das sind ja unheimlich narzisstische Figuren. Ich glaube, das wird ganz klar, durch die Taten im Zweifelsfall. Das fanden wir den richtigen und auch interessanten Ansatz, dass man in allererster Linie dem Handeln der Figuren folgt, was auf eine Art und Weise natürlich unheimlich simpel und einfach ist, keine Frage. Gleichzeitig aber große Leerstellen schafft, die man dann eben wieder im besten Fall füllt.

Erzählen in Bildern

Wellinski: Wie groß war die Frage nach der Perspektive für den Zuschauer, weil die Kamera ist schon mit dabei, mittendrin, muss man sagen, sie ist aber kein wirklicher Komplize. Und trotzdem läuft sie immer wieder mit, ist bei den Taten dabei, ist bei dem Sex dabei.
Bonny: Tja, die Kamera … Wir haben versucht, wir haben nach einer – das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen absurd an, weil man danach ja eigentlich immer suchen sollte –, wir haben versucht, nach einer Art Modernität oder nach einer Art Gegenwärtigkeit der Bilder zu suchen. Wir wollten den Film in Bildern erzählen, die sich wirklich nach heute anfühlen, nach jetzt anfühlen, und die diese drei Figuren nicht auch noch, mit einem kleinen sentimentalen Filter überziehen, dass man das Gefühl hat, das ist vielleicht auch schon längst vorbei.
Im Gegenteil, es soll sich überhaupt nicht anfühlen, als wäre das vorbei, sondern das ist wie eine dunkle Fantasie auch unserer Gegenwart. Das ist so ein bisschen, wie wenn das frühe 21. Jahrhundert, gerade in unserem Land, die irgendwie so ausgebrütet hätte diese Fantasie, und das sollte sich dann auch wirklich nach jetzt anfühlen. Dazu gehört die Nähe und die Unmittelbarkeit, aber dazu gehören auch so ganz simple Sachen wie die Wahl der Optiken. Das ist sehr scharf und sehr klar. Es gibt keinen Filter darüber, wo man denkt, das fühlt sich jetzt irgendwie nach so einem ganz angenehmen distanzierten Fernsehrealismus an, wo man weiß, ich schalte die Kiste aus und dann ist es weg. Wir haben nach einem Weg gesucht, wie es sich nach Gegenwart anfühlt.

Nicht chronologisch drehen

Wellinski: Wie erzeugt man eigentlich mit Ihren drei Schauspielern eine derartig auch sich steigernde Intensität? Kann man davon ausgehen, dass Sie chronologisch gearbeitet haben, dass man quasi sich dann so aufbauscht, immer weiter, weil das sind ja unfassbare Entladungen, die da stattfinden.
Bonny: Ja, das stimmt. Nein, wir haben nicht chronologisch gedreht. Ich finde das auch ganz gut, nicht chronologisch zu drehen. Vielleicht habe ich mal einen Film, wo ich das merke, dass das total richtig ist. Wenn man nicht chronologisch dreht, hat es den unheimlich großen Vorteil, dass sich von selbst nicht ganz passende Bruchstellen ergeben zwischen Momenten und zwischen Szenen und in Abläufen. Und die sind ja in Wahrheit reizvoll. In Wahrheit sind die Brüche und die nicht ganz passenden Versätze in Filmen auch etwas unheimlich Tolles, weil da ein Drittes, Viertes, Fünftes entsteht – und im besten Fall mit Hilfe des Zuschauers.
Die Intensität kommt sicherlich auch aus Vielem. Da ist die Arbeit am Set, die Besetzung, die Konstellation der Drei löst natürlich per se eine Energie aus. Also, eben Ricarda Seifried, Thomas Schubert und Jean-Luc Bubert, die als Konstellation schon miteinander wirken und etwas miteinander machen, wo man manchmal nur in die richtige Richtung helfen muss. Und das ist ganz stark einfach schon aus der Aufladung der Schauspieler selber passiert, die alle drei großartig sind. Sie sind sehr mutig, sie haben sich in Situationen reinbegeben und haben das irgendwie miteinander ausgehalten.
Wellinski: Regisseur Jan Bonny über seinen herausfordernden, überfordernden und dann auch provozierenden Spielfilm "Wintermärchen", der kommenden Donnerstag in unsere Kinos kommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema