Willkommen im Club

Von Martin Reischke |
Ohne Melitta Benz gäbe es womöglich keine Filtertüten, Nicole Cliquot kam auf die Idee mit dem Champagner und Josephine Cochrane machte die Küche zu einem friedlichen Ort der Begegnung, in dem sie die Geschirrspülmaschine erfand. Wie ihre berühmten Vorgängerinnen müssen auch die Erfinderinnen von heute neben Ideenreichtum vor allem Durchsetzungskraft mitbringen.
Denn der Markt ist hart umkämpft - und Frauen haben es besonders schwer. Auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung traut man ihnen einfach weniger zu. Um Frauen vor solchen Erfahrungen zu schützen, gründete Dragica Graf in Rothenburg den ersten Erfinderinnenclub Deutschlands. Über dieses Netzwerk werden Tipps ausgetauscht und Kontakte vermittelt. Frauen neigen dazu, sich zu unterschätzen. Der Club ermutigt sie, ihre Ideen weiterzuverfolgen.

Ein alter Mühlenhof in Franken, am Stadtrand von Rothenburg ob der Tauber. Die schwere Holztür öffnet sich, eine Glocke klingelt, dann fällt sie zurück ins Schloss. Mit schweren Schritten steigt Dragica Graf die Treppe empor und geht in ihr Wohnzimmer. Ihre rechte Hand streicht über die glatte, helle Fläche zwischen den Fachwerkbalken, denn seit sie das Haus gemeinsam mit ihrem Mann vor zwölf Jahren renoviert hat, verbirgt sich dahinter ein kleines Geheimnis.

"”Die Idee war für mich eigentlich nur einen Sturmschaden irgendwie zu retten, das Holz zu verwenden und habe angefangen Hölzer verschiedenster Form und Art in die Öffnungen vom Fachwerkhaus zu stopfen. Daraus entstand mein erstes Patent, meine erste Idee, die so genannte Gefachefüllung – ein Holzbausystem.""

Durch Zufall zum ersten Patent – kein Wunder bei einer Frau, die sich ihr Leben lang neu erfunden hat und für keinen Job zu schade war. 1981 kam die gebürtige Serbin mit 25 Jahren nach Deutschland, wo sie ihren Mann kennen gelernt hatte. Zuvor hatte sie schon etliche Arbeiten ausprobiert: Als jugoslawische Saisonkraft arbeitete sie in Österreich mal als Tankwärtin oder Näherin, dann wieder als Servicemädchen oder Küchengehilfin.

In Deutschland fing sie wieder von vorne an: Erst eröffnete sie ein Textilgeschäft, später importierte sie selbst entworfene Weidenkörbe aus Bosnien nach Deutschland und arbeitete bei der örtlichen Industrie- und Handelskammer als Beraterin für Außenwirtschaft. Doch als sie Mitte der 90er schließlich ein eigenes Unternehmen gründete und gemeinsam mit einem Bauträger ihr patentiertes Holzbausystem umsetzen wollte, stieß Dragica Graf schon bald auf ernste Schwierigkeiten.

"2001 musste ich leider den Betrieb schließen, kurz gesagt: die typischen Fehler, die ein Erfinder machen kann: Ein Riesenhoch, ein Riesentief, und dann kommt erst die Ernüchterung."

Das Geschäft lief, die Häuser mit der modernen Gefachefüllung wurden gebaut. Nur ihre Lizenzgebühren habe sie schon bald nicht mehr bekommen, erzählt Dragica Graf. So blieb ihr schließlich nur der bittere Weg in die Insolvenz. Eine Erfahrung, die sie anderen Frauen ersparen wollte.

"Als ich diese gesamte Insolvenz angemeldet habe, hatte ich Frust und Zeit, um diesen Frust auszuleben, da habe ich den ersten deutschen Erfinderinnenclub gegründet, um Frauen im Vorfeld zu helfen und sie zu informieren, welche Wege sie gehen müssen, was müssen sie als erstes tun, wenn sie eine Idee haben, was bedeutet der Weg von der Idee zum Produkt, wann gehe ich an einen Investor ran, wann besuche ich eine Firma usw."

Fragen, mit denen sie innovative Frauen nicht alleine lassen wollte. Seit nunmehr fünf Jahren teilt Dragica Graf Erfahrung und Wissen mit Erfinderinnen aus ganz Deutschland. Rund 20 Frauen sind in ihrem Club organisiert. Hausfrauen und Rechtsanwältinnen sind dabei, genauso wie Beamtinnen und Frauen, die ein Unternehmen führen. Eine von ihnen ist Martina Grimm. Bei ihr war die Arbeit mit alten, pflegebedürftigen Menschen Auslöser für eine ungewöhnliche Idee.

Ihren linken Unterarm legt Martina Grimm in eine schmale, regenrinnenförmige Plastikschiene, mit der rechten Hand greift sie nach den Klickverschlüssen und fixiert den Arm. Vorher schon hat sie die bewegliche Armschiene am Tisch festgeschraubt. Dann präsentiert sie ihre Erfindung.

"Vorschieben, zurückschieben, nach rechts und nach links, kannste einen ganzen Arm rüberschieben, je nachdem, wo du ihn hinbrauchst."

Auf zwei Schubladenschienen gelagert, wandert der fixierte Arm über den ganzen Küchentisch. Für gesunde Menschen eine Selbstverständlichkeit. Für spastisch gelähmte Schlaganfallpatienten hingegen ein kleines Wunder. Denn durch die Lähmung können sie den Arm in seinen Bewegungsabläufen nicht mehr kontrollieren, die Hand ballt sich zur Faust zusammen. So wird der Arm schnell nutzlos, und die Muskeln verkümmern weiter.

Mit ihrer Armschiene will Martina Grimm das ändern.

"Die Muskeln werden durch die Bewegungen gestärkt, wenn man was kochen möchte: man kann den gelähmten Arm durch die Spastik in den Fingern dazu benützen, Gegenstände einzuklemmen und herzurichten."

Eine pragmatische Idee, die Martina Grimm schon selbst in ihrem Berufsalltag als Altenpflegerin getestet hat. Eine von ihr betreute Schlaganfallpatientin benutzt die Therapiehilfe – mit guten Erfolgen.

Praktische Alltagsideen für leicht verwertbare Erfindungen: Bei Erfinderinnen sei dies durchaus kein Einzelfall, sagt Cornelia Rebbereh, die seit fast zehn Jahren als Patentanwältin arbeitet. Denn auch beim Erfinden denken Frauen anders als Männer.

"”Männer sind eher die Tüftler, ich habe bislang noch keine Frau erlebt, die so eine Art Tüftlerin wäre, einfach nur des Erfindens wegen Produkte entwickelt. Üblicherweise habe ich erlebt, dass die Frauen eine sehr konkrete Vorstellung haben, was sie hinterher damit machen möchten.
Das heißt, wann immer sie beschließen, sie möchten das tatsächlich umsetzen, machen sie sich auch schon sehr genaue Gedanken darüber, wie sie das umsetzen wollen. Das heißt, die sind da tatsächlich sehr kostenbewusst und überlegen sich vorher, ob diese Idee dann auch vermarktbar wäre.""

Aber selbst die gute Idee ist erst der Anfang. Denn um sie schließlich auch umsetzen zu können, braucht man oft mehr als technisches Basiswissen. Gerade für Frauen sei das nicht immer ganz einfach, erzählt Dragica Graf.

"Die spezifisch weiblichen Probleme überwiegen dahingehend, dass die technische Grundlage bei Frauen nicht so oft da ist wie bei Männern. Es geht nicht nur darum, dass ich mit Schraubenziehern und Kreissäge umgehen kann, es geht eben vielmehr darum, dass man sich eine gesamte Prozesskette anschauen muss."

Doch muss sich Altenpflegerin Martina Grimm auch mit den Produktionsdetails einer Armschiene beschäftigen, wenn sie eigentlich nur die Eigentherapie von Schlaganfallpatienten verbessern will? Die 37-Jährige kümmert sich nicht um solche Fragen. Das übernimmt Dragica Graf.

Langsam aber hat selbst die geduldige Martina Grimm die Hoffnung aufgegeben. Denn auch wenn sich die Medien immer wieder für den Erfinderinnenclub und ihre Armschiene interessieren – einen Investor hat sie auch nach zwei Jahren noch nicht gefunden. Und nach dem Prototyp war deshalb erst einmal Schluss.

"Leider ging es nicht viel weiter, wir waren auch schon in Fernsehauftritten, waren auf der Messe, die Leute schauen, aber es ist keiner da, der sagt: Ich finanziere das jetzt, ich mache ein paar Produkte, ich stelle die her und wir können es dann irgendwann vermarkten, leider findet sich da keiner."

Wenn niemand investieren will, bleibt noch immer der Weg der Selbstfinanzierung. Doch den will Martina Grimm nicht gehen. Zu vorsichtig ist die Frau, zu groß das finanzielle Risiko.

"”Also ich habe gesagt: Ein Darlehen möchte ich jetzt speziell nicht aufnehmen, ich habe ein Haus gebaut, das kann ich mir nicht leisten, wobei eigentlich genügend Nachfragen da wären von Privatpersonen, die einen Schlaganfall gehabt haben.""

Genug Nachfrage, aber kein Angebot. Martina Grimm kann nicht verstehen, warum die Umsetzung einer sinnvollen Idee so schwierig ist.

Caren Möhrke kennt das Problem. Als Innovationstrainerin hilft sie auch freien Erfindern, ihre Ideen nicht nur problemorientiert zu entwickeln, sondern später auch zu vermarkten und umzusetzen. Denn die Freiheit des freien Erfinders meint vor allem eins: Frei sein von einem konkreten Auftrag.

"”Das heißt, man sagt ich habe eine Lösung und jetzt suche ich das Problem. Wenn ich so vorgehe, habe ich natürlich die Schwierigkeit, ein passendes Unternehmen zu finden, was dann meine Lösung aufnimmt. Das heißt, freie Erfinder haben an sich das Problem, dass Unternehmen in Deutschland das so genannte ‚Not-invented-here’- Syndrom haben, das heißt, sie nehmen ungerne Erfindungen von außen auf.""

Von außen nach innen ins Unternehmen – oft ein schwieriges Unterfangen. Deshalb stellt Caren Möhrke auch ihre Kontakte zur Verfügung, wenn es darum geht, richtige Ansprechpartner zu vermitteln.

Auch ins Patent- und Normenzentrum in Nürnberg führt der Weg der freien Erfinderinnen. Hier recherchieren die Frauen, ob ihre Ideen tatsächlich innovativ sind – oder ob die Problemlösung längst ein alter Hut ist. Martina Grimms Armschiene schließlich hielt der Prüfung stand – und wurde schließlich geschützt. Bruno Götz, der Leiter des Patent- und Normenzentrums, sieht die Umsetzung einer guten Idee keineswegs skeptisch, wenn die Gewinnaussichten für das Unternehmen stimmen.

"Generell ist es so, dass sich keine Firma leisten kann, eine gute Idee, wo immer die herkommen mag zu vernachlässigen. Denn wenn eine Firma die Idee abweist, dann geht der Erfinder zur nächsten Firma und die andere Firma, der Mitbewerber unter Umständen, der größte Mitbewerber macht das Geschäft. Wichtig ist für den Einzelerfinder immer: Er muss Vorteile aufzeigen.
Ein Betrieb arbeitet nur betriebswirtschaftlich, der braucht schwarze Zahlen, der will nicht irgendeine gute Idee umsetzen, sondern der will Gewinne erwirtschaften und das muss man dem Unternehmen aufzeigen und das muss er auch sofort erkennen können."

Auch darum kümmert sich Erfinderinnenclub-Gründerin Dragica Graf. Im Hintergrund führt sie seit einigen Monaten Verhandlungen mit interessierten Firmen und möglichen Produzenten, doch bevor die Verträge nicht unterschrieben sind, stapelt sie lieber tief.

"Ich habe seit der Erfindermesse, seit November ganz klare Vorstellungen und konkrete Gespräche, aber ich halte die Erfinderinnen nicht mit dem Optimalsten am Laufenden, denn ich habe inzwischen gelernt: Erst wenn die Verträge da sind, dann kann ich glauben. Ich habe schon konkrete Gespräche zur Herstellung und zur Vermarktung von dieser Armhilfe."

Konkrete Gespräche sind zwar noch längst keine Zusage zur Produktion, doch zumindest Hoffnung scheint es zu geben, dass die Armschiene eines Tages doch noch den Weg zum Kunden findet. Für Martina Grimm wäre das eine späte Bestätigung – zumal manche Männer ihre innovative Umtriebigkeit nicht gerade schätzen.

"”Von meinem Bekanntenkreis her kann ich mich nicht beklagen, die wissen da schon: Wenn ich einen Gedanken habe, dass der recht positiv ist, aber die lieben Ehemänner die sagen dann: Das bringt doch eh nichts, das ist nur Zeit, die du investierst, die dann sinnlos ist. In der Zeit könnte man natürlich schon daheim den Haushalt machen, wo man jetzt halt auch forthockt – Presse, Fernsehen – das ist halt Zeit die verloren geht dann, und das sehen die Männer glaube ich alle nicht so gerne.""

Doch auch wenn die Ideen der Frauen bei Männern nicht immer auf offene Ohren stoßen: Eine geschlossene Frauengesellschaft will der Erfinderinnenclub trotzdem nicht sein, sagt Dragica Graf.

"Wir haben noch nie jemanden abgewiesen, ich habe nichts dagegen, wenn die Männer Clubmitglieder sind, wir haben auch Männer, ich habe fünf Männer als Clubmitglieder zwischenzeitlich, es geht uns nicht darum, feministisch zu sein im negativen Sinne. Es geht lediglich darum, dass Frauen über Technik untereinander leichter kommunizieren."

Kommunikation über Technik ist das eine. Das andere ist die Möglichkeit, im Club auf Gleichgesinnte und Mitstreiterinnen zu treffen, die oft nicht ins traditionelle Frauenbild passen. Dass manch einer Dragica Graf deshalb auch für überambitioniert oder sogar etwas durchgedreht halten könnte, kann die daueraktive Erfinderin sogar verstehen.

"Klar, wir sind ein bisschen schräge Vögel, in meinem Umfeld werde ich auch nicht unbedingt als ‚normal’ gesehen, nur man muss lernen, damit umzugehen und sich selbst zu betrachten und zu analysieren, und eben selbst zu erkennen: Spinne ich wirklich oder bin ich gerade zu meinem Thema meiner Zeit voraus – und diese Selbstanalyse hilft einem auch, sich nach außen anders darzustellen."

Denn darum geht es schließlich: Nicht nur gute Ideen zu haben, sondern sie auch zu verkaufen. Gefördert werden die Erfinderinnen auch vom Projekt Innovationsstimulierung des Bundeswirtschaftsministeriums. Mehr als 130 Erfinderclubs gibt es in Deutschland, doch nur zwei davon vor allem für Frauen. Eigentlich eine ernüchternde Zahl. Trotzdem sieht Innovationstrainerin Caren Möhrke die Erfinderinnen auf dem richtigen Weg.

"Das Selbstbewusstsein hat sich verändert und ist stärker geworden und Erfinderinnen gehen mehr nach draußen, auch die ganze Gründungsszene, die vor zehn Jahren noch nicht so ausgeprägt war ist sehr viel aktiver und geht bewusst auch auf Frauen zu, insofern bin ich hoffnungsvoll, dass sich da noch einiges tut, das Tempo könnte halt ein bisschen größer sein."

Damit die Entwicklung endlich Fahrt aufnimmt, braucht es handfeste Ergebnisse. Doch die Umsetzung einer Erfindung ist ein zähes, langwieriges Geschäft. Deshalb ist es für Dragica Graf auch schon eine Bestätigung ihrer Arbeit, andere Erfinderinnen vor den eigenen Fehlern bewahrt zu haben.

"Die Erfolge als solches sehe ich schon, ich habe sehr vielen Frauen geholfen, einfach den Weg zu finden, wie sie den gehen sollten, ohne zu viel Geld zu verlieren.
Das muss man auch als Erfolg sehen: Einfach die Beratung als solche, Menschen zu helfen, in ratloser Zeit einen richtigen Rat zu haben, und das auch kostenlos."

Reich geworden ist Dragica Graf deshalb noch nicht durch die Arbeit im Erfinderinnenclub. Muss sie auch nicht, denn ihren Lebensunterhalt bestreitet die umtriebige Frau längst mit dem Holzbausystem, das sie beim Umbau ihres Hauses vor zwölf Jahren so zufällig entwickelte. Nach der Insolvenz ihres Unternehmens hat sie vor zwei Jahren das Patent für die so genannte Gefachefüllung zurückbekommen und kann nun wieder Lizenzgebühren kassieren.

So ist die Dragica Graf vielleicht selbst das beste Beispiel für den Erfolg des Erfinderinnenclubs. Eine Selfmade-Frau, die auch ohne Universitätsstudium ihren Platz in der von Männern dominierten Baubranche gefunden hat. Doch in Gedanken ist sie längst woanders. Schon plant Dragica Graf das nächste Patent – auf einen neuartigen Heizkörper, der bald auf den Markt kommen soll. Aber Ruhe wird sie wohl auch dann nicht finden.
"Wenn man mich heute fragt, woher ich meine Energie nehme, ertappe ich mich, dass ich eigentlich immer dann richtig aktiv werde, wenn ich Angst vor Not bekomme. Und ich glaube die Angst vor Not, wer Not hatte, egal in welcher Form, weiß wie gewaltig die Kraft sein kann und daher bin ich unermüdlich."