William Trevor: "Ein Traum von Schmetterlingen"

Geschichten eines Menschenkenners

Der Schriftsteller William Trevor
William Trevor, Jahrgang 1928, wuchs in Irland auf und lebt heute in Devon (England). © picture-alliance / dpa/dpaweb / Asfouri
Von Jörg Magenau · 28.12.2015
Mit "Ein Traum von Schmetterlingen" ist jetzt ein Sammelband von Erzählungen des irischen Autors William Trevor erschienen. Sie versammeln das Spätwerk und zeigen seine Sprache und Präzision, mit der er das Wesentliche in unscheinbaren Details aufleuchten lassen kann.
Was eigentlich macht eine Erzählung "schön"? Wann kann man sagen, sie sei "klassisch" oder gar "klassisch schön"? Bei den Erzählungen von William Trevor drängen sich derartige Attribute auf. Das liegt keineswegs an den Themen, die er verhandelt: Schuld, Trauer, Tod, Alter, versäumte Liebe, verpasstes Leben und manchmal auch Mord und Totschlag. Doch Trevor blickt dabei immer mit großer Anteilnahme auf seine Figuren. Seine Geschichten umkreisen schicksalhafte Momente, die ein ganzes Leben entscheiden – auch wenn das den Betroffenen noch lange nicht klar ist. Doch auch wenn die Gelegenheit, etwas zu ändern, ungenutzt verstreicht, ist danach nichts mehr so, wie es war.
Großartig zum Beispiel "Die Frauen des Klavierstimmers", wo Trevor mit den zwei Anfangssätzen ein ganzes Leben zusammenfasst: "Violet heiratete den Klavierstimmer, als er ein junger Mann war. Als er alt war, heiratete ihn Belle." Belle war die schönere der beiden Frauen, die es nur schwer verwunden hat, dass der Klavierstimmer ihr seinerzeit Violet vorgezogen hatte. Der Klavierstimmer aber ist blind. Er lebt in Tönen und Worten. Und jetzt, im Alter, lebt er in der Erinnerung an die Welt, wie die verstorbene Violet sie ihm beschrieben hat. Das ist für Bell, die nun an seiner Seite ist, nicht zu ertragen, und sie beginnt, ihm ihre eigene Welt zu schaffen. Das fängt harmlos an: Wo er sich an Bilder an der Wand erinnert, lügt sie sie weg; aus der Esso-Tankstelle macht sie Texaco, nur damit in seiner Vorstellung andere Schilder in anderen Farben leuchten. Dieser Gewaltakt ist schrecklich, auch wenn er aus Liebe heraus geschieht. Subtil deutet Trevor an, dass der Blinde diese Eingriffe durchschaut. Doch er lässt es geschehen, weil er es versteht.
Thematische Breite der Geschichten
Es sind komplexe, uneindeutige Gefühlszustände, die Trevor in immer neuen Variationen zu fassen, ja, zu erzeugen versucht. Die Melancholie der vergehenden Zeit ist sein Arbeitsgebiet. 1928 in der irischen Grafschaft Cork geboren, lebt er seit rund 50 Jahren im englischen Devon. Als liberaler, irischer Protestant konnte er von hier aus den blutigen Konflikt in seiner Heimat beobachten und beschreiben. Sein Werk, zahlreiche Romane und Erzählungsbände, umfasst mehr als ein halbes Jahrhundert, führt aber weit über Irland hinaus, bis nach Persien, Paris, Venedig. Beeindruckend ist auch die thematische Breite seiner Geschichten und die Unterschiedlichkeit des Personals. Er kann Kinder genauso glaubwürdig zeichnen wie Alte, Jungens im Internat oder einsame Frauen in Hotelfoyers. Trevor ist ein Menschenkenner mit der ruhigen Gelassenheit des Alters.
"Schön" ist seine Sprache, weil sie unaufgeregt bleibt, ist seine Einfühlungskraft, die maßvolle Zurückhaltung, die Präzision, mit der er das Wesentliche in unscheinbaren Details aufleuchten lassen kann. Den scharfen Blick für die Form hat er als Holzbildhauer trainiert. Skulpturen zu schnitzen, ist für ihn nicht nur willkommene Abwechslung, sondern eine dem Schreiben eng verwandte Tätigkeit, geht es doch in beiden Fällen darum, in einem Stoff die grundlegenden Strukturen zu erkennen und herauszuarbeiten.
Die "Meistererzählungen" verspricht der jetzt erschienene Sammelband. Das stimmt, weil es kaum eine Geschichte von Trevor gibt, die nicht meisterhaft wäre. Die Übersetzung von Hans-Christian Oeser bringt sie makellos ins Deutsche. Allerdings handelt es sich bei dieser Auswahl hauptsächlich um die drei Erzählungsbände, die im Lauf der letzten zehn Jahre bei Hoffmann und Campe erschienen sind, also das, was bereits vorliegt. Dazu kommen lediglich fünf frühere Geschichten und eine, die 2013 im "New Yorker" erschien. Sie versammeln also das Spätwerk Trevors und sind keineswegs ein Querschnitt durch das gesamte Schaffen. Das ist dann doch, bei aller Freude über Trevors Meisterschaft, eine verlegerische Mogelpackung.

William Trevor: Ein Traum von Schmetterlingen. Meistererzählungen
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit und Hans-Christian Oeser
Hoffmann und Campe, Hamburg 2015
752 Seiten, 34,00 Euro

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