William-Kentridge-Ausstellung Berlin

Der Schmerz hüllt sich in traurige Schönheit

Eine Frau betrachtet eine Zeichnung von William Kentridge für den Film "Sobriety, Obesity & Growing Old" bei einer Ausstellung in Moskau.
Zeichnung von William Kentridge für den Film "Sobriety, Obesity & Growing Old" © Imago /itar tass
Von Simone Reber  · 10.05.2016
Scherenschnittartige Figuren, Animationsfilme als begehbare Rauminstallationen, Zeichnungen: Im Berliner Martin-Gropius-Bau sind Arbeiten des südafrikanischen Künstlers William Kentridge zu sehen. Grundthemen der Ausstellung sind Erinnern, Vergessen, Verdrängen.
Eine makabre Prozession setzt sich in Bewegung. Ob Flüchtlingstreck, Marketendertross oder barocker Totentanz ist ungewiss. Die Figuren stolzieren wie beim Scherenschnitttheater am Horizont entlang. Weil sie angeleuchtet werden, nehmen die Körper der Schauspieler zarte Farben an, werden zu verlorenen Seelen oder fahrendem Volk.
"Für mich sind das keine Toten, diese Leute, die da in einer langen Prozession vorbeilaufen, auch wenn man das so sehen kann. Für mich sind das eher die Schatten in Platons Höhle. Aber es stimmt, es sieht aus, als seien die Toten auf dem Vormarsch, als wollten sie ins Leben zurückkehren oder als würden sie sich für immer in einem Tanz drehen. Ich denke nicht über den Tod nach. Aber für mich ist wichtig, die Grenzen unseres Handelns in der Welt zu verstehen. Was wir tun können und was nicht, und wie wir uns verhalten, als ob wir etwas verändern könnten, selbst wenn das nicht geht. Und das hat natürlich mit Sterblichkeit zu tun."
Für seinen monumentalen Film "More sweetly play the dance", der sich auf verschiedenen Leinwänden über die ganze Länge des Saals erstreckt, ließ sich William Kentridge von Paul Celans Todesfuge inspirieren. Mit dem Gedicht gedenkt Celan schon 1944 der Opfer des Holocaust.

Der Horror der Vergangenheit

Erinnern, Vergessen, Verdrängen, das sind die Grundthemen in dieser überwältigenden Ausstellung im Berliner Martin Gropius Bau. Da entwickeln sich feine Zeichnungen zu großer Oper. Die wichtigsten Filmarbeiten sind zu begehbaren Rauminstallationen montiert, in denen der Horror der Vergangenheit immer wieder aufblitzt.
Kentridge stammt aus einer jüdisch-bürgerlichen Familie in Johannesburg, sein Urgroßvater floh Ende des 19. Jahrhunderts vor drohenden Pogromen aus Litauen nach Südafrika.
In dem gezeichneten Film "Felix in Exile" , der kurz nach dem Ende der Apartheid entstand, wird die Erinnerung ausradiert. Felix Teitlebaum, das gezeichnete alter ego des Künstlers, blickt aus seinem Zimmer hinaus aufs Feld. Draußen verblassen langsam die Ermordeten, werden verschluckt von der Landschaft.
"Die Landschaft ist auf der einen Seite die Bühne, auf der das Geschehen stattfindet, sie funktioniert wie eine Kulisse. Aber sie gleicht auch einer Buchseite. Als ob man einen Text auf ein Blatt Papier schreibt. Die Bäume, die Felsen und die Landschaft sind dieser historische Text."

Der vergangene Schrecken des Apartheid-Regimes

Der Vater von William Kentridge war ein renommierter Rechtsanwalt. Er vertrat Nelson Mandela und die südafrikanischen Bürgerrechtler. Als Sechsjähriger fand Kentridge auf dem Schreibtisch des Vaters Fotos von erschossenen Anti-Apartheid-Demonstranten. 20 Jahre später schleicht sich der Schrecken von damals ins Gedächtnis zurück. Aber der Schmerz hüllt sich bei William Kentridge in traurige Schönheit.
"Schönheit oder Hässlichkeit sind keine Kategorien, mit denen man im Studio arbeiten kann. Der Impuls für ein Bild entsteht aus der Arbeit, zum Beispiel die Notwendigkeit, eine bestimmte Landschaft zu zeichnen. Wenn die Leute dann sagen, es ist schön, dann ist es auch gut. Ich bin nicht dagegen, ich bin sogar froh über diese Reaktion. Aber man kann nicht vorhersehen, was Schönheit ausmacht. Man denkt eher darüber nach, wie man das Interesse weckt oder was zu einer neuen Art des Sehens oder des Denkens führt."

Bestätigung durch Verneinung

Das neue Denken entsteht aus der Kluft zwischen Sehen und Sein. "No it is". In Südafrika, sagt William Kentridge, ist es Brauch, eine Aussage durch die Verneinung zu bestätigen. Solche Unmöglichkeiten, Widersprüche und Absurditäten springen ihn geradezu an, sagt der Künstler.
"Those impossibilities and paradoxes and absurdities are things that jump out of the world towards me, when I am working."
Die wundervolle Ausstellung verdichtet den Angriff auf Vergessen und Vergänglichkeit zu einem tiefgründigen Bilderrausch in schwarz-weiß. Die altmodischen Medien, das Blatt, der Stift, der Zeichentrickfilm erlauben einen emotionalen Zugang. Im Kern ist William Kentridges Werk von verspieltem Witz und kluger Melancholie. Yes, it is.

William Kentridge: NO IT IS!
Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau
12. Mai bis 21. August 2016

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