Willi Winkler: "Das braune Netz"

Ein NS-Jurist als Adenauers rechte Hand

Eine Montage zeigt das Buchcover von "Das Braune Netz" und ein Schwarz-Weiß-Porträt von Hans Globke
Kanzleramt-Staatssekretär Hans Globke ist nur ein Beispiel für ehemalige Nazis, die nach dem Krieg in der Bundesrepublik Karriere machten. © Rowohlt Verlag / picture-alliance
Von Helmut Böttiger · 21.01.2019
Von Geheimdienst bis Kultur: In "Das braune Netz" beschreibt Willi Winkler den Einfluss von NS-Ideologen in der frühen Bundesrepublik. So war etwa Hans Globke, ein federführender Bürokrat des Holocaust, Staatsekretär in Adenauers Kanzleramt.
Die frühen Jahre der Bundesrepublik sind mittlerweile nur noch wenig bekannt. Dass es an vielen Stellen eine fast bruchlose Kontinuität von hohen Funktionsträgern im Nationalsozialismus und in der Adenauer-Ära gab, scheint kein großes Thema mehr zu sein. Jüngere Historiker betonen vor allem die gelungene Durchsetzung der Demokratie, die nahezu organisch vonstatten gegangen sei.

"Organisation Gehlen" und "Abendländische Aktion"

Das große Verdienst des Buches von Willi Winkler besteht darin, an einigen herausragenden Beispielen den Einfluss aufzuzeigen, den nationalsozialistische Ideologen bis weit in die 60er Jahre hinein in den bundesdeutschen Machtstrukturen hatten. In erster Linie ist da die "Organisation Gehlen" zu nennen, die in Tateinheit mit der "Abendländischen Aktion" aus alten Gestapo-Beamten den Bundesnachrichtendienst aufbaute. Parallel zum Verfassungsschutz wirkte hier die Nazi-Ideologie ungehemmt weiter, der Antisemitismus ging unmittelbar in den Antikommunismus über.
Winkler zeigt das vor allem am Phantom der "Roten Kapelle", das einflussreiche Altnazis entwarfen: Der kommunistische Widerstand gegen Hitler wurde unwidersprochen als "Landesverrat" rubriziert, und es wurde erfolgreich insinuiert, dass er nun in der Bundesrepublik verstärkt weiterwirke.

Hoher NS-Jurist als Staatssekretär im Kanzleramt

In Geheimdienst, Militär, Wirtschaft und Kultur gibt es etliche Beispiele dafür, wie ungeschoren oder zumindest glimpflich hohe Nazi-Verantwortliche davonkamen und wie der deutsche "Opfer"-Mythos einen allgemeinen Konsens darstellte. Die "linke und die rechte Hand Adenauers", der Staatssekretär im Kanzleramt Hans Globke, war einer der federführenden Bürokraten des Massenmords an den Juden gewesen, und er sagte nun: "Das deutsche Volk wusste ebenso wenig wie ich."
Es ist die Stärke Winklers, die aussagekräftigsten Zitate und Quellen wirksam zu präsentieren. Er zeigt pointiert und exemplarisch, wie die wesentlichen Strukturen aussahen. Ein besonderes Augenmerk legt er zudem auf typische Opportunisten wie den frühen Literaturpapst Hans Egon Holthusen.
Winkler betont allerdings etwas zu prononciert, dass die Weiterbeschäftigung der Nazi-Experten zum Aufbau einer neuen Ordnung und Bürokratie trotz allem unvermeidbar gewesen sei, im Grunde alternativlos. Die "Erfolgsgeschichte" der Bundesrepublik habe zwangsläufig darauf beruht.

Was war wirklich die Erfolgsgeschichte?

Welcher Anstrengungen es bedurfte, dass sich im Laufe der 60er Jahre der Charakter der Öffentlichkeit allmählich änderte, interessiert ihn weniger – dabei gibt es Gründe dafür, dies als die eigentliche Erfolgsgeschichte zu begreifen. Überhaupt ist dies kein Sachbuch, das nachdenklich und differenziert argumentieren würde.
Winkler bevorzugt eine flotte journalistische Schreibe im Magazinstil, immer mit etwas leicht Triumphalem im Unterton. Aber man nimmt das letztlich doch in Kauf – seine Funde und Zusammenstellungen sind auf jeden Fall äußerst nützlich.

Willi Winkler: Das braune Netz. Wie die Bundesrepublik von früheren Nazis zum Erfolg geführt wurde
Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2019
414 Seiten, 22 Euro

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