Wildung: Nofretete gehört nach Berlin

Dietrich Wildung im Gespräch mit Ulrike Timm · 30.06.2009
Der scheidende Direktor des Ägyptischen Museums, Dietrich Wildung, sieht den Platz der Nofretete eindeutig in Berlin. Auch in seinem Ruhestand wolle er dazu beitragen, den Streit um den Ausstellungsort von der Büste der Pharaonengattin beizulegen. Er plädiert zudem dafür, auch in Zukunft keine Mumien im Ägyptischen Museum zu zeigen.
Ulrike Timm: Dietrich Wildung hat seinen Arbeitsplatz ganz nah bei Nofretete. Er hat sich jahrzehntelang mit uralten Dingen beschäftigt, mit der Kultur der Pharaonen, mit ägyptischen Schriftzeichen und dem Alltagsleben am Nil, und er spielt zugleich seit 20 Jahren eine prägende Rolle in der Kulturpolitik, wenn es nämlich darum geht, diese verborgenen Schätze möglichst vielen Menschen verständlich zu machen. Dietrich Wildung, Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, verabschiedet sich in diesen Tagen - voraussichtlich in den Unruhestand. Herzlich Willkommen erst mal im Radiofeuilleton, Herr Wildung!

Dietrich Wildung: Einen schönen guten Morgen!

Timm: Wie ist das eigentlich? Ihre Frau leitet das Ägyptische Museum in München und man sagt, Ihre Tochter habe als kleines Kind ständig mit Spielzeugpyramiden gespielt - eine richtige Ägyptologenfamilie. Wie lebt es sich darin? Ist da irgendwas komplett anders?

Wildung: Ich glaube, es lebt sich erstens äußerst angenehm zwischen Berlin und München, und dann lebt es sich auch gut, wenn man weiß, dass man im beruflichen Bereich Synergieeffekte schaffen und nutzen kann und wenn man in einer ganz offenen Diskussion ohne die Rücksichten, die man sonst bei Kolleginnen und Kollegen berücksichtigen muss, Projekte und Probleme besprechen kann. Ich könnte mir ein anderes Leben heute eigentlich gar nicht mehr vorstellen.

Timm: Sie sind heute und morgen noch Herr über 50.000 Schriftstücke aus Papyrus, aus denen wir über das öffentliche und private Leben im alten Ägypten erfahren - Forschungsarbeit noch für ganz viele Jahre. Lernt man da jeden Tag noch was Neues dazu?

Wildung: Ich glaube, hierin liegt das Wesen des bevorstehenden Wechsels in der Leitung dieses Museums. Ich bin zwar nach Berlin gekommen 1989 in der Erwartung, hier forschen zu können, weil es ein Museum war, das dank Nofretete seine extrem hohen Besucherzahlen hat, wofür man gar nichts tun musste. Und ich dachte mir: Wunderbar, da kannst du forschen. Dann war zehn Monate später die Mauer weg und seitdem habe ich relativ wenig geforscht, viel vereinigt, viel organisiert und hoffe doch jetzt, dass einerseits für mich persönlich die Forschung wieder stärker in den Vordergrund rückt, zum anderen aber auch die kommende Generation - nachdem das Museum nun wieder reorganisiert ist - sich endlich auch mit all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Forschung widmen kann.

Timm: Das heißt, der Papyrus wartet. Gibt es für einen kenntnisreichen Ägyptologen wie Sie eigentlich noch so etwas wie ein ganz großes Geheimnis, wo Sie sagen, keine Ahnung, muss ich passen, wissen wir nicht?

Wildung: Wir sind zwar immer darauf vorbereitet, dass Überraschungen passieren können, aber wir arbeiten nicht auf die Entdeckung des ganz großen Geheimnisses zu. Man kann als Archäologe nicht ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen haben, was man finden will. Man muss sich überraschen lassen, und das kommt vor, insbesondere, wenn man - wie das bei uns in Berlin der Fall ist - auch in der Feldforschung tätig ist, wo also neue Informationen aus dem Boden kommen.

Timm: Herr Wildung, Sie haben die Sammlungen in Ost- und Westberlin zusammengeführt, eine Aufgabe, mit der Sie 1989 noch gar nicht rechnen konnten, als Sie kamen. Dann ging alles sehr schnell, all das am repräsentativen Ort, auf der Museumsinsel, und als die erste Ausstellung dort eröffnet wurde, da haben Sie, soweit ich weiß, ganz persönlich dafür gesorgt, dass über dem Eingang in roten Leuchtbuchstaben stand: "All art has been contemporary", also etwa: "Alle Kunst ist immer auch zeitgenössisch". Ist das zugleich das Motto Ihrer Museumsarbeit?

Wildung: Das war ein ganz wunderbares Zusammentreffen. Ich hatte eines Tages in einer Berliner Galerie diese Arbeit von Mauricio Nannucci, einem italienischen Künstler, entdeckt, und hatte spontan das Gefühl: Das sind wir. Und dann ist es gelungen, zur Eröffnung im Alten Museum 2005 diese Arbeit hinter den schinkelschen Säulen zu installieren. Es ist für mich heute noch eines der größten Erlebnisse, einer der größten Erfolge, dieses Bekenntnis zur Modernität des alten Ägypten allen Berlinern in großen roten Neonbuchstaben mitteilen zu können. Und es hat - was ich unglaublich bewundere an dieser Stadt - keine Proteste gegeben, dass Schinkel mit Neon und Nannucci entweiht wird, ganz im Gegenteil, man war begeistert und überzeugt. Schade, dass diese Arbeit mit der Schließung des Ägyptischen Museums und dem Umbau des Alten Museums zum Ende des Jahres abgebaut werden muss.

Timm: Stimmt, da gab es kein Gemecker, erinnere ich auch noch mit Staunen. Was ist denn an den alten Ägyptern so modern?

Wildung: Ich glaube, es ist einmal, dass diese Kultur immer wieder Überraschungen bereithält, zum anderen, dass wir unbewusst - wer weiß das hier eigentlich - eine ganze Fülle von Wurzeln unseres eigenen kulturellen Selbstverständnisses via Renaissance, Rom, Griechenland auf Ägypten zurückführen können. Und für mich persönlich hat Ägypten in den letzten zehn, 15 Jahren noch zusätzlich an Faszination gewonnen, als ich angefangen habe, auf diese Kultur nicht nur, wie alle es tun, von Europa aus zu schauen, sondern von Süden, von Afrika. Dann gehen diese Wurzeln, die uns nach Ägypten führen, auf einmal noch ein Stück weiter in den afrikanischen Kontinent hinein. Ich spreche gerne bei Abendvorträgen zu dem Thema: Sind wir alle Afrikaner?

Timm: Da forschen Sie ja auch weiter, in der Stadt Naga, vom 1. Juli an, nehme ich an, oder?

Wildung: Wir graben als Ägyptisches Museum finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Museumsfördererverein, der sich hier mit Hunderttausenden von Euro engagiert hat, im Sudan, in diesem geschundenen, wunderschönen Land, und wir haben in diesen 15 Jahren nicht nur wichtige archäologisch-historische Entdeckungen gemacht, sondern haben auch die Gelegenheit genutzt, in die Politik einzusteigen und für dieses Land zu werben, Verständnis zu wecken, Kritik auszulösen gegenüber all dem, was über den Sudan berichtet wird. Wir sind ein klein wenig Außenpolitiker geworden und ich glaube, da hat die Archäologie auch ganz große Aufgaben und Möglichkeiten.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton im Gespräch mit Dietrich Wildung, dem scheidenden Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin. Herr Wildung, Sie hätten aber auch beinahe einmal das Unwort des Jahres geprägt, Sie sprachen mal von "Mumienpornografie", das stand dann auf der Liste für die engere Auswahl. Was ist denn Mumienpornografie im Gegensatz zu kluger und moderner Ausstellungsplanung für Sie?

Wildung: Ich glaube, wir haben als Kulturpolitiker und Kulturmenschen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, erstens die Möglichkeit, viele, viele Menschen zu erreichen über die Medien, zum anderen aber auch die Verantwortung, in wichtigen Fragen Stellung zu beziehen. Und für uns ist es selbstverständlich, den toten Menschen, den Leichnam, der von den alten Ägyptern völlig tabuisiert war, auch geschützt zu belassen. Wir haben - nicht als Kampagne, aber mit klaren Äußerungen in den verschiedensten Medien - Stellung bezogen gegen die Zurschaustellung des Leichnams, wir haben vor Jahren schon Stellung bezogen gegen die Körperwelten, die gerade wieder in Berlin laufen, und wir werden auf dieser Schiene weiterarbeiten. Im wiederzueröffnenden Ägyptischen Museum wird es auch in Zukunft keine toten Menschen zu besichtigen geben, sondern eine bewundernswerte alte Kultur, die den Mensch geachtet hat und die eine Schale der Pietät um den Leichnam gelegt hat.

Timm: Die Achtung vor dem Tod auch noch mit mehr als 2000 Jahren Abstand ist Ihnen ein ganz wichtiges Anliegen?

Wildung: Ich glaube ja, wir können, glaube ich, keine strikte Grenze ziehen zwischen uns heute und Kulturen, die Jahrtausende zurückliegen. Ich komme fast wieder zurück auf: "All art has been contemporary". Wir sehen Altägypten als etwas Hochaktuelles an und wir beobachten bei unseren Besuchern, wie sie vor diesen Originalwerken die 2000 oder 5000 Jahre, die zwischen ihnen und uns liegen, einfach wegschieben und mittendrin stehen und ein Teil der Vergangenheit werden oder die Vergangenheit ein Teil unserer Gegenwart.

Timm: Die Nofretete ist der Hauptanziehungspunkt des Ägyptischen Museums, "die Schöne, die da kommt", und sie kommt in drei Monaten an ihren neuen und vielleicht hoffentlich endgültigen Platz, dann eröffnet die Ausstellung der ägyptischen Sammlung im Neuen Museum. Das ist auch Ihr großer Tag, das haben Sie geplant. Sind Sie eigentlich traurig, dass Sie den als Direktor nicht noch erleben dürfen?

Wildung: Ich glaube, es wird etwas ganz Wunderbares sein, still unter den Premierengästen zu sitzen und zu beobachten, wie - und dessen bin ich mir sicher - alle sich freuen. Personen geraten sehr, sehr schnell in Vergessenheit, das erleben wir täglich in unserem beruflichen und privaten Umfeld. Aber das, was man mit einem großartigen Team über viele Jahre schaffen konnte, das bleibt in Erinnerung. Wer das gemacht hat, ist ziemlich wurscht. Die, die dabei waren, wissen es, ich weiß es, darüber freue ich mich. Aber ich bin eigentlich ganz glücklich, da nicht mehr auf der Bühne stehen zu müssen, sondern einfach dabei zu sein. Ich habe dafür den Ausdruck "stillvergnügt" benutzt.

Timm: Und wie verabschiedet man sich von Nofretete?

Wildung: Gar nicht. Ich bleibe in Berlin, ich habe das Glück, beobachten zu können, wie sie sich im Laufe der Jahre auch durch unser Zutun von einem hübschen Covergirl zu einer wunderschönen Frau verändert hat, so werden wir sie in Zukunft zeigen. Und ich werde mich vor allem darum bemühen, dass das immer wieder - ich betone, nicht von Ägypten aus - angezettelte Gezeter um Nofretete endlich zur Ruhe kommt und Ägypten wie Deutschland glücklich ist.

Timm: Das wollte ich Sie noch fragen. Sie bleiben in Berlin. Ob Nofretete endgültig in Berlin bleibt, steht im Rahmen dieser Diskussionen, wohin Kunstwerke, wohin große Archäologiestücke gehören, auch immer wieder in der Diskussion. Neulich hieß es, Ägypten wolle sie ausleihen, Berlin habe sich verweigert. Sind Sie sicher, dass Nofretete in Berlin bleibt und meinen Sie, sie gehört da auch hin, für immer und alle Zeiten?

Wildung: Mit Sicherheit, denn die Frage, wo Nofretete hingehört, ist von beiden Ländern, von Ägypten und von Deutschland, immer eindeutig im Sinne Berlin beantwortet worden. Ich zitiere in diesem Kontext gerne den früheren Botschafter Mohamed Al-Orabi, der Nofretete zur "ständigen Vertreterin Ägyptens in Deutschland" ernannt hat. Ich nenne sie auch gerne ein "Weltkunstwerk mit Migrationshintergrund", sie ist die Personifizierung des Fremden in unserer Welt, bewundert, anerkannt, so wie wir es eigentlich wünschen, als Haltung von uns Deutschen gegenüber den Nichtdeutschen, den sogenannten Ausländern. Wir selber sind Ausländer fast überall auf dieser Welt, hieß es mal auf einem Button, den wir uns gerne angesteckt haben.

Timm: Dietrich Wildung, der scheidende Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, im Gespräch mit dem Radiofeuilleton. Herr Wildung, vielen Dank für das Gespräch und ich wünsche Ihnen einen frohen und gesunden Unruhestand!

Wildung: Danke!