Wildes Wildfleisch

29.09.2007
"Angesichts der jüngsten Fleischskandale ist Fleisch direkt vom Jäger ein echtes Qualitätsplus gegenüber anonymer Supermarktware", lobte Jochen Borchert, Präsident des Deutschen Jagdschutz-Verbandes das hiesige Wildfleisch. Keine Antibiotika, keine muffigen Ställe, sondern den ganzen Tag über frische Luft. Sein taufrisches Futter sucht sich das Wild in Wald, Feld und Flur selbst.
Ist Wild also eine Alternative zum üblichen "Gammelfleisch"? Es kommt zunächst drauf an, ob es sich um Gatterwild handelt oder um Wild, das von einem Jäger beziehungsweise von einem Autofahrer erlegt wurde. Derzeit stammt gut die Hälfte des verspeisten Wildes aus spezialisierten und kontrollierten Farmen. Davon kommt der größte Teil (90 Prozent - insbesondere Hirsch) aus Neuseeland. "Gammel" ist da eher die Ausnahme.
Anders beim Wild vom Jäger. Schon allein deshalb, weil es unkontrolliert Futtermittel wie Pilze, die Schwermetalle oder auch Radionuklide anreichern usw. Wird es krank, kommt kein Tierarzt, sondern Fuchs oder Jäger. Die Lebenserwartung in freier Wildbahn ist aufgrund der Gefahren – insbesondere durch Parasiten – meistenteils sehr niedrig. Insofern ist Wild nicht a priori "gesund".

Aber das wird doch heute alles kontrolliert, bevor es an die Waldgastätten abgegeben wird? Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Die EU verlangt zwar eine geeignete Kontrolle – aber das lässt sich im Wald schlecht überprüfen. Um eine ordnungsgemäße Fleischbeschau durchführen zu können, braucht man eine geeignete Ausbildung. Es kann nicht angehen, dass der Jagdschein reicht, um zum "Fleischkontrolleur" ernannt zu sein. Damit auch nix verkommt, plant zumindest ein Bundesland dem Jagdscheininhaber den Verkauf von platt gefahrenem Wild zu gestatten. Dazu muss er sich nur überzeugt haben, dass mit dem totgefahrenen Tier auch alles in Ordnung ist. Je größer seine Zweifel, desto geringer sein Einkommen. In den vergangenen zehn Jahren sind beispielsweise hunderttausende Stück Wild ohne Trichinenuntersuchung zum Verzehr gelangt. Fachleute sprechen von Dingen, die nicht mal als Hundefutter hätten verkauft werden dürfen. Da esse ich doch lieber einen Gammelfleischdöner aus K3-Material.

Sie verderben mir den Appetit! Beim Wild ist Gammel manchmal noch wilder. Denn die Schüsse treffen ja aus der Distanz nicht immer so genau. Da fliegt dann der Darminhalt durch die Bauchhöhle. Liegt das erlegte Tier dann noch Stunden unversorgt herum, handelt es sich um "echtes" Gammelfleisch. Es mag sein, dass das nicht erlaubt ist, aber im Rahmen einer Jagd ist das nicht immer zu realisieren und vor allem zu kontrollieren. Das bestätigen dann Untersuchungen, bei denen man bis zu zehn Millionen Keime pro Gramm Wildfleisch findet. Wenn ein eventuell anwesender Tierarzt erklärt (wie Augenzeugen berichten), das Fleisch sei nicht mehr zum menschlichen Verzehr geeignet, kann es passieren, dass der Jagdleiter das Tier nur zur Trichinenuntersuchung, aber nicht zur Fleischbeschau anmeldet. Dann kommt es trotzdem in den Handel. Der springende Punkt ist: Wenn es sich um eine "kleine Menge" handelt, kann auf eine Fleischbeschau verzichtet werden. Eine "kleine Menge" ist nach derzeitiger Auffassung die Strecke eines Tages, betrifft also schon mal 100 Stück Wild. Da Tiere in freier Wildbahn einer Fülle von Parasiten und Krankheitserregern ausgesetzt sind, wäre hier eine zwingend vorgeschriebene Fleischbeschau wichtiger als bei einem Schweinemastbetrieb.

Über die Hälfte des Wildfleisches stammt aus Gehegen. Gibt es da die gleichen Probleme? Zunächst: Der heute wichtigste Vorteil der Gatterhaltung ist, dass es keine Schonzeiten gibt und deshalb dieses Fleisch das ganze Jahr über frisch gewonnen werden kann. Die Tötung erfolgt durch gezielten Kopf- oder Halsschuss, so dass die Gedärme nicht verletzt werden. Natürlich kann auch Gatterwild krank werden – vor allem wenn es sich bei freilebendem Wild infiziert. Ein Teil dieser Krankheiten ist wie die Tuberkulose oder EHEC auf den Menschen übertragbar. Daneben ist jede Freilandhaltung einem erhöhten Druck von Parasiten ausgesetzt. Deshalb wird ordnungsgemäß gehaltenes Gatterwild regelmäßig mit Antiparasitika entwurmt. Da Gehegewild den gleichen Rechtsvorschriften unterliegt wie Tiere aus Mastbetrieben und diese auch vollzogen werden, ist die hygienische Qualität derzeit um Klassen besser als bei Wildbret.

Quellen:
Graf Kujawski OEJ: Wildfleisch: Schon mal auf eine Trichine gebissen? EU.L.E.n-Spiegel – Wissenschaftlicher Informationsdienst des Europäischen Institutes für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften e.V. 2007;13(H.2): 3-8
Bundesinstitut für Risikobewertung: Wildfleisch als Quelle für EHEC-Infektionen unterschätzt. Presseinformation 16/2007