Wiener Museumsleiter zur Nach-Coronazeit

Das Busseln verschwindet, die Maske bleibt

07:28 Minuten
Eine Frau mit einer Gesichtsmaske geht an der Moskauer Buchhandlung in der Twerskaja-Straße vorbei. Der Laden ist wegen der Coronavirus-Pandemie COVID-19 geschlossen. Mehr als 500 Schriftsteller und Verleger haben die russische Regierung aufgefordert, die Buchbranche zu unterstützen und Bücher in die Liste des Bedarfs aufzunehmen.
Eine "vollkommen neue kulturelle Praxis" ist das Maskentragen, sagt Matti Bunzl. Andere Gewohnheiten fallen dafür weg. © dpa / TASS / Sergei Karpukhin
Matti Bunzl im Gespräch mit Marietta Schwarz · 03.05.2020
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Die Coronakrise wird auch langfristige Folgen haben: So glaubt der Leiter des Wien Museums, Matti Bunzl, dass das Küssen und Händeschütteln zu Begrüßung wegfallen wird. Das Tragen einer Gesichtsmaske wird auch nach der Krise bleiben, ist er überzeugt.
Dass das Maskentragen eine Maßnahme der Nächstenliebe und gegenseitigen Wertschätzung sei, erkenne man jetzt durch die Coronakrise, meint Matti Bunzl, Kulturwissenschaftler, Anthropologe und Leiter des Wien Museums, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit einem Sammlungsprojekt zur Stadtgeschichte Corona in Wien abzubilden.

Das Maskentragen als altruistische Geste

Das Tragen von Masken sei für uns eine "vollkommen neue kulturelle Praxis", meint Bunzl, und eine Geste, die "symbolisch, aber auch gesundheitlich hochinteressant" sei. In Ostasien würden Gesichtsmasken schon seit langen getragen und uns werde erst jetzt klar, was das eigentlich heiße. Nämlich: "Dass es da gar nicht um den Schutz meiner selbst geht, wenn ich eine Maske trage, sondern um den Schutz von anderen. Und eine altruistischere Geste kann es eigentlich nicht geben."
Das Foto von selbst genähten Atemschutzmasken ist eine der vielen Einsendungen, die das Wien Museum zu ihrem Sammlungsprojekt zur Stadtgeschichte "Corona in Wien" erhalten hat. 
Ob selbst genäht oder gekauft: Beim Tragen einer Atemschutzmaske geht es nicht um den eigenen Schutz, sondern um den der anderen , meint der Leiter des Wien Museums© Clara Kaufmann (Wien Museum)
Auch auf mehreren Einsendungen für das Sammlungsprojekt des Museums wird der Mund-Nasen-Schutz thematisiert. Sein Lieblingsobjekt ist eine Maske mit einer politischen Botschaft, so Bunzl:
"Eine Gruppe hat Masken genäht, mit dem Aufspruch #leavenoonebehind. Also ein Aufruf, auch die Flüchtlingskrise weiter zu bedenken, für mich ein unglaublich spannendendes Objekt, wenn es gleichzeitig natürlich als Mund-Nasen-Maske sozusagen suggeriert, nicht sprechen zu können, aber trotzdem mit einem politischen Slogan die ganze Frage der Ungerechtigkeit gegenüber Flüchtigen weiterträgt."

Das Ende des "Bussi-Bussi-Gesellschaft"

Aber es gibt auch Dinge, die aufgrund des Abstandhaltens in der Coronakrise wegfallen, von denen Matti Bunzl glaubt, dass sie auch in Zukunft nicht mehr stattfinden: Die "Bussi-Bussi-Gesellschaft, also diese ständig sich abbusseln müssen im öffentlichen und halböffentlichen Raum". Da hätte sich ein "viel stärkeres Bewusstsein entwickelt, dass das einfach immer die Möglichkeit von Transmission in sich birgt". Ein ähnliches "Auslaufmodell" sei das Händeschütteln.
Die weiß gestrichene Bank mit fehlender Sitzfläche in der Mitte ist eine der vielen Einsendungen, die das Wien Museum zu ihrem Sammlungsprojekt zur Stadtgeschichte "Corona in Wien" erhalten hat. Sie soll das Abstandhalten in der Coronakrise symbolisieren. 
Eine weiß gestrichene Bank mit fehlender Sitzfläche in der Mitte soll das Abstandhalten in der Coronakrise symbolisieren. © Reinhard Beilner (Wien Museum)
Die fehlende Nähe wird auch einem künstlerischen Beitrag zu "Corona in Wien" aufgegriffen: "Wir haben auch ein Kunstwerk, das jemand geschickt hat. Das da nennt sich eine Covid-Bank, und das ist eine ganz normale Parkbank, in der das Mittelstück rausgeschnitten wurde, um so die erforderlichen einen Meter Abstand zu gewährleisten."
Doch sein absoluter Favorit unter den Einsendungen sei "kleiner, gehäkelter Virus, der aus dieser sehr abstrakten Gefahr fast ein niedliches, kleines Monster macht". Das sei auch kulturhistorisch interessant, weil "es zeigt, dass wir in unserem endlich kollektiven Verständnis irgendwie auch die Mikrobiologie des Ganzen verstehen."
Die gehäkelte Darstellung des Coronavirus als Monster in grün mit schwarzem Mund und Augen ist eine der vielen Einsendungen, die das Wien Museum zu ihrem Sammlungsprojekt zur Stadtgeschichte "Corona in Wien" erhalten hat. 
Das gehäkeltes Coronavirus ist ein Weg mit der Krise kreativ umzugehen.© Monika Oesterreicher (Wien Museum)

Mehr zu den Gesprächen mit Kulturschaffenden über die Corona-Krise und ihre möglichen Folgen gibt es auch auf der Internetseite des Goethe-Instituts.

(kpa)
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