Wiener Kulturgeschichte

Metropole des Morbiden

30:02 Minuten
Ein metallener Totenkopf mit Krone und fehlenden Zähnen.
Totenkopf mit Krone: der Sarkophag von Kaiser Karl VI. in der Kapuzinergruft in Wien © Imago / Peter Schickert
Von Stefan May · 01.11.2021
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Den Wienern wird ein besonderes Verhältnis zum Tod nachgesagt. Davon zeugen viele Lieder, die vom Sterben handeln, und die spektakulären Friedhöfe der Stadt. Viele Gebäude in Wien strahlen Melancholie aus.
"Er hat an Abgang g´macht.
Er hat die Patsch´n g´streckt.
Er hat a Bank´l g´rissn.
Er hat se niedag´legt.
Er hat se d´ Erdäpfel von unt´ ang´schaut.
Er hat se sozusagn ins Holzpyjama g´haut."
Roland Neuwirths "Ein echtes Wienerlied" – ein Lied, das zur Gänze aus Bezeichnungen für das Sterben besteht. Die Wienerinnen und Wiener machen viele Worte um den Tod. Denn der Tod ist ein wichtiger Teil ihres Lebens. Österreichs Hauptstadt wird traditionell ein Hang zum Morbiden unterstellt.
"Ich glaube, dass es schon ein Klischee ist. Ein allerdings in Wien in einer bestimmten Schicht lieb gewordenes Klischee, das man auch gern zelebriert, und das gefällt einem", sagt der Trauerredner Rudolf Nagiller.
"Bei den Menschen, mit denen ich zu tun habe, da erlebe ich das überhaupt nicht, da findet das nicht statt. Die sind einfach traurig."

Die Gebäude verströmen Melancholie

"An einem Klischee ist immer etwas dran. Es gibt keine Klischees, die völlig aus der Luft gegriffen sind", sagt die Philosophin und Psychotherapeutin Barbara Kadi.
"Es gibt hier schon eine Dunkelheit, die es anderswo nicht so gibt, eine Dunkelheit auch im Gemüt, die sich gegenläufig dann mit einer besonderen Leutseligkeit verbindet. Aber so was Dunkles, Depressives, Melancholisches – das gehört schon zu dieser Stadt."
Barbara Kadis Praxis befindet sich in jenem Haus, in dem der Schriftsteller Jura Soyfer bis zu seiner Verhaftung 1937 gewohnt hatte. Einem ehrwürdig-gediegenen Gründerzeit-Gebäude im 7. Wiener Gemeindebezirk:
"Ich weiß nicht, ob die Melancholie in Wien nicht mehr an den Gebäuden hängt und an der Art, wie die Stadt organisiert ist, und wo Menschen, die hier sind, das dann auch auf eine Weise einatmen. Ob ich das so an den Menschen festmachen würde, da wäre ich nicht so sicher."

"Der Tod, das muss ein Wiener sein"

Wien als Stadt, die sich über Jahrhunderte ihre eigene Aura geschaffen hat. Die Stadt, in der Sigmund Freud die Psychoanalyse erfunden hat. Und die wohl auch, so meint die Psychoanalytikerin Kadi, die Arbeit Freuds beeinflusst hat.
"Das ist interessant, dass Freud topografische Beschreibungen auch verwendet, um bestimmte Zustände zuzuordnen. So ordnet er die Liebe Paris zu und nicht Wien."

"Der Tod, das muss ein Wiener sein, genau wie die Liab a Französin.
Denn wer bringt dich pünktlich zur Himmelstür, da hat nur a Wiener das Gspür dafür.
Der Tod, das muss ein Wiener sein, nur er trifft den richtigen Ton:
Geh Schatzerl, geh Katzerl, ja was sperrst dich denn ein. Der Tod muss a Weaner sein."
(Georg Kreisler: "Der Tod muss ein Wiener sein")

"Der liebe Augustin oder der Tod, der ein Wiener sein soll: Ich denke schon, dass das für Freud auch eine große Rolle gespielt hat. Also ich denke schon, dass Freud selber auch ein Bewusstsein hatte davon, was Wien für eine Stadt ist – und dass er woanders seine Theorie so nicht entwickelt hätte."

Sigmund Freud und der Tod

Also Spurensuche an der Quelle, im 9. Bezirk.
"Wir befinden uns im neu eröffneten Museum, im Sigmund-Freud-Museum in der Berggasse 19. Hier hat Freud zwischen 1891 und 1938 gelebt, gewohnt, gearbeitet", erklärt Daniela Finzi, die wissenschaftliche Leiterin des Museums. Wiederum ist es ein würdiges Gründerzeithaus. Hohe Räume, knarrendes Parkett, spärlich möbliert, denn als Freud 1938 vor den Nazis flüchten musste, gelang ihm dies mit seinem gesamten Hab und Gut. Hier hat Freud seine Triebtheorie entwickelt, in den 1920er-Jahren dem Sexualtrieb den Todestrieb gegenübergestellt. Sigmund Freud ist drei Wochen nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gestorben. Stark geprägt hat ihn der Erste Weltkrieg, erfahrbar in seiner Schrift "Zeitgemäßes über Krieg und Tod".
"Diese Publikation besteht aus zwei Texten, einem Text über den Krieg und einer anderen Auseinandersetzung mit dem Tod, die mit den Worten Freuds schließt: ‚Wenn du dich auf das Leben einstellen willst, dann richte dich auf den Tod ein‘. Das heißt, dass für Freud die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit, mit dem Sterben, mit dem Tod etwas ganz Zentrales und Wichtiges auch war, um das Leben in all seiner Facettenhaftigkeit auch erfahren und schätzen zu können."
In einem Salon stehen rote Polstermöbel, an den Wänden hängen gerahmte Schwarzweiß-Bilder.
Sigmund Freuds ehemaliges Wohnhaus in Wien ist heute ein Museum.© imago / Xinhua / Georges Schneider
Freud selbst stellte sich frühzeitig auf den Tod ein. Im Vorzimmer zur Wohnung der Familie liegt in einer Vitrine das Original der Todesanzeige von Freuds Mutter.
"Das Besondere an diesem Schriftstück ist, dass erkennbar ist, dass diese Todesanzeige von ihm schon vorformuliert war, mit Angabe all der trauernden Familienmitglieder und dann mit Bleistift, also einem anderen Stift, die konkreten Daten eingefügt wurden. Dazu ist aber auch zu sagen, dass Freud ein solches Schriftstück im Vorhinein nicht nur für den Tod der Mutter, sondern viele, viele Jahre zuvor schon für sein eigenes Ableben vorbereitet hatte. Ich glaube tatsächlich, dass das etwas ist, was ihn eher mit den Wienern verbunden hat. Es gab da sicherlich auch den Wunsch, alles zu kontrollieren und vorherzusehen."
Ganz so, wie die Wienerinnen und Wiener schon gerne zu Lebzeiten vorsorglich ihren Namen und das Geburtsdatum auf dem Stein des Familiengrabes eingravieren lassen, bestätigt der Steinbildhauer Martin Schmeiser.
"Ein ganz großes Problem war um die Zweitausenderwende. Die Ella Saul ist gestorben. Daten okay. Adolf Saul hat das bestellt und hat sich auch schon eingravieren lassen: Geburtsjahr. Und dann hat er bis 19... Und dann hat er freigelassen. Gestorben ist er 2001. Leinwand, nicht? Heißt: Stein abtragen, ausschleifen, komplett neu gravieren, weil das einfach nicht mehr gestimmt hat."

Grabsteininschriften, die viel verraten

18. Bezirk, Gersthofer Friedhof: Früher waren die Grabsteininschriften in Wien außerordentlich auskunftsfreudig. Verwitterte Goldlettern erzählen von einer Hafnermeisterswitwe, einem bürgerlichen Bäckermeister und Besitzer der goldenen Salvatormedaille, einem k.k. Landesschulinspektor, einer k.k. Professorswitwe und einem k.k. Postoberoffizial. Hier ruht Kakanien, wie der Dichter Robert Musil einst spöttisch formuliert hatte. Doch auch auf jüngeren Grabsteinen liest man von Hofräten, Sektionschefs und Regierungsräten. Die Titelverliebtheit der Österreicher überdauert den Tod. Friedhöfe sind sowohl Spiegelbilder wie auch offene Geschichtsbücher einer Gesellschaft.
"Einem Dr. Dr. habe ich eine Metallschrift bestellt in Deutschland, und da habe ich die Anfrage bekommen, was das auf sich hat mit diesem Grab, ob der was mit der DDR zu tun hat, weil bei Dr. Dr. ist draußen nicht bekannt, dass man das ‚DDr.‘ schreibt."
Steinmetz Schmeiser hat soeben das Grabmal von Niki Lauda fertiggestellt. Ein Stein aus den Kärntner Bergen mit einer schlichten Inschrift. Andere Menschen scheuen keinerlei Kosten, um die letzte Ruhestätte ihrer Liebsten möglichst kostspielig zu gestalten:
"Also, a schöne Leich ist wichtig."
A schöne Leich: also eine würdevolle Beisetzung. Denn das Wort "Leich" bedeutet im Wienerischen auch: Begräbnis.

Mozart im Massengrab als Touristenattraktion

Doch nicht nur die Wiener, auch andere Kulturen bringen den Toten viel Respekt entgegen, wie etwa die Japaner, besonders wenn es sich um berühmte Musiker handelt.
"Mozart ist am Sankt Marxer Friedhof, dem ältesten Biedermeier-Friedhof Wiens, begraben. Man weiß nicht genau, wo dieses Massengrab ist, in dem er liegt. An einer Stelle, wo er sein könnte, hat man ein Denkmal aus alten Teilen zusammengebaut, eine Stele, eine gebrochene Säule, an die sich ein trauernder Genius anlehnt mit einer Tafel mit ‚W. A. Mozart‘, und, ich glaube, eine Jahreszahl ist auch drauf. ‚Ist unter der Betreuung der Gemeinde Wien.‘ Ich habe den Auftrag bekommen, es zu restaurieren, weil es eben nicht mehr ganz in Ordnung war. Man musste es abtragen.
Und als es abgetragen war, mussten wir eine Tafel aufstellen für die Gemeinde als Erklärung, dass eben die Gemeinde Wien beauftragt hat, diese Anlage restaurieren zu lassen. Und der Grabstein steht jetzt in der Werkstätte, mit genauer Adressangabe. Und es hat nicht lange gedauert, da ist bei meinem Tor im 13. Bezirk vor der Werkstätte ein Autobus stehen geblieben und hat eine ganze Reisegruppe aus Japan ausgespuckt, die hereingekommen sind, ganz lieb und sehr höflich und wie es halt ihre Art ist, dass sie den Grabstein vom Mozart gesucht haben, weil, den wollten sie auch fotografieren. Und dann haben wir halt posieren müssen, neben dem Stein."

Schmeisers Werkstätte befand sich in den ehemaligen Gemüsekellern des Schlosses Schönbrunn. Die einstigen Schlossbesitzer, die Habsburger, über Jahrhunderte Österreichs Herrschergeschlecht, sind in der Kapuzinergruft im ersten Bezirk bestattet – zumindest teilweise.
"König Ferdinand IV. war dann der Erste, der entschieden hat, er möchte, dass sein Herz in der Loretokapelle in der Hofkirche bei den Augustinern in der Hofburg begraben ist, das war quasi die Pfarrkirche der Habsburger, und seine Eingeweide in der Herzogsgruft im Stephansdom, was also die Metropolitankirche war."
Der Rest des Körpers wurde in den Kellergewölben neben dem Kapuzinerkloster bestattet. Peter Grubits ist der Geschäftsführer der Kapuzinergruft, die von mehr als 200.000 Menschen im Jahr besucht wird. Als toter Monarch auf mehrere Beisetzungsorte aufgeteilt zu werden, hatte durchaus spirituell-praktische Gründe, sagt Grubits.
"Wenn man an die Reliquienfrömmigkeit des Mittelalters denkt, wenn wer jetzt Eingeweide, Herz und den Leichnam an drei verschiedenen Orten hat, dann war es möglich, an drei verschiedenen Orten für die Verstorbenen zu beten. Und es war natürlich dreimal so wirksam."
Auf einem Grab steht eine zerbrochene Stele, an die sich eine Steinfigur anlehnt.
An dieser Stelle auf dem Friedhof St. Marx wird die Grabstätte des Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart vermutet. Er starb 1791 und wurde in einem Armengrab beigesetzt.© imago / Chromorange

Devotionalien an Kaiserin Sissis Grab

150 Personen aus dem Hause Habsburg sind in den unterirdischen Räumen bestattet. Ihre teils imposanten Sarkophage erzählen 400 Jahre österreichische Geschichte: vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Sohn des letzten Kaisers, Otto Habsburg. Ein beliebter Ort für die Prüfungen von Fremdenführern.
"Die Metallsarkophage sind teilweise aus Bleilegierungen, aus Zinnlegierung, die letzten aus Kupferblech. Man hat sehr auf die Dichtheit dieser Sarkophage geachtet. Sie werden hier in der Gruft keine Geruchsbelästigung vorfinden. Und das ist schon zum Großteil der Arbeit der Metallgießer und der Handwerker aus der Zeit der Entstehung der Sarkophage zu verdanken. Das große Problem, das wir bis zur letzten Jahrtausendwende hatten, ist, dass die Luft in der Gruft so eine hohe relative Luftfeuchtigkeit hat, dass die Korrosion fast alle Särge sehr geschädigt hat. Man musste schon nach 100 Jahren mit den ersten Restaurierungsarbeiten beginnen."
Inzwischen sorgt eine Klimaanlage für fast heimeliges Raumklima. Die Särge ruhen oft auf wuchtigen metallenen Tierpranken, an ihren Ecken wachen gekrönte Totenköpfe. Hie und da haben Besucher davor Devotionalien abgelegt. Am Sarg der besonders in Ungarn verehrten Kaiserin Sissi leuchten rot-weiß-grüne Bänder und Fähnchen. Am Sarg von Kaiser Maximilian von Mexiko lehnt ein schwarzer Sombrero. Münzen hat jemand abgelegt sowie einen handgeschriebenen Zettel: Mexico te necessita – Mexiko braucht dich.
"Sicher stimmt es, dass der Wiener, die Wienerin ein besonderes Verhältnis zum Tod hat, es wird ein bissel Morbidität der Stadt nachgesagt. Und das kann man da natürlich hautnah erleben, weil, diese Prunksarkophage sind halt einfach nur Schmuckstücke."

Der pompöseste Sarkophag ist jener von Maria Theresia und ihrem Mann Franz Stephan von Lothringen. Sein Gewicht wird auf bis zu 17 Tonnen geschätzt. Vor dieser trotzigen Demonstration der Macht steht wie als Kontrast ein schlichter Kupfersarg, letzter Ruheort von Maria-Theresias Sohn und Nachfolger, Josef II., einem Zeitgenossen des Preußenkönigs Friedrich II. Als aufgeklärter Herrscher setzte Joseph zahlreiche Reformen durch, bis hin zum Bestattungswesen. So gesehen wirkt sein Kupferbehältnis fast schon imperial. Denn im Wiener Bestattungsmuseum steht ein Exemplar seiner Erfindung, die er dem gemeinen Volk zugedacht hatte.
"Der josephinische Klappsarg, Sparsarg, ein wiederverwendbarer Sarg. Sie sehen, es ist eine Klappe da unten, die man schließen kann. Jeder, der stirbt, wird nackt in Leinen genäht, mit diesem Sarg aufgebahrt, den die Kirche zur Verfügung stellen musste. Und am Abend oder zu später Nachtstunde ist er so gut wie alleine zum Friedhof gebracht worden, über ein Sammelgrab gestellt, der Tote oder die Tote ist in das Grab rein gepurzelt. Und Klappe zugemacht und ab zum Nächsten."
Nach einem halben Jahr musste Joseph II. die Reform wieder zurücknehmen, weil das Volk sonst revoltiert hätte, erzählt Erich Traxler von der Wiener Bestattung. Das Bestattungsmuseum befindet sich unterhalb von Halle 2 beim zweiten Tor des Wiener Zentralfriedhofs. Mit einer Größe von 2,5 Quadratkilometern ist er der zweitgrößte Friedhof Europas, nach jenem von Hamburg-Ohlsdorf, dem größten Parkfriedhof der Welt.
"Aber von den Grabstellen ist der Wiener Zentralfriedhof der größte von Europa. Und hier haben wir circa 330.000 Grabstellen mit circa drei Millionen Verstorbenen. Also sprich: Der Wiener Zentralfriedhof hat mehr Einwohner unter der Erde als ganz Wien über der Erde. Es lebe der Zentralfriedhof."
Reich verziertes Grab von Kaiserin Maria Theresia in der Wiener Kapuzinergruft.
Der Riesensarkophag von Kaiserin Maria Theresia und ihrem Gatten Franz I. Stephan, gestaltet von Balthasar Ferdinand Moll, zeigt in den seitlichen Reliefs Szenen aus ihrem Leben.© Imago / Peter Schickert

"Es lebe der Zentralfriedhof
Und alle seine Toten.

Der Eintritt is´ für Lebende heut´ ausnahmslos verboten."
(Wolfgang Ambros "Es lebe der Zentralfriedhof")

Ganz im Gegenteil: Den Zentralfriedhof besuchen nicht nur trauernde Hinterbliebene: Ein sogenannter Silent Run markiert eine Laufrunde durch die weiten Alleen, eine Autobuslinie erschließt im halbstündigen Rundkurs die Weiten des riesigen Areals letzter Ruhestätten.
"An einem guten Tag geht von der Halle 1, wo es mehrere Beerdigungsräume gibt, von 8 bis 15 Uhr alle 30 Minuten eine Beerdigung weg."

Zu Allerheiligen wird das Grab in Ordnung gebracht

Früher zelebrierten sogenannte Einsegnungspriester der katholischen Kirche auf dem Zentralfriedhof Begräbnisse wie am Fließband. Heute ist das Sache jener Pfarre, zu der die oder der Verstorbene gehörte. Hans Bensdorp, aus einer in Österreich sehr bekannten Schokoladen- und Kakaohersteller-Dynastie stammend, war viele Jahre lang Pfarrer in Wien. Von den zahlreichen Begräbnissen, die er gefeiert hat, ist ihm noch das eine oder andere in Erinnerung.
"Ich komme in die Aufbahrungshalle, und sie sind dabei, den Teppich einzurollen. Dieser Teppich liegt immer dort, der ist noch nie weggerollt worden. ,Also warum rollt´s ihr den Teppich weg?´ Ja, der Angehörige, der das Begräbnis seiner Tante organisiert, der ist von der Bestattung, und der weiß: Ohne Teppich ist es 20 Euro billiger."

Was keineswegs den Eindruck erwecken soll, den Wienern liege nichts an ihren Verstorbenen, wie Hans Bensdorp bestätigt.
"Ich glaube schon, dass der Tod irgendeine ganz besondere Bedeutung hat in der ganzen Sprache, auch die Art und Weise, wie Friedhöfe betreut werden. Vor Allerheiligen, da lassen die Leute ihre Gräber herrichten, da müssen die Steinmetze noch geschwind herhalten, um alles in Ordnung zu machen, damit ja die Frau Nachbarin nicht sagen kann: Die haben das Grab nicht hergerichtet. Also, das ist schon sehr, sehr wichtig in Wien."
Porträt eines älteren, weißhaarigen Mannes, der Brille, Jacke und einen gestreiften Schal trägt.
Ohne roten Teppich 20 Euro billiger: Pfarrer Hans Bensdorp hat bei Wiener Beerdigungen einiges Skurrile erlebt. © Deutschlandradio / Stefan May

Die unbekannten Toten vom Friedhof der Namenlosen

Der Allerheiligenverkehr war noch vor ein paar Jahrzehnten für die Wiener Verkehrsbetriebe der Tag mit der höchsten Verkehrsleistung. Eigene Straßenbahnlinien fuhren nur an diesem Tag quer durch Wien mit Ziel Zentralfriedhof, wo sie fast im Minutentakt ankamen und abfuhren.
Und es gibt jene, die keine Beachtung von Angehörigen erfahren, weil sie niemand kennt. Es sind die anonym Bestatteten auf dem Friedhof der Namenlosen. Er befindet sich wie der Zentralfriedhof im 11. Bezirk. Doch ist es mit dem Autobus noch ein gutes Stück bis zur Stadtgrenze beim Wiener Hafen an der Donau. Sattelzüge mit Containern schlängeln sich an Lagerhallen und Speichertürmen vorbei. "Hafenkneipe" steht über einer Imbisshütte. An einem Fenster lehnt ein Mann mit Bierdose in der Hand. Auf die Frage nach dem rechten Weg streckt er den Arm aus: Gerade durch, sagt er und fügt nach einer Pause mehrdeutig hinzu: "Bis aus is". "Aus" ist die Straße hinter riesigen Betonmischtrichtern, an einer Böschung, die eine Grünfläche mit bescheidenen Metallkreuzen umrahmt, auf denen zumeist nur das Wort "unbekannt" zu lesen ist. In der Friedhofskapelle wartet Josef Fuchs. Er betreut das Gräberfeld bereits in der dritten Generation. Keiner der hier Bestatteten hat sich diesen Friedhof als letzte Ruhestätte ausgesucht.
"Viele Leute aus der Donau, die angeschwemmt wurden, unmittelbar hier, wo man bis heute nicht weiß, wer das ist, die sind also unbekannt bestattet, darum auch namenlos. Und dann in der Vorkriegszeit einige Leute, die sich in der näheren Umgebung das Leben genommen haben – durch Erhängen oder Erschießen."

102 Menschen fanden hier ab der Wende zum 20. Jahrhundert ihre letzte Ruhe. 1940 wurde der Friedhof aufgegeben. Der ältere Teil mit 478 Gräbern ist seit der Verlängerung der Hafeneinfahrt Geschichte. Auf dem an seiner Stelle aufgeschütteten Damm warten derzeit Rotorblätter für Windkraftanlagen auf ihre Abholung. Mit dem alten Teil verschwand auch jener Wasserstrudel, der die Toten an dieser Stelle angeschwemmt hatte. Wasserleichen, die früher von Jägern und Fischern gefunden worden waren, treibt die Donau heute hier vorbei und weiter bis nach Ungarn.
"Aus dem Grund haben die Fischer dann eine Kranzlegung ins Leben gerufen, das heißt, sie taten einmal, am Sonntag nach Allerheiligen, ein Floß schmücken, das sargähnlich ausschaut, mit Kränzen, mit Blumen, Kerzen. Das wird in der Donau ausgesetzt für diese Opfer der Donau, die nicht geborgen werden konnten."
Der Ort wirkt wie das Ende der Welt. Reiseführer bezeichnen ihn als Geheimtipp. Szenen aus dem Film "Before Sunrise" wurden hier gedreht. Filmstudenten drehen ihre Prüfungsarbeiten auf dem Friedhof der Namenlosen. Mehrere Tausend Menschen besuchen ihn pro Jahr. Nicht nur Touristen.
"Wir haben aber natürlich schon auch sehr regen Besuch von den Geisterjägern, die immer wieder kommen in der Nacht. Und in der Nacht unterhalten sie sich mit diesen Menschen, die hier sind, die noch nicht zur Ruhe gefunden haben. Solche Dinge gibt es nach wie vor."
Die Geisterjäger rücken mit Geräten an, nehmen elektromagnetische Wellen auf und fotografieren. Es sind Menschen, auf die der Tod, das Jenseits, eine besondere Faszination ausübt.
Grabkreuze mit der Aufschrift "Namenlos".
Auf dem Wiener Friedhof der Namenlosen liegen zum Beispiel anonyme Tote, die von der Donau angeschwemmt wurden.© Picture Alliance / APA / picturedesk.com / Georg Hochmuth

Zwei lustige Strophen, dann kommt der Tod ins Spiel

"Ich glaube, es ist ja nicht so, dass wir wirklich uns mit dem Tod anlegen wollen, sondern wir reden nur so viel darüber, damit es nachher nicht so schlimm sein wird. Hoffentlich", sagt der Wienerliedsänger Peter Havlicek. Er muss es wissen, denn:
"Es ist so, dass es in jedem Wienerlied in der dreitten Strophe ums Sterben geht, eigentlich. Also: Die Erste ist lustig, die Zweite ist auch noch lustig. Und dann zum Schluss ist es: Ah, wenn‘s einmal aus wird sein ..."

"Erst wann´s aus wird sein, mit aner Musi´ und mit ´n Wein,
dann pack´ ma die sieb´n Zwetschk´n ein, eh´nder net."
(Peter Alexander "Erst wann’s aus wird sein")

Treffpunkt mit Peter Havlicek ist der Dornbacher Friedhof im 17. Bezirk. Wir steigen am Fuß des Schafbergs entlang der Grabreihen höher, wobei Havlicek an den Ruhestätten diverser Wienerlied-Komponisten und -Interpreten vorbeiführt. Plötzlich eine typisch wienerische Geste: Er zeigt auf das eigene Familiengrab und sagt: Dort werde einmal ich liegen. Auf einer Anhöhe, von der wir über den Friedhof und den Bezirk Hernals sehen, packt Peter Havlicek seine Gitarre aus.
"I brauch kan Pflanz, i brauch kan Glanz, i brauch ka schöne Leich.
I komm a ohne Kranz genausoguat ins Himmelreich.
Als alter Drahrer hab ich nur den einen Will'n:
Den letzten Gruaß, den müssen mir die Schrammeln spiel'n.
Statt fuffzehn Kerzen stellt's mir hin a guates Flascherl Wein.
Dann spielt's a Weanerliad, zum Beispiel: 'Erst wann's aus wird sein.
Und wann i do beim zweiten Takt net applaudier,
dann haut's den Deckel zua, weil dann is´ aus mit mir."
Vielfach stellt das Wienerlied Tod und Genuss in engen Zusammenhang, wobei der Wein als Sinnbild für den Genuss steht. Dadurch wird das Sterben in eine Atmosphäre vorweggenommener paradiesischer Seligkeit eingebettet.

"Es wird a Wein sein, und mir wer'n nimmer sein.
Drum g'niaß ma's Leb'n so lang's uns g'freut.
'S wird schöne Maderln geb'n, und wir wer'n nimmer leb'n.
Drum greif ma zua, grad is's no' Zeit."
(Musik: Willi Forst "Es wird a Wein sein")

Es ist darum nicht verwunderlich, dass im Shop des Wiener Bestattungsmuseums auch Wein der Sorte Grüner Veltliner angeboten wird – mit einer verebbenden Herzrhythmuskurve auf dem Etikett. Die Artikel im Shop sind mitunter durchaus gewagt: vom Zigarettenetui mit der Aufschrift: "Rauchen sichert Arbeitsplätze – Bestattung Wien" über Instant-Pasta in Form von Totenköpfen sowie T-Shirts mit dem Aufdruck eines Leichenwagens und darunter den Worten: "Der letzte Wagen ist immer ein Kombi" bis zu Schlüsselanhängern und Computer-Sticks in der Form von Särgen. Der schwarze Humor als Werbelinie hat seine Fangemeinde, betont Erich Traxler von der städtischen Bestattung:
"Wir haben 99 Prozent positives Feedback und nicht einmal ein Prozent negatives Feedback. Also, wann man sich das in Social Media ansieht: Man gibt eine Idee hinaus, da hat man innerhalb von zehn Minuten 160 positive Rückmeldungen."

Bestatter heißt auf Wienerisch Pompfüneberer

Auch das Museum selbst ist beliebt. Bei der Langen Nacht der Museen kommen bis zu 2500 Besucher, obwohl der Zentralfriedhof 1874 am südöstlichen Stadtrand angelegt wurde. Grund dafür war übrigens die Überlegung, dass der Wind aus dem Wiental möglicherweise entstehenden Leichengeruch nicht in die Stadt, sondern aus ihr hinaus bläst. Das Museum zeigt unter anderem Herzstichmesser und Rettungswecker – als Zeugen für die einstige Angst, eventuell lebendig begraben zu werden. Gesetzlich sei der Herzstich auch heute noch erlaubt und von zwei Ärzten zu protokollieren und durchzuführen, sagt Erich Traxler, werde aber schon lange nicht mehr angewendet.

Bis die Bestattung 1907 kommunalisiert wurde, gab es in Wien mehr als 85 Privatbestatter. Ein schwarzer Wagen des größten Unternehmens aus jener Zeit steht im Museum und trägt an den Seitenwänden die Firmenaufschrift: "Entreprise des Pompes Funèbres". Von daher kommt der auch heute noch in Wien gebräuchliche Ausdruck Pompfüneberer für Bestatter. Aufgrund von EU-Bestimmungen hat die Wiener Bestattung 2002 ihr Monopol wieder verloren. Es kann seitdem gewählt werden, wem man die eigene sterbliche Hülle anvertrauen möchte und wie das letzte Ambiente ausgestaltet sein soll.
"Es gibt ja sehr viele Möglichkeiten, nicht nur von der Außen-, sondern auch von der Innenhülle – mit Polsterchen oder Deckchen. Es ist natürlich alles biologisch abbaubar, muss ich gleich vorab sagen. Also da ist jetzt nichts Künstliches drinnen, aber man kann sich alles aussuchen. Nach dem Motto: Wie man bettet, so liegt man."
Porträt Erich Traxler mit Mundschutz und einem T-Shirt, auf dem steht: "Der letzte Reiseleiter".
"Der letzte Reiseleiter" Erich Traxler: Im städtischen Bestattungsunternehmen ist schwarzer Humor angesagt. © Deutschlandradio / Stefan May

Probeliegen im Sarg

Man darf sogar schon zu Lebzeiten im Wunschsarg probeliegen, bevor man sich für ein Modell entscheidet. Eine Grabstelle kann auf 99 Jahre gemietet, die Art der Feier im Voraus festgelegt werden.
"Das mit Grabaussuche und dergleichen, ist, glaube ich, so was typisch Wienerisches. Viele sagen: ‚Meine Kinder haben das Geld nicht.‘ Oder: ,Ich möchte niemandem zur Last fallen, finanziell.´ Ich habe selbst über 16 Jahre Beerdigungen durchgeführt und es war nicht nur einmal, dass ich volles Programm hatte, also sprich: dreimal musikalische Untermalung, Priester, der Kranz von der oder dem Verstorbenen selbst, mit einem Sarggesteck – aber null Trauergäste."
Gegenüber vom Zentralfriedhof liegt ein wenig versteckt der Tierfriedhof. In kleinen Gräbern sind Haustiere bestattet. Fotomedaillons kleben auf den Grabsteinen, "In ewiger Liebe" oder "Wiedersehen, mein Schatz" steht eingraviert darunter. Das Lieblingsspielzeug von Hund und Katze, kitschige Engelsköpfe oder Plastiktiere, die ewige Lichter in der Schnauze halten, liegen auf den Gräbern. Eine Frau hat gerade ein Beet in Ordnung gebracht.
"Das war eine Findelkatze, ja, also ist mir zugelaufen. Ende November, ganz besondere Geschichte. Die Katze war circa fünf, sechs Jahre alt, und solche Tiere sind am dankbarsten. Hätte ich nicht gewusst, dass diese Katze mir so sehr am Herzen wächst."

Ein älterer Mann, Goldzähne, tätowierte Arme, füllt gerade seine Gießkanne. Stolz zeigt er auf die auffälligste Grabstelle des Tierfriedhofs. Säulen tragen einen Baldachin, alles aus schwarzem Marmor. ‚Rocky´ steht in geschwungener Schrift auf dem Stein. Der Pekinese ist im Alter von 17 Jahren vor acht Jahren gestorben. Wie oft er auf den Friedhof kommt?
"Jeden Tag zweimal. Jetzt kommen und später nach Hause gehen und später wiederkommen und so. Jeden Tag."
Zwei Besucherinnen sehen sich auf dem Tierfriedhof um: Ob sie auch ein Tier hier bestatten lassen würden?
"Ich habe einen Garten. Darf man zwar nicht, aber kleine Tiere darf man schon im Garten begraben. Also wenn ich eine Wohnung hätte, würde ich‘s auch nicht in die Tierkörperverwertung bringen, sondern dann würde ich wahrscheinlich auch mein Tier da bestatten lassen, ja."
Die Wiener haben eine ähnlich sentimentale Beziehung zum Tod wie zu ihren Tieren.
Ein von Blumen umsäumtes Grab auf dem Wiener Tierfriedhof, mit einer großen Hundeskulptur.
Autor Stefan May attestiert den Wienern eine ähnlich sentimentale Beziehung zu ihren Haustieren wie zum Tod.© Deutschlandradio / Stefan May

"Das ist ein Muss, das Umzieh'n ins allerletzte Haus
und d' Leit', die soll'n nur merken, an Fiaker führ' mer raus.
Und auf mei'm Grabstein, da soll steh'n -
damit die Leut' auch deutlich seh'n:
Sein Stolz war, er war halt an echt's Weaner Kind,
ein Fiaker wie man' nicht alle Tag find'.
Sei' Bluat war so lüftig, so leicht wie der Wind.
Aber er war hoit ein echt's Weaner Kind."
(Musik: Paul Hörbiger "Fiakerlied")

Ein ehemaliger ORF-Journalist wird Trauerredner

Religiöse Trauerfeiern finden auf dem Tierfriedhof nicht statt. Aber auch Begräbnisse verstorbener Menschen werden in Wien mitunter ohne Priester abgehalten. Dann treten Trauerredner an deren Stelle. Der 77-jährige Rudolf Nagiller ist Journalist und war zuletzt Informationsintendant des Österreichischen Rundfunks.
Seit fünf Jahren arbeitet Nagiller als Trauerredner, an die 60 Mal im Jahr. Für ihn ist wichtig, "dass man die Aufmerksamkeit und die Herzen der Zuhörenden gewinnt. Da hab´ ich schon ein bisschen lernen müssen. Ich komme ja aus dem politischen Journalismus, und da versucht man ja normalerweise – jedenfalls war es bei uns noch so – nicht zu emotional hineinzugehen. Das darf man bei einer Trauerrede nicht, da muss man schon auch in die Emotionen gehen, also die Emotionen der Zuhörer, der Hinterbliebenen und der Trauergäste ansprechen. Da habe ich schon ein bissel zulegen müssen. Und wenn da ab und zu Tränen ein bissel rinnen in der ersten Reihe, bei den unmittelbar Angehörigen, bei den Witwen, bei den Kindern – und so weiter, ist das schon auch ganz gut."
Für Nagiller ist die Vorbereitung der Rede besonders wichtig, die Recherche, würde er wohl als Journalist sagen. Dazu gehört vor dem Begräbnis ein etwa einstündiges Telefonat mit den Angehörigen. Dann versucht er aufgrund der erhaltenen Informationen den Menschen, um den es geht, zu modellieren. Am Schluss des Nachrufs geht er meist darauf ein, wie der- oder diejenige gestorben ist.

"Keine medizinischen Geschichten, sondern schon mit Fingerspitzengefühl. Und wie das war, die letzten Stunden, der letzte Atemzug, wenn man das weiß, und so. Da frage ich natürlich. Und einmal, ist schon wieder ein Jahr her, habe ich eine Frau gefragt: Wie ist er denn gestorben? Die war vielleicht 45 und er war vielleicht 55, der Verstorbene. Sagt sie: Beim Sex. Da konnte ich nicht mehr weiterfragen, natürlich, und hab‘s auch nicht gebracht."

Genuss und Tod, Leben und Sterben, diese Gegensätze liegen in Wien besonders eng beisammen. Beides wird mit einer gewissen Wehmut akzeptiert. Um reisefertig zu sein, wenn es an der Zeit ist, sich auf den letzten Weg zu machen.

"Zeigt sich der Tod einst, mit Verlaub und zupft mich: "Brüderl, kumm."
Da stell ich mich zu Anfang taub und dreh mich gar nicht um.
Doch sagt er: "Lieber Valentin, mach keine Umständ, geh!"
Dann leg ich meinen Hobel hin und sag der Welt: ‚Ade!‘"
(Musik: Hans Moser "Hobellied)


Die Erstausstrahlung des Features war am 2. November 2020.

Autor: Stefan May
Regie: Stefanie Lazai
Technik: Inge Görgner
Redaktion: Carsten Burtke

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