Wiener Augarten

Frisches Gemüse wächst auch im Winter

05:11 Minuten
Palmkohl auf einem Feld in Euskirchen, Deutschland.
Kohl und Salat kann auch im Winter angebaut werden. Wegen der niedrigen Temperaturen schmeckt er sogar süß. © IMAGO/Westend61
Von Stephan Ozsváth · 30.01.2021
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Palmkohl und Eichblattsalat im Winter anbauen, auf Freiflächen? Klingt wie eine verrückte Idee – ist es aber nicht. Im Wiener Augarten, direkt neben den Sängerknaben, kümmert sich ein gemeinnütziger Verein genau darum. Und es schmeckt auch noch.
"Wir sind jetzt hier in der Cityfarm, im Augarten und wir gehen jetzt in den winterlichen Garten."
Wolfgang Palme startet die Führung zu den Beeten, die im Schnee liegen. Er steuert ein Beet mit Zierkohlen an, die man sonst aus dem Blumenladen kennt. Es ist knapp über null Grad. Schnell wird klar: Der Schlaks ist ein Besessener. Und er kennt sich aus mit Gemüse. Wintergemüse ist sein Leib- und Magenthema.
"Die letzten Tage war es sehr frostig, aber das tut unserem Gemüse keinen Abbruch."

Im richtigen Leben ist Wolfgang Palme Beamter. Er leitet die Abteilung Gemüsebau an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt in Schönbrunn – dort wo Kaiserin Sissi ihre kaiserliche Meierei hatte, untersucht der Steirer, den Frostschutz im Gemüse.
"Der Frost ist ja nicht gefährlich, weil es plötzlich null Grad kriegt, sondern weil sich Eiskristalle bilden. Und Eiskristalle haben ein größeres Volumen als das flüssige Wasser. Das heißt, auch durch diese kristalline Struktur des Eises sprengt es die Zellen. Das muss die Zelle vermeiden. Das macht die Zelle auch, und zwar indem sie die Eisbildung auf die Zellzwischenräume beschränkt. Das heißt, wenn die Pflanze auftaut, dann ist die Zelle selber nicht betroffen. Und nicht zerstört worden, wenn aber Eiskristalle sich im Zellinneren, in dieser Saftblase bilden. Dann platzt die Zelle und ist tot. Das ist eben diese Glitschige, Matschige, Glasige, wenn wirklich ein Frostschaden entstanden ist."


Das kennt jeder, der schon mal einen Salat im Backstage-Bereich des Kühlschranks vergessen hat. Was ist aber das Frostschutzmittel der Pflanzen? Aminosäuren und Lipide halten die Kristalle in den Zwischenräumen, erklärt der Experte.
Wolfgang Palme. Ein Mann sitzt auf einem Feld und zeigt auf Salat.
Wolfgang Palme: "Salate gehören im Winter vor dem Schnee geschützt."© Stephan Ozsváth
"Ich weiß nicht, ob sie Rucola mögen, aber der ist im Winter auch sehr geschmackvoll. Der ist gestern flachgelegen, wie es da so frostig war. Und Sie sehen, er hat sich aufgerichtet. Der ist knackig, frisch, als wäre nichts gewesen."

"Salate gehören unter die Haube"

Der Rucola schmeckt sehr anders als beim Italiener. Da scheint oft Stroh auf dem Salatteller zu liegen, blass, geschmacksfrei. Neben dem großen runden Beet mit Zierkohlen, Grünkohl und anderen Kohlsorten, die besonders winterhart sind, sind Salatköpfe unter dem schützenden Dach eines flachen Winterbeetes. Ein Stock hält sie offen, sorgt für Frischluft, der Boden im Beet ist trocken.
"Salate gehören unter die Haube. Salate gehören im Winter vor dem Schnee geschützt. Sie haben bis minus elf Grad in unseren Versuchen ausgehalten. Sie haben eigentlich ein unglaubliches Frosthärtevermögen. Aber sie mögen das gar nicht, hier so im Schnee zu stecken. Es gibt im Winter eine ganze Reihe von Pilzkrankheiten, wenn es feucht wird, die Pflanze nicht mehr trocknet, das Ganze dann zum Schimmeln anfangt. Der Rucola aus dem Wiener Augarten dagegen kann auch im Freien stehen. Er schmeckt fast saftig. Überhaupt - der Geschmack..."

Salatköpfe zwischen Schnee.
Wofgang Palme träumt von Marktgärten, wo Salate wie dieser angebaut werden und lange Lieferketten damit entfallen. © Stephan Ozsváth
Wir testen Senfgemüse, Asiasalate, Barbarakresse, die vorne auf der Zunge kitzelt. Palme arbeitet schon lange mit einem Haubenkoch zusammen und testet Gemüsesorten. Sein Ziel: Die Mitte des Tellers zurückerobern – mit Saisongemüse. Tomaten und Gurken gehören deshalb im Winter eigentlich nicht auf den Speiseplan – mehr nach dem Angebot der Jahreszeiten richten, ist Palmes Credo. Weg von langen Lieferketten und Gewächshäusern. Er träumt von Marktgärten. Gesamteindruck nach Verkosten dessen, was auf den 4000 Quadratmetern wächst: Winter schmeckt gefälliger, süßer.
"Gemüse schmeckt im Winter tatsächlich süßer als im Sommer. Man kann das schön wahrnehmen an Bundkarotten, wenn man die im August aussät, dann sind sie zu Weihnachten – auch im Freiland – auch in einem fingerdicken Stadium. Wo sie knackig, zart und eben zuckersüß sind. Wir haben in unseren Tests sogar rausgefunden, dass im Winter sogar Radieschen süß schmecken. Überhaupt diese markanten sommerlichen Inhaltsstoffe, wie die Bitterkeit von Endivien. Oder die Schärfe von Rettich, von Radieschen. Die mildert sich im Winter ab und es tritt die Süße in den Vordergrund."

"Das hat Power, gell?"

Das hat mit dem Innenleben der Zellen zu tun, erklärt Palme. Die Pflanzen wandeln den Energielieferanten Zucker in Stärke um, weil sie die besser speichern können. Im Winter fahren die Zellmaschinen nur auf halber Kraft. Folge: Mehr Zucker bleibt in der Pflanze, und das merken wir auf der Zunge.
"Erbsen, da isst man normalerweise die Hülsen... die Blätter kann man auch essen... Die schmecken genauso wie die Erbsen selber, oder die Erbsenhülsen. Und dann haben wir noch die Barbarakresse – wunderbares Wintergemüse. Mich erinnert es im Abgang so ein bissen an Sprossen, die man im Bioladen bekommt. Dann haben wir noch die Barbarakresse... das ist dieses Kraut hier. Gibt es im Supermarkt nicht zu kaufen, ist sehr würzig. Kauen... Das hat Power, gell? Das kann man auf Aufstriche machen, aufs Brot streuen, das kann man da drauf streuen... Das wächst den ganzen Winter über nach."


Ein großer Feldhase kreuzt den Weg. Ein Zaun versperrt ihm den Zugang zu Kohlen, Kräutern, Lauchgemüse. Eine neidische Nachbarschaft.
Früher hatte Kaiserin Sissi hier ihre kaiserliche Meierei, heute wird auf der City Farm in Wien Salat angebaut. Eingangsschild Eingang zum Hof.
In der City Farm in Wien findet auch Bildungsarbeit mit Schülern und Schülerinnen statt. © Stephan Ozsváth
"Das sind keine Kaninchen, das sind echte Feldhasen. Und da gibt es a ganze Population hier im Augarten. Die waren natürlich glücklich, mit dem Gemüse hier vor der Haustür, als wir vor zweieinhalb Jahren hier hingezogen sind mit der Cityfarm. Und dann die Enttäuschung vor der Haustür."
Palme öffnet die Tür zu einer Art Gewächshaus, hier finden die Workshops mit Schülern und angehenden Köchen statt. Im Hauptgebäude ist eine Küche entstanden – zum gemeinsamen Verkosten. Versuchsbeete der Kinder sind vor der Tür. Fünf Angestellte hat der Verein, er finanziert sich über Sponsoren. Palme – selbst Vegetarier – hat eine Vision:
"Genau das ist unser Anliegen, mit Gemüse wieder die Tellermitte zu erobern. Die Freude und Begeisterung am Gemüse, die wieder abschmecken zu können."
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