Wieland Förster

"In mir blutet Vergangenheit“

Der Bildhauer Wieland Förster steht am Dienstag (22.09.2009) in Dresden in der Skulpturensammlung im Zwinger inmitten seiner 58 Werke, die er den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden als Stiftung überlassen hat.
Der Bildhauer Wieland Förster arbeitet an einem neuen Roman. © picture alliance / dpa / Matthias Hiekel
Von Carola Wiemers und Michael Opitz · 13.02.2015
Der Künstler Wieland Förster, zu dessen umfangreichem Œuvre auch mehr als 80 Porträtbüsten von Schriftstellern, Schauspielern und Musikern gehören, schreibt seit Jahren Tagebuch. Gegenwärtig arbeitet er an einem neuen Roman.
"Ich bin einer, der davon gekommen ist."
"Wissen Sie, ich habe überhaupt nie danach geguckt, was die Leute oder was die SED sagte. Ich habe etwas nie gemacht: Ich habe nie um einen Auftrag gebeten. Ich habe lieber gehungert."
"Ich bin auch nur Bildhauer geworden, um der Welt immer wieder zu sagen, welches Leid die Jahrhundertmitte gebracht hat. Krieg, Vorkrieg, Nachkrieg – diese Zeit, für die ich stehe, als Jahrgang 30."
Dresden. Majestätisch liegt diese "Sandsteinschöne" an den Ufern der Elbe. Nach italienischem Vorbild hatte sich August der Starke sein Elbflorenz bauen lassen. Weniger verführerisch zeigt sie sich an ihrer städtischen Peripherie. In Laubegast, einem Dresdner Vorort, wo die Stadt sanft in die Elblandschaft übergeht, wird am 12. Februar 1930 der Bildhauer, Zeichner und Schriftsteller Wieland Förster geboren. Am Dresdner Elbufer verlebt er endlos scheinende Sommertage.
"Ich bin ein Kind des Ufers und der immer feuchten Talsohle. Ich liebte den Fluß, wenn wir an heißen Sommertagen die Schiffszieherpfade entlangzogen und im Schutze von Fliederbüschen und Erlengehölz die kamelhaarene Decke ausbreiteten, Hemd und Hose zu Kopfkissen zusammenrollten, die Tasche mit den Malzkaffeeflaschen, den Margarinebroten – wir sagten Bemmen – und Handtüchern ins Gebüsch schoben und ermüdet vom Fußweg ausruhten, in der Sonne lagen, im Schneidersitz saßen – die Zeit verging langsam, schien stehenzubleiben, sie rückte in großen Intervallen jedesmal dann ein Stück vor, wenn die Pillnitzer Motorfähre den Fluß schnitt oder, so weit reichte der Blick, die ‚Fliegende Fähre', an ihrem langen Querseil gegen die Strömung gestellt, sacht über den Fluß trieb, beladen mit Handwagen, Autos und Pferdefuhrwerken, dem weißen, kutschenähnlichen Gefährt des Milchhändlers, der jeden Morgen nach dem Melken von den Höhen, auf denen sein Hof lag, hinunter ins Tal und über die Elbe kam und die Produkte seiner Arbeit ausfuhr, vor jedem Haus die kleine, am Kutschbock befestigte Schiffsglocke läutend: Vollmilch, Magermilch, Buttermilch, Käse und Quark." (Sieben Tage in Kuks, 139.)
Als geradezu arkadische Schönheit beschreibt Wieland Förster das Bild dieser Flusslandschaft in seinem Tagebuch „Sieben Tage in Kuks". Wortmalerisch beschwört er das Glücksgefühl unbeschwerter Sommertage herauf, als sich die Sorgen am Ufer des Flusses vergessen ließen und Zeit für allerkühnste Träume blieb. Er konnte sie dem vorüberfließenden Fluss in der Hoffnung anvertrauen, dass er sie ans Ziel bringen möge. Damals interessiert sich Wieland Förster nur am Rande für seine so meisterhaft aus Stein komponierte Heimatstadt. Erst Jahre später versucht er das Barock-Phänomen zu ergründen. In der böhmischen Stadt Kuks geht er bei dem barocken Bildhauer Matthias Braun in eine Schule des Sehens und studiert dessen Figuren.
"Barock, das ist der Versuch, Eigenständiges zusammenzuschmelzen zum Gesamten, zum Gesamtkunstwerk, in dem sich das Öl mit dem Wasser mischen muss, die Architektur den Garten bestimmt, die Malerei die Plastik, und keines bleibt rein; es wird zurechtgeschnitten, simuliert und alles in riesigen Mengen verbraucht – es wird viel verloren, eines gewonnen: Glanz." (Sieben Tage in Kuks, 170.)
Doch die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 verwandelt dieses Arkadien in eine apokalyptische Landschaft – aus der „Sandsteinschönen" von einst wird ein Trümmerfeld. Einen Tag vor der Bombardierung Dresdens ist Wieland Förster 15 Jahre alt geworden. An die Katastrophe erinnert er sich in seiner Autobiographie "Seerosenteich".
"Noch immer betäubt von dem Minenschlag, dem Höllenfeuer um mich, den Notschreien der Verwundeten, Zerquetschten und Verschütteten, versank mein Sehnen und Denken in der innigen Beobachtung eines Märchenspiels von erst in der Tiefe aufblitzenden, dann oben auftauchenden und wieder versinkenden weißen Seerosenblüten [...]. Allmählich, aber noch jenseits aller Glaubwürdigkeit, erschloss sich mir aus den verschieden großen, verschieden geformten Blättern ihre ungeheuerliche Herkunft. Da schwammen, meine Augen mussten es glauben, blattgrüne Uniformfetzen mit goldglänzenden Knöpfen und aufgesteppten Taschen, Gürtel, Teile eines weißen Capes, Handschuhe mit großen, geometrisch geschnittenen Stulpen, alles herrliche weiße Seerosenblütenblätter. Ich erkannte einen bleichen, ausgebluteten Arm, ins Leere greifende Hände, Knie und Unterschenkel tauchten geisterhaft auf und glitten in die Tiefe zurück. Etwas in mir weigerte sich, diese Körperteile in bestimmbare Beziehung zu setzen und diese endlich anzuerkennen als einen grausam massakrierten menschlichen Körper, als den von der Bombe zerfetzten Leib." (Seerosenteich, 115f.)
Dresdens Untergang schreibt sich dem Jugendlichen tief ins Gedächtnis ein. Tausende kommen bei der Bombardierung ums Leben. Wieland Förster überlebt. Doch die Toten mahnen. Sie geben keine Ruhe und fordern ihn auf, sich ihrer zu erinnern. Den Opfern ist die zwischen 1979 und 1983 entstandene, 1,72 Meter große Bronze-Figur "Großer Trauernder Mann" gewidmet. Der auf dem Boden Kauernde hat die Beine angewinkelt. Von vorn betrachtet, ist der Körper hinter den aufrechten Unterschenkeln nicht zu erkennen. Sein einziger fragiler Schutz sind seine Schienbeine. Er hat sich in sich selbst zurückgezogen, seinen Körper zu einem Block geformt, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Dieser Körper-Block ist ein Zeichen lautlosen Widerstands und zugleich Ausdruck von Furcht. Angesichts des unvorstellbaren Grauens weigert sich der "Große Trauernde Mann" das anzusehen, was seine Augen gezwungen sind zu sehen.
"Als Ausdruck unüberwindbarer Trauer über die Opfer, die in meiner Geburtsstadt qualvoll umkamen, und denen ich, gegen alle offiziösen Vorstellungen, ein Denkmal setzen mußte. Und weil ich dieses gräßliche Inferno mit durchlebt habe, ist [der „Große trauernde Mann"] auch zum Teil Ausdruck der eigenen Nöte und Ängste: zurückgebombt auf eine winzige Insel, um mich der Sturm und das Flammenmeer. Diese Voraussetzungen bestimmen wie von selbst den formalen Aufbau der Figur, die konsequent zum Block wachsen musste, damit sie vollkommen unangreifbar wurde." (Im Atelier abgefragt, 87)
Zehn Jahre zuvor, 1972, notiert Wieland Förster in seinem Tagebuch:
"Zu berichten wäre Apokalyptisches – von Menschen, brennenden Phosphorfackeln, die sich in einer Februarnacht in den Fluß stürzten – [...] aufzuschreiben wären die Schicksale der Toten, die der Fährmann mit dem Enterhaken an Land zog, festband am Landungssteg, und die in der Strömung pendelten –". (Sieben Tage in Kuks, 174f.)
Es muss berichtet, es muss erinnert werden, lautet Wieland Försters Credo. Aber das Erinnern braucht eine Form. Dem damals Fünfzehnjährigen hatten sich grausame Bilder eingeprägt: in der Strömung der Elbe schwammen die Toten und die zerfetzten Leiber glichen absurder Weise den Blättern von Seerosen, wie auf Claude Monets Gemälde „Der Seerosenteich". Er wollte die Augen abwenden und hat das Grauen doch sehen müssen. Wie dem Protagonisten aus Wieland Försters späterer Erzählung "Vollständiger Bericht für Dr. Krull" aus dem 1982 erschienenen Prosadebüt „Die versiegelte Tür" fehlt ihm dazu damals noch das künstlerische Ausdrucksvermögen.
"Ich bin ohne Sprache für das Wunder, den Zorn, den Haß, die Preisgabe, den unendlich großen stummen Schrei und Schmerz um die Unerreichbarkeit des Anderen – bin ohne Worte, Worte, die unbetretenes, wunderbares Land fassen könnten, unbetretenes Land, in das es keine Rückkehr geben wird – Worte ohne Trauer." (Die versiegelte Tür, 57.)
An die kaum zu beschreibende Stille im Mai 1945, als die Waffen schweigen und der Frieden Gestalt annimmt, erinnern sich die Zeitzeugen von damals noch Jahrzehnte später. Es war ein die Sinne verzaubernder Frühling. Wieland Förster überlebt sechs Jahre Krieg und das Inferno von Dresden. Um sich mit dem Frieden anzufreunden, bleiben ihm nur eineinhalb Jahre. Am 17. September 1946 wird er von der sowjetischen Militäradministration verhaftet. Ein deutscher Kommunist hatte ihn wegen angeblichen Waffenbesitzes angezeigt – er wird zu zehn Jahren Haft verurteilt. Auf die Frage, ob er noch einen Wunsch habe, erwidert er:
"Ja, ich will heute noch entlassen werden – denn ich bin unschuldig. Dass einer einfach sagte, ich will heute noch entlassen werden, weil ich unschuldig bin, das verblüffte den. Ja, hat er gesagt, ganz so leicht ist es nicht. Es gibt hier dieses Schreiben von der deutschen VVN und warum sollen wir den nicht glauben. Warum soll ich ihnen glauben? [...] Der sagte, wir ziehen uns zur Beratung zurück, kam dann wieder und sagte: Also, der Beschluss, 10 Jahre Zwangsarbeit in Sibirien wird aufgehoben und umgewandelt in 7 ½ Jahre. [...] Aber er war immerhin nett, es war doch eine Geste."
Was er bisher erlebte, war nur die Vorhölle im Vergleich zu der Hölle, durch die er nun gehen musste. Die Torturen, denen er als Jugendlicher im Speziallager Bautzen ausgesetzt ist, sind nicht nur in seinen bildkünstlerischen Arbeiten, sondern auch in seiner Prosa präsent. Wie das zwischen 1991 und 1994 entstandene Drama "Die Ungleichen" handelt auch sein Roman "Tamaschito", an dem der Fünfundachtzigjährige zur Zeit arbeitet, von der Lagerhaft. "Tamaschito" ist die Abkürzung für "Tante Marthas Schichttorte", an die sich einer der Inhaftierten sehnsuchtsvoll erinnert.
Im Zentrum des Romans steht − als Alter Ego des Autors − ein junger Mann namens Thom. Von seiner Unschuld überzeugt, ist er sicher, dass sich die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen als falsch erweisen. Seine Freilassung kann also nur eine Frage der Zeit sein. Aber in einem Land, in dem die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung schuldig geworden ist, zählt die Unschuld eines Jugendlichen nichts. In der Gefängniszelle erfährt er, was es heißt, für eine unverschuldete Schuld büßen zu müssen. Wieland Förster liest aus seinem noch unveröffentlichten Roman:
"Thom spürte, wie er einer Ohnmacht, einer Leere seines Kopfes entgegentrieb. Dass hier keine gemachten Betten auf ihn warteten,war ihm klar. Aber dass ihm als Lager eine Handvoll zu Staub zerlegenem Stroh diente, auf dem unsagbar viele Gefangene, Kranke, bereits gelegen hatten, Schmutzige, die von Pilzen, Flechten und Ausschlägen übersät waren,das hatte er sich nicht vorstellen können. Er rutschte den knappen Meter bis zur Wand und lehnte sich zurück. Mit der Mauer im Rücken kehrte ein Hauch von Gefasstheit zurück. Er begann, sich über das Verlies, in das man ihn geworfen hatte und über die eingesperrten Insassen nach und nach ein Bild zu machen. Das von Staubnebel getrübte Verlies maß in der Breite etwa zwei Meter dreißig und drei in der Tiefe, kein Fenster, kein Klo.Thom zählte fünfzehn Gefangene jeden Alters und verschiedener Nationalität. Alle bleich, wie mit Schimmel bedeckt, in zerschlissener Wäsche. Ein Totenhaus, dachte Thom, ich bin in einem Totenhaus."
In den engen Zellen liegen die Häftlinge dicht nebeneinander und stecken sich gegenseitig mit offener TBC an, an der auch Thom, also Wieland Förster, erkrankt. Zeitweilig wiegt er nur noch sechsundvierzig Pfund und würde einen Transport nach Sibirien nicht überleben. Tatsächlich bleibt ihm Sibirien erspart. Im Dezember 1946 kommt er in das Speziallager nach Bautzen:
"Ich bin einer, der davon gekommen ist, weil ich mich als Gefangener so verhalten habe, wie ich mich später im Leben verhalten habe – ich war damals ein Einzelgänger und bin es geblieben. Ich habe gewusst: Du hast 7 ½ Jahre Sibirien – aber du kommst wahrscheinlich nicht nach Sibirien, weil du krank bist. [...] Man wird dich nach Bautzen schicken und dort wird man so lange warten, bis du an der Tuberkulose oder an Unterernährung stirbst. Doch der Plan ging nicht auf – ich bin davongekommen. Aber ich habe an meiner Seite viele sterben sehen müssen, für deren Andenken ich arbeite."
Wieland Förster wird 1950, nach dreieinhalb Jahren Haft, aus dem Lager entlassen und hat nur noch eine halbe Lunge. Erst jetzt beginnt für den Gezeichneten der Frieden, aber er wird nach den Jahren der Isolation immer ein Fremder bleiben.
"Während der ersten Jahre meiner wiedergewonnenen Freiheit schrieb ich alptraumbeladene Gefangenenerzählungen und studierte abends und nachts Musik; verzweifelte jedoch, als ich nach einem halben Jahr eine Orchesterpartitur nicht in der notwendigen Eile lesen konnte." (Im Atelier abgefragt, 7)
"Ich war dann auch eine Zeit lang Laienschauspieler, da wurde ich das erste Mal in meinem Leben in der Zeitung gelobt."
"Zur Dresdner Kunstakademie kam ich im Herbst 1952 eher zufällig. Jemand hatte mich ermuntert, zum Abendakt mitzukommen." (Im Atelier abgefragt, 7)
"Aber ich habe gesagt: Nein, ich kann weder zeichnen noch sonst etwas, habe mich aber doch überreden lassen."
"Für mein damaliges Dafürhalten versagte ich schon am ersten Abend auf gräßliche Weise durch Zaghaftigkeit, während der größte Teil der Kursteilnehmer [...] mit stürmischen barocken Gebärden das Papier einschwärzte, [...] war mein Blatt nur zögerlich vom Bleistift berührt [worden]." (Im Atelier abgefragt, S. 9)
Zu seiner Verwunderung lobt ihn der Kursleiter und nimmt den Anfänger in den Kreis der Talentierten auf. Aus dem Talent Wieland Förster, das zunächst in Dresden bei dem Bildhauer Walter Arnold Plastik studiert, wird schließlich ein Meisterschüler, der nach Berlin geht. Über den Ortswechsel schreibt er in der autobiographischen Skizze „Nirgendheim":
"Endlich angekommen in Berlin. Verlassen die Talkesselstadt Dresden, dreißig Jahre Leben, Idylle und Kerker, Schloß, Hof- und Frauenkirche, Oper und Bürgerhäuser, in der Kindheit alles im Glanz, alles im Maß hoher Kultur, erquickend und einschläfernd zugleich, Sixtinische Madonna und Tanztee, Provinzcasanovas schwenken millionenschwere Pensionärinnen übers Parkett, blitzende Klunkern um faltige Hälse auf feisten Brüsten [...]; Kreuzkamm, Lahmann auf dem Weißen Hirsch, das Toscana am Schillerplatz, fette Torten und den Blick auf das Blaue Wunder gerichtet, das über den Fluß den Hang anspringt." (W. Förster: Nirgendheim. In: Mein Berliner Zimmer, Hrsg. v. Jörg Plath, Nicolai 1997, S. 164.)
In Berlin wollte Wieland Förster eigentlich bei dem von ihm verehrten Bildhauer Gustav Seitz studieren. Doch da Seitz eine Professur in Hamburg annimmt, kommt er in die Meisterklasse von Fritz Cremer. Als Künstler ist Fritz Cremer Wieland Försters Antipode. Während Cremer am Realismus festhält, studiert der begabte Schüler die westliche Moderne und beginnt sich für Henry Moore, Marino Marini und Alberto Giacometti zu interessieren. Bereits nach 18 Monaten wird er exmatrikuliert, weil Fritz Cremer die Kritik des Schülers an seinem Buchenwalddenkmal nicht akzeptieren kann.
Wieland Förster musste in der DDR erhebliche Widerstände überwinden. Heute gilt er als der bedeutendste figürliche Bildhauer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er ließ sich weder vom sozialistischen Realismus noch von der abstrakten Moderne vereinnahmen. Eine Villa am See für eine Porträtbüste von Otto Grotewohl schlägt er ebenso aus wie das Konrad Adenauer-Stipendium, für das ihn der Westberliner Bildhauer Bernhard Heiliger vorschlägt.
"Heiliger ist dann ein richtiger Freund geworden und wir haben uns erst überworfen, als er mir das Adenauer-Stipendium besorgt hatte und ich es nicht angenommen habe: Ich habe gesagt: Wissen Sie, wenn ich jetzt in der Welt rumreise und bei ihnen dies und das mache, [...] das ist nicht mein Leben, das ist auch nicht mein innerer Auftrag: Ich habe den jungen Toten versprochen, ihr Bild zu wahren und ihr Leid darzustellen.
Ich habe etwas nie gemacht: Ich habe nie um einen Auftrag gebeten. Lieber habe ich gehungert. Ich habe zum Beispiel den "Großen Trauernden Mann" – der sich ja als relativ gültiges Kunstwerk durchgesetzt hat in der Welt – den habe ich hier und in der Stadt in vier Jahren in zwei Fassungen gemacht. Aber ich bekam keinen Stein, weil Leidfiguren verboten waren. Und habe vier Jahre mit meiner Familie, ohne dass wir ein direktes Einkommen haben. Die DDR hat die Verfolgten nur groß gemacht. Wir haben ein ganz bescheidenes Leben geführt."
In seinem nur sechzehn Quadratmeter großen Atelier in der Greifswalder Straße arbeitet der Einzelgänger Wieland Förster unermüdlich. Zu einem ersten Konflikt mit der herrschenden Kunstdoktrin in der DDR kommt es, als er den 1964/65 entstandenen "Kopf der Gelähmten" ausstellt.
"Ich hatte die Eiform an diesem Kopf in zwei Jahren exerziert. Meine ganze Liebe gehörte dieser gelähmten Frau, die ich im Hinterhof meines Ateliers in der Greifswalder Straße sah und die sich nicht bewegen konnte. Sie konnte nur in den schmalen Streifen Himmel sehen und war dennoch immer heiter. Es war eine gütige Frau, der ich ein Denkmal setzen wollte. Zehn mal ist der Kopf in der Tonkiste gelandet, weil ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden war. Und nachdem ich ihn versenkt hatte, habe ich ihn wieder ausgegraben. Immer wieder habe ich denselben Ton als Basis verwendet, denn als Bildhauer hat man das Gefühl, das man im Material seine Energie deponiert hat. Und nach zwei Jahren hatte ich es schließlich geschafft – der Kopf war fertig, und er wurde ausgestellt. Aber wenig später musste ich zum Kulturminister Gysi bestellt, der zu mir sagte: „Machen wir es kurz: So geht es nicht! Warum können Sie denn keine gesunden jungen Menschen machen? Mit Gelähmten können wir doch nicht Schwedt aufbauen." Und ich habe ihm geantwortet: „Wissen Sie, diese Frau liebe ich, die achte ich und es ist mein Recht, von ihr ein Porträt zu machen. Wollen Sie wirklich, das Volk in brauchbares und unbrauchbares Leben unterteilen. Schwedt bauen Sie doch auf, damit die Gelähmten ihren Frieden finden und bis zum Lebensende leben können."
Zu einem erneuten Eklat kommt es 1973, als bei der Ehrung für den Bildhauer Will Lammert auch die Preisträger eigene Werke ausstellen sollen. Wieland Förster wird als einer der Preisträger aufgefordert, seine zur Ausstellung eingereichte "Große Neeberger Figur" zurückzunehmen und sie durch ein anderes Exponat zu ersetzen. Als er sich weigert, besucht ihn der damalige Präsident der Ostberliner Akademie der Künste, Konrad Wolf, um ihn zum Einlenken zu bewegen. Umstimmen kann er ihn nicht. Aber aus dem Gespräch des von den Sowjets inhaftierten Deutschen und dem Deutschen, der als sowjetischer Offizier im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft hat, entwickelt sich eine Freundschaft. Der Desillusionierte und der Idealist finden Halt aneinander. Wieland Förster hat ihm das Wissen voraus, dass Hoffnungen scheitern können. Es ist Konrad Wolf zu verdanken, dass er 1974 Mitglied der Akademie der Künste wird. In seinem bislang unveröffentlichten mehr als 180 Bände umfassenden Tagebuch, das Wieland Förster 1953 begonnen hat, erinnert er sich an den Moment, als er erfährt, dass sein Freund "Konni" stirbt.
"Seit vorgestern liegt Konrad Wolf in der Agonie. Er stirbt an Krebs. [...] Sein Sterben trifft mich tief auf eigne unverständliche Art. Auch durch die seltsame "antipodenhafte" Verknüpfung unserer Leben. Er der Sieger, ich das Opfer, er der Ausgleich herstellen wollte, es gelang ihm, aber für mich verwandelte sich der Ausgleich in eine andere Form von Leiden. Seine Anrufe. Vielleicht waren sie wirklich menschliche Anfragen. Ich war befangen, müßte mir Vorwürfe machen, aber es stand eben eine Mauer vor mir, eine Mauer von unbezwingbarer Angst; eine Angst vor Forderungen, die ich nicht hätte erfüllen können - Wir sitzen alle in unseren biografischen Gefängnissen. Es ist nicht fassbar, weil er eben zu den nicht Gezeichneten gehörte, und vielleicht muß ich da umlernen, jetzt sterben schon – wie im Gefängnis – die, denen das ewige physische Leben zum Leben gegeben schien. Wir tragen den Tod in uns."
Der Einzelgänger Wieland Förster suchte nie Freundschaften, aber mit Konrad Wolf verlor er einen wirklichen Freund.
"Ich wusste, wenn du mal in Not bist, in richtiger Not, dann kannst du zu Konni gehen. Also, das wäre der einzige in der gesamten DDR gewesen, dem ich vertraut hätte."
In seinem Künstlerleben hat Wieland Förster über 80 Porträtbüsten geschaffen. Erich Arendt, Heinrich Böll, Willy Brandt, Franz Fühmann, Peter Huchel, Bernhard Minetti und auch Elfriede Jelinek gehören zu den Porträtierten.
"Mir, als freiwillig isoliertem Einzelgänger, ist das Portrait die wichtigste Verbindung zur Gesellschaft, zu den Anderen, den Fremden, den Verehrten wie den Merkwürdigen. Das veranlasst mich mitunter, nicht in allzu großer Strenge auf den formalen Anliegen meiner Bildhauerei zu bestehen, sondern, um der Freisetzung des Wesens des Porträtierten willen, zuweilen unentschlossene oder auch naturnähere Formen zuzulassen. Das Porträt, auch und gerade das posthume, erzwingt, um den Wiedererkennungseffekt zu gewährleisten, mitunter Kompromisse. [...] Die Arbeit an einem Porträt, die eine lange Suche nach einem, die momentane Lebenszeit überbrückenden Nenner, nach einer Summe, ist, wird bestimmt durch das zu Tage Treten unbekannter Eigenheiten des Modells. Dieses ‚Freilegen' verdeckter Eigenschaften ist das Abenteuerliche und Faszinierende der Porträtarbeit." (Im Atelier abgefragt, S. 107f.)
An der Büste seines Freundes Konrad Wolf aber ist Wieland Förster gescheitert. So oft er es auch versuchte, immer bekam der kräftige, scheinbar vor Gesundheit strotzende Mann ein Kindsgesicht.
"Er war immer nicht älter als 12 Jahre, ich konnte machen was ich wollte."
Neben diesen zentralen Achsen in seinem bildkünstlerischen Werk – Figuren, in denen Leiderfahrungen zum Ausdruck gebracht werden, und den Porträts –, gibt es zwei weitere Momente, die in seinem Schaffen von zentraler Bedeutung sind: die Landschaft und der torsierte weibliche Körper. Seine „Große Nike-Figur" von 1989, mit der an die historische Zäsur erinnert wird, ist ein Torso, dessen Flügel zerbrochen sind.
Die Hinwendung zur Landschaft und zum weiblichen Körper ist der eigenen Leiderfahrung geschuldet. Seine "Jahrhundertbilanz" ist die Figur des "Marsyas", jene mythische Gestalt, der die Haut vom lebendigen Leibe abgezogen wird.
"Ich bin auch nur Bildhauer geworden, um der Welt immer wieder zu sagen, welches Leid die Jahrhundertmitte gebracht hat."
Von arkadischen Landschaften und weiblichen Körpern konnte er während der dreieinhalb Jahre dauernden Haft nur träumen. Erst als Künstler vermag er dieser Sehnsucht Ausdruck zu verleihen. Neben den mythischen Figuren, in denen sich Gesellschaftliches in allegorischer Gestalt spiegelt, ergründet Wieland Förster immer wieder den menschlichen Körper. Kennzeichnend für seine Arbeiten ist, dass Körperformen oft in Landschaften übergehen. Wieland Förster gilt deshalb als der wichtigste deutsche Vertreter jener bildhauerischen Richtung, die als „Landschaft in der Plastik" bezeichnet wird. Auf einzigartige Weise durchdringen sich in seinen Arbeiten Körper und Raum, kristallisiert sich aus einer "Olivenstruktur" ein menschlicher Torso heraus, lassen sich in einem Gesteinsmassiv Gesichter erkennen.
"Die Einblicke in den menschlichen Körper entstanden aus der plötzlich erkannten sinnlichen Kraft und der möglichen Umdeutung – der Verlandschaftung – des Details. Ein gebeugter Leib wurde zur Höhle, in die eine Brust als bedrohliche Form einbricht. Ein gestreckter Torso zu sanft schwellenden Hügeln. Von Beckenkante zu Rippe ungeheure Weite mit Einbrüchen." (W. Förster. In: Das Paar – Zum Reliefschaffen von Wieland Förster, Ausstellungskatalog, Berlin 1980, S. 89)
Der menschliche Körper ist in den Arbeiten von Wieland Förster Träger von Bedeutungen. Dass er sie seinen bildkünstlerischen Arbeiten förmlich einschreibt, dass seine Skulpturen gelesen werden wollen, ist der Doppelbegabung des Künstlers geschuldet, der sich als Bildhauer und als Schriftsteller versteht. Seine Skulpturen wollen mit den Augen abgetastet werden.
"Meine letzte große Arbeit war die Uwe Johnson-Steele und bei fast 2,50 Meter, da ist man noch einmal körperlich unheimlich gefordert. Ich war damals 77 und musste auf der Leiter stehen [...] und arbeiten wie ein Bauarbeiter. Da habe ich gemerkt, dass meine Wirbelsäule ihre Prophezeiung, mich in die Dauerlähmung zu schicken, bereit ist wahr zu machen. Das war für mich das Zeichen aufzuhören. Als ich mit der Arbeit fertig war, habe ich mein Atelier abgeschlossen, den Schlüssel in der Gießerei abgegeben, und habe meinen Gießern gesagt: Hier habt ihr meinen Atelierschlüssel, räumt den Ramsch raus und die paar Gipsmodelle, die zum Werk gehören, die bringt ihr mir aufs Land. Danach habe ich das Atelier nie wieder betreten."
Heute zieht sich Wieland Förster in seine Schreibwerkstatt zurück und arbeitet täglich mit lustvoller Strenge an seinem Roman mit dem japanisch klingenden Titel "Tamaschito". Ihm ist die Katastrophe des 20. Jahrhunderts eingeschrieben: die Sehnsucht eines Todgeweihten nach "Tante Marthas Sahnetorte".