Wiedersehen im Umkleideraum

Von Victoria Eglau · 01.10.2011
Den Charme des Festivals FIBA macht die Mischung aus: Ausländische Großproduktionen und das Beste, was die Theatermetropole Buenos Aires aktuell zu bieten hat. Die Berliner Schaubühne zeigte dort "Hamlet" mit Lars Eidinger in der Titelrolle.
Buenos Aires, Teatro San Martín. Thomas Ostermeiers "Hamlet"-Inszenierung eröffnet das Internationale Theaterfestival von Buenos Aires, FIBA. Lars Eidinger als rachedürstender Sohn des ermordeten Königs von Dänemark torkelt mit wahnsinnigem Blick über die Bühne. Sein Gesicht ist mit Graberde verschmiert, eine Papierkrone sitzt falsch herum auf seinem Kopf.

Dass Eidinger als Hamlet gelegentlich Pausen einlegt von seinem selbstzerstörerischen Verrücktheitstrip, wie ein Animateur die Zuschauer zum Mitsingen auffordert oder Stehengebliebene zu freien Plätzen lotst, kommt gut an beim argentinischen Publikum. Ebenso, dass er humorvoll improvisiert, als auf dem Bildschirm mit der spanischen Übersetzung plötzlich nur noch Zeichensalat zu sehen ist.

Trotz der Technik-Probleme fällt der Beifall enthusiastisch aus. Ostermeiers "Hamlet" steht in Konkurrenz zu mehreren argentinischen Inszenierungen der Tragödie, die zur Zeit in Theatern von Buenos Aires zu sehen sind. Mike Amigorena, bekannter Schauspieler und einer der "Hamlet"-Darsteller, hat sich die Version der Berliner Schaubühne angesehen:

"Ich bin begeistert. In der Inszenierung ist so viel Freiheit, ich bewundere das, ich finde, so müssen Schauspieler arbeiten. Mit einer großen Freiheit. Unsere Version des Hamlet ist komprimierter. In der Ostermeier-Inszenierung haben der Regisseur und die Schauspieler viel Eigenes zum Originaltext hinzugefügt. Das gefällt mir, das bricht die Feierlichkeit Shakespeares."

Ein anderer Theaterzuschauer meint:

"Bis zur Hälfte war das Stück großartig, danach zerfaserte es und hätte kürzer sein können. Der Hamlet-Darsteller, Lars Eidinger, war fantastisch, die Schauspieler hatten eine Ungezwungenheit und Improvisationsfähigkeit, die hier in Argentinien nicht üblich sind. Toll auch das Changieren der Inszenierung zwischen Drama und Komik, und die Verrücktheit Hamlets, die ich in dieser Form noch nie gesehen hatte."

"Une Flûte Enchantée", Peter Brooks minimalistische Version der Zauberflöte aus dem Pariser Théâtre des Bouffes du Nord, wird beim Theaterfestival von Buenos Aires stürmisch gefeiert. "Eine Zauberflöte", mit wahrhaft bezaubernden Stimmen und Ästhetik, gehört wie der "Hamlet" zu den internationalen Schwergewichten beim FIBA. Den Charme dieses seit 14 Jahren existierenden Festivals macht die Mischung aus: zwischen ausländischen Großproduktionen und dem Besten, was die Theatermetropole Buenos Aires aktuell zu bieten hat.

Weit weg von den großen Theaterhäusern der argentinischen Hauptstadt: ein traditioneller Club de Barrio, ein Stadtteil-Club. Bevor die Aufführung beginnt, ist das Publikum bereits Teil der Handlung. Vom Band kommt leise, feierliche Musik, es wird Kaffee in Plastikbechern serviert. In der Ecke steht ein Blumengebinde. So ähnlich geht es in Argentinien bei einem Velorio zu, einer Totenwache.

"Dieses Stück Un Hueco (Ein Loch) entstand aus einer Initiative der Schauspieler. Wir fingen gemeinsam an, zu improvisieren, Themen zu suchen. Die Idee mit dem Toten, mit der Totenwache, tauchte auf. Etwas, das ursprünglich eine Komödie werden sollte, wurde immer emotionaler, immer dunkler und dichter."

erklärt Juan Pablo Gómez, Autor und Regisseur von "Un Hueco".

Das Stück, in dem sich drei Männer im Umkleideraum des Clubs wiedertreffen, in dem sie als Kinder zu Freunden wurden, und wo der verstorbene Vierte im Bunde betrauert wird, handelt von Verlust, Freundschaft, Entfremdung, Liebe und den Frustrationen des Erwachsenenlebens. Statt in einem Theater spielen die Schauspieler im echten Umkleideraum, zwischen Spind und Holzbänken mit Platz für nur 20 Zuschauer.

Der Spielort vermittelt Authentizität und ist nicht ungewöhnlich in der alternativen Theaterszene von Buenos Aires, der die meisten argentinischen Produktionen beim FIBA entstammen. Wo eine üppige finanzielle Ausstattung die große Ausnahme ist, wird eben gespielt, wo es geht: auf kleinen Bühnen, in Wohnzimmern oder Garagen.

Auf großer Bühne, im Teatro Presidente Alvear, wird in wenigen Stunden das Ein-Mann-Stück "Ich schau dir in die Augen – gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang" von René Pollesch Premiere haben. Einige von Polleschs Werken wurden in den letzten Jahren bereits in Argentinien, Chile und Brasilien inszeniert. Er habe das Gefühl gehabt, man habe sie dort sehr gut gebrauchen könne, sagt der Autor und Regisseur. Erstmals ist in Buenos Aires nun ein Stück auf Deutsch zu sehen, mit Schauspieler Fabian Hinrichs, und Pollesch ist gespannt auf die Publikums-Reaktion:

"Bin total neugierig, ob das auch 'ne gute Entscheidung von FIBA war, uns einzuladen. Abgesehen davon würde mich jede Reaktion glücklich machen. Auch wenn die sagen, sie können eben nichts damit anfangen, muss das ja nicht heißen, dass wir 'nen Scheißabend geliefert haben."