Wiederentdeckung aus der Blütezeit des Surrealismus

Von Ulrike Gondorf · 31.01.2013
Im letzten Jahr konnte das Museum Ludwig die Man-Ray-Sammlung von Renate und L. Fritz Gruber erwerben. Den Künstler und die Grubers verband eine enge Freundschaft. So konnten sie eine Sammlung von Arbeiten, Archivalien und Objekten aufbauen, von denen viele nun erstmals zu sehen sind.
Bodo von Dewitz: "Es ist eine wunderbare Ergänzung für die Dinge, die wir schon haben."

Prof. Bodo von Dewitz, Kurator der Fotografieabteilung im Museum Ludwig, freut sich über das neu erworbene Man-Ray-Archiv des Kölner Foto-Pioniers L. Fritz Gruber. Vor allem aber ist er erleichtert. Denn lange Zeit sah es so aus, als würden die handschriftlichen Briefe und Dokumente, die Bücher und Objekte, die der Künstler dem Freund und Sammler geschenkt hat, die eigens für gemeinsame Projekte angefertigten Abzüge seiner berühmten Portraits gar nicht mehr existieren.

L. Fritz Gruber und seine Frau Renate hatten den größten Teil ihres Nachlasses dem Kölner Stadtarchiv übergeben, wo er unter den Trümmern begraben wurde, als das Gebäude 2009 einstürzte. Ihr Man-Ray-Archiv aber hatten die beiden nie aus der Hand gegeben.

"Hier bin ich ganz besonders glücklich, dass dieses Archiv sich erhalten hat."

Vielleicht auch ein Zeichen freundschaftlicher Verbundenheit mit dem Surrealisten. Ende der 50er Jahre hatte Gruber Kontakt zu Man Ray aufgenommen, weil er Arbeiten von ihm in eine der Bilderschauen aufnehmen wollte, die er im Rahmen der Kölner Messe Photokina organisierte.

Heute sind diese Ausstellungen legendär, weil sie dem Publikum im zerstörten Nachkriegsdeutschland die ersten Eindrücke der internationalen Fotoszene boten. Und den Künstlern ein wichtiges Forum gaben.

"Ich glaube, dass es für beide eine fruchtbare Beziehung gewesen ist. Auf diesem Forum zu spielen war für Man Ray von einiger Bedeutung."

Es war eine Wiederentdeckung dieses Fotokünstlers aus der Blütezeit des Surrealismus. Dem Kölner Auftritt 1960 folgte für den damals 70-Jährigen die Einladung zur Biennale. Dann gab es eine große Schau in Paris, wo er lebte, aber lange wenig beachtet worden war.

In den Vitrinen der neuen Kölner Ausstellung liegen die Briefe, die auch die folgenden gemeinsamen Projekte beleuchten; darunter eine Buchausgabe der Portraitfotos, die Gruber besorgte. Schnappschüsse zeigen gut gelaunte Treffen in Paris; Widmungen und einige Beispiele von Man Rays zwischen Malerei und Objektkunst schwebenden kleinen gerahmten Täfelchen aus Grubers Sammlung zeugen von wachsender persönlicher Nähe.

"Auch ein Museum ist eine Forschungsinstitution. Archive gehören auch ins Museum"

Kurator Bodo von Dewitz setzt in seiner Ausstellung Höhepunkte aus der Man Ray-Sammlung des Museums in direkte Beziehung zu den neu erworbenen Archivalien. Da sind zum Beispiel die Highlights dieses Bestands, die sogenannten Rayographien. Man Ray erfand das Verfahren, dem er seinen eigenen Namen gab, in den zwanziger Jahren. Es sind Bilder, die ohne Kamera und Negativ direkt auf dem lichtempfindlichen Fotopapier entworfen werden. Man Ray arrangierte Streichhölzer, Bindfaden, Federn, Papierschnitzel oder Filmstreifen zu abstrakten, geisterhaften Kompositionen.

"Man Ray wollte nie Fotograf genannt werden, er ist und bleibt ein Künstler. Er hat eingegriffen permanent in die chemischen und optischen Prozesse, so dass ein völlig surreales Set von visuellen Erscheinungen auf diesen Bildern sich niedergeschlagen hat, was völlig jenseits der ganzen standardisierten authentischen Fotografie gewesen ist."

Zu den in der Sammlung vorhandenen Originalen kommt jetzt eine Serie von 40 Reprofotografien, die Man Ray selbst von diesen Unikaten angefertigt hat und die einen noch besseren Überblick über diesen Werkkomplex, seine Themen und Techniken geben und die Rayographien der Sammlung in einen neuen Zusammenhang stellen. Das gleiche gilt für die berühmten Portraitfotos aus dem Paris der zwanziger und dreißiger Jahre. Picasso, Strawinsky, Virginia Woolf, seine Surrealisten-Freunde Dali, Cocteau und Max Ernst - die ganze internationale Künstlerszene dieser spannenden Jahre hat Man Ray portraitiert.

Durch die Neuerwerbung des Gruber-Archivs erfährt man Erstaunliches über diese Ikonen der Fotokunst: In einer Serie kleiner Reprobilder hat Man Ray auf der Rückseite handschriftlich technische Einzelheiten der Aufnahmen und Anmerkungen zur Fotositzung notiert. Da enthüllt er ganz offen technische Pannen wie das Verwackeln, das zum berühmten Bild der Frau mit den vier Augen geführt hat. Oder er stuft die Dargestellten auf einer Skala persönlicher Wertschätzung ein. Max Ernst mit 18 Punkten schlägt Picasso mit 17, Virginia Woolf brachte es nur auf magere drei. Der Seitenblick auf die Dokumente macht deutlich: auch als Fotograf war Man Ray vor allem eines - Surrealist.

"Der ist vor allen Dingen festzumachen am Spiel: am Spiel mit der Chemie, den zu Fotografierenden, den Aufnahmesituationen ... Das zeichnet ihn als Künstler aus."

Links auf dradio.de:

Sinn für Atmosphäre- Eine Retrospektive des schwedischen Fotografen Christer Strömholm in Berlin
Porträts der Avantgarde- Buch der Woche: Clément Chéroux (Hg.): "Man Ray: Portraits. Paris, Hollywood, Paris 1921-1976"
Seiten des Museum Ludwigzur Aussstellung "Man Ray. L. Fritz Gruber Archiv."
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