"Wie sich das Leben dort anfühlt"

Von Susanne Burkhardt · 02.12.2012
"SPINES", ein Johannesburger Performance-Festival des Goethe-Instituts, hat drei Tage lange seine Besucher eingeladen, Orte und Viertel der Stadt kennenzulernen, die sie nicht kennen oder normalerweise nicht besuchen - wie die Townships Soweto und Alexandra oder auch den Stadtteil Sandton: zu Fuß, mit Minibus oder auch mit der Bahn.
Gott wartet in der Tiefgarage von "Rent a Wreck" - einer Autovermietung in der Innenstadt, die alte, verbeulte Wagen verleiht. Gott ist eine Videoprojektion. Dazu weiblich, schwarz und begrüßt die Tourmitglieder der "United African Utopias".

Frau: "Seid gegrüßt Besucher - jetzt seid ihr da. In den nächsten drei Stunden führen wir Euch durch den Staat Utopia - ihr werden erleben, wie sich das Leben dort anfühlt - Bewohner treffen, Rituale und Gewohnheiten beobachten. Bitte bleibt als Gruppe und mit den Tour-Guides zusammen! Haltet Ohren, Augen und Sinne offen!"

15 Teilnehmer begeben sich dann auf die Reise durch die Vereinigten Utopien Afrikas. Zu Fuß geht es durch die Innenstadt - das Zentrum Johannesburgs, laut, pulsierend, voll, eine Gegend in der man fast keine Weißen sieht - dafür viele Migranten, Geschäfte mit Billig-Ramsch und Kleidung.

Zwei Tourguides führen uns durch dieses "Utopia" - jeder von uns hat ein Live-Radio bei sich, aus dem die Stimme von Mpumi Mcata zu hören ist. Der Musiker und Schauspieler hat gemeinsam mit einem südafrikanischen Kollegen und den deutschen Künstlern Hans Narva und Tanja Krone die Utopia-Tour entwickelt.

Er begleitet die "Reisenden" mit Lobpreisungen, Gesängen, lenkt den Blick mit bizarren Erklärungen auf einzelne Gebäude. Kurzes Stehenbleiben, Gucken - weiter.
Im Carlton-Center, einst das höchste Gebäude Südafrikas - treffen wir Gott wieder - leibhaftig, weit oben, in einer unheimlich wirkenden, stillgelegten Eisbahn. Wir dürfen ihm - besser ihr - eine Frage stellen.

Die Schwäche der Utopia-Tour: Der Lärm der Straßen schluckt den Klang der Radios - so verplätschert ein Großteil der Erläuterungen. Vieles bleibt nur oberflächlich, verspielt - es scheint, als wäre die Utopia-Idee nicht wirklich konsequent und auch ernsthaft zu Ende gedacht worden.

Anders bei der zweiten, der "In House Tour" - kuratiert von drei Südafrikanern - darunter der Choreograf Sello Pesa. Drei Orte - drei Performances. So sein Konzept. Auch hier wieder: Raus aus den Theaterräumen – zusammenbringen, was sonst nicht zusammenkommt. Ein Prinzip, das das Projekt "X-Wohnungen" längst in alle Welt getragen hat – Performances in Wohnzimmern, an ungewöhnlichen Orten – so auch zuletzt in Johannesburg zur Fußball-WM 2010.

Hier, wo auch knapp 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid weiße und schwarze Einwohner in Parallelwelten leben, wo sich durch Tausende Zuwanderer aus afrikanischen Ländern Armut und Konflikte verschärfen, haben solche Begegnungstouren einen ganz besonderen Reiz.

Mit dem Minibus - dem billigen Transportmittel der armen - meist schwarzen Bevölkerung - reisen die Zuschauer zunächst in das reiche Viertel Observatory – eine Gated Communitiy. Ein leerer Pool im Garten einer traumhaft schönen Villa. Nur etwas Restwasser steht noch im Becken.

Hier treibt Raphael Christian Etongo aus Kamerun - nur in Badehose gekleidet, einen Autoreifen mit zwei Stöcken immer wieder die Schräge des Pool-Bodens hinauf. Ein paar in die Hose geklemmte Bastbüschel spielen mit dem Klischee vom wilden Mann. Der Klang mehrerer Vuvuzelas - vorher an die Zuschauer verteilt, begleitet seine Aktionen.

Tapfer tröten die Freiwilligen, während Christian Etongo sich über und durch den Autoreifen schlängelt, sich krümmt und rollt. Ganz nah am Wasser - das als ritueller Ort gilt, um den Kontakt zu den Ahnen aufzunehmen.

Raphael Christian Etongo, Kamerun: "”Ich will die Schwierigkeiten zeigen, die es in meiner Heimatstadt Yaoudé gibt - wie chaotisch hier der Verkehr ist. Deshalb all der Krach - wie in meiner Stadt - der Lärm von Autos und Menschen. Ich verbinde das in meiner Arbeit mit Ritualen, die für mich eine wichtige Rolle spielen.""

Eine kurze, sehr konzentrierte Performance mit sparsamen, ausdrucksstarken Bewegungen und Bildern. Einer der Höhepunkte der verschiedenen Touren. Die Zuschauer sind begeistert.

Adolf Malema: "”Welcome to Alex, Guys, welcome to our home – this is where we belong, where we live ... Welcome!""

Zwei Stopps später: das Kontrastprogramm: Alexandra - Südafrikas älteste Township - gerade einhundert Jahre alt geworden. Menschen aus vielen Ländern Afrikas leben hier zusammen - kommuniziert wird in elf Sprachen.

Adolf Malema begrüsst uns in seinem Viertel.

"”My Name is Adolf - not Adolf Hitler ...”"

Der junge Schwarze ist Leiter der Jugendliga des Viertels - und benannt nach Adolf Hitler. Für seinen Vater war das ein großer Kriegsheld. Adolf in Alexandra muss heute darüber lachen. Er weiß es besser.

Auf schmalen Pfaden geht es vorbei an zusammengeschusterten Häuschen, Wellblechverschlägen. Aus den dunklen Türöffnungen begleiten uns neugierige, überraschte – und meist freundliche Blicke.

An einer Straße, die die Häuseransammlungen trennt, liegt ein lebloser, weißer Mann. Aus seinem Kopf läuft eine hautfarbene Flüssigkeit. Neben ihm liegen Eier verteilt, die aus einer beistehenden Kiste gefallen zu sein scheinen.

Es ist der holländische Performer Stan Wannet, der gemeinsam mit seiner südafrikanischen Partnerin Leila Anderson als Künstler-Duo Common Sense außergewöhnliche Situationen an außergewöhnlichen Orten kreiert.

Immer mehr Kinder versammeln sich um ihn. Kichern, staunen, viele erkennen nicht, dass er eine Maske aus Silikon trägt. Manche denken, er sei tot.

Mädchen: "Ich glaube das ist ein Mensch. Was ist passiert? Wie lange liegt er hier schon? Glaubst du er ist tot? I think so ... Ich glaube ja."
Mädchen: "Ich glaube ja, er ist auf den Kopf gefallen, vielleicht ist er betrunken - ich verstehe die Eier da nicht – da fehlt mir der Schlüssel zu ..."

Und schon sind alle miteinander im Gespräch. Die Besucher und die Einwohner. Tauschen sich aus. Stellen neugierige Fragen. Sello Pesa, der das alles kuratiert hat, ist zufrieden. Darum geht es ihm - die Menschen sollen sich austauschen - über das, was sie da sehen. Ein ganz wichtiger Moment - findet auch Adolf Malema:

"Bislang hatten wir hier kaum Kontakt mit Weißen. Du siehst Weiße nur, wenn Du ins Einkaufszentrum fährst oder in die Vororte. Aber wir sind nicht so schlimm, dass ihr Weißen nicht in unser Viertel, in unsere Häuser kommen könnt. Das hier muss viel öfter stattfinden. Dann können wir sagen: Südafrika ist auf dem richtigen Weg!"

Noch sind es zu wenige, die zu den Touren kommen und dann vor allem: Freunde, Journalisten, Kollegen, Gleichgesinnte. Zu selten begegnet man "normalen" Johannesburgern. Aber auch wenn es vorerst nur Einzelne sind, die ihr Interesse zeigen, ihre Erfahrungen weitertragen, gibt dieses Festival ein kleines, bescheidenes Signal, dass sich etwas ändern lassen könnte. "Welcome to United African Utopias"!