Wie Politik beeinflusst wird

Rezensiert von Eberhard Straub · 27.07.2008
Politik ist nie frei von Einflüssen. Eine Vielzahl von Experten, Beratern und Lobbyisten nimmt Anteil an Entscheidungen. Wie mit solchen unkontrollierbaren indirekten Gewalten umzugehen ist, hat der Staatsrechtler Carl Schmitt bereits 1954 in einem Radioessay analysiert.
"Einfluss ist nicht Regierung", bemerkte einmal George Washington. Aber jede Regierung unterliegt Einflüssen. Wie sie ausgeschaltet oder zumindest eingeschränkt werden können, ist das schwierigste und wahrscheinlich unlösbare Problem der Politik, die immer Machtausübung ist. Im Idealfall soll die Macht und mit ihr die staatliche Autorität zur Geltung bringen, wer dazu berechtigt ist. In der Wirklichkeit sucht jeder Monarch, Kanzler oder Diktator Rat und kann abhängig von seinen Ratgebern und Vertrauten werden.

Die Geschichte der Macht und der Mächtigen ist zugleich die Geschichte von Günstlingen, Kommissaren organisierter Interessen, von Militärs oder Maitressen, die sich der Mächtigen bemächtigen. Das ist das große Thema der Annalen des Tacitus, der als erster dieses Drama am Beispiel der römischen Cäsaren aus dem julisch-claudischem Hause im Ersten Jahrhundert nach Christus schilderte. Dem Präfekten der Prätorianergarde, Sejan, einem untergeordneter Offizier und Sohn eines sozialen Aufsteigers, gelang es, den Kaiser Tiberius systematisch zu isolieren. Er überredete ihn endlich, sich nach Capri zurückzuziehen.

"Davon versprach er sich nämlich mancherlei: der Zutritt zum Kaiser werde dann von ihm abhängen und der Schriftverkehr großenteils unter seiner Aufsicht stehen".

Über diese Umwege gelang es ihm, die Regierungsgeschäfte für fünf Jahre in seine Hand zu bekommen und der Herr seiner Herren zu werden.

Der Historiker Tacitus brachte über den Juristen Thomas Hobbes, seinen späten, aufmerksamen Leser, indirekt Carl Schmitt, der als Staatsrechtler die unkontrollierbaren indirekten Gewalten fürchtete, auf die Gedanken, die er in seinem soeben wieder aufgelegten "Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber" zusammenfasste. In diesem Dialog oder Hörspiel, 1954 für den Rundfunk verfasst, äußert sich ein unter Deutschen seltener "ésprit de societé", über einem ernsten Thema nicht schwer zu werden, sondern einfach und fast beiläufig von ihm zu handeln, so wie man Salz aufs Butterbrot streut.

Carl Schmitt, dem Wirklichkeitswissenschaftler, geht es wie Tacitus um die innere Dialektik der Macht.

"Wer dem Machthaber einen Vortrag hält oder ihn informiert, hat bereits Anteil an der Macht, gleichgültig, ob er ein verantwortlicher gegenzeichnender Minister ist, oder ob er sich auf indirekte Weise das Ohr des Machthabers zu verschaffen weiß."

Es genügt, dass er Eindrücke, Stimmungen, Motive dem vermittelt, der Entscheidungen zu treffen oder vorzubereiten hat.

"So wird jede direkte Macht sofort indirekten Einflüssen unterworfen".

Selbst die umsichtigsten gesetzlichen Regelungen können auch in demokratischen Zeiten nicht verhindern, dass die Frau, die Geliebte, die Sekretärin, der Chauffeur, ein Jugendfreund oder der Büroleiter erheblichen Anteil an der Macht eines Teilhabers der Macht haben. Denn sie alle können dabei mitreden, ob einer, den sie mögen, gehört wird oder zu einem Gespräch eingeladen wird.

"Vor jedem Raum direkter Macht bildet sich ein Vorraum indirekter Einflüsse und Gewalten, ein Zugang zum Ohr, ein Korridor zur Seele des Machthabers. Es gibt keine menschliche Macht ohne diesen Vorraum und ohne diesen Korridor".

Wer Illusionen vom herrschaftsfreien Dialog pflegt, wird ungern daran erinnert, dass sich hinter den Kulissen, wie der Volksmund sagt, und nicht auf der Bühne das Wichtige ereignet. Ununterbrochen wird im Zusammenhang mit allen möglichen Machtfragen mehr Transparenz verlangt.

"Es wäre nämlich schon ein großer Erfolg, wenn man es erreichen könnte, dass die wirkliche Macht öffentlich und sichtbar auf der politischen Bühne erscheint".

Doch je mehr Macht sich an einer bestimmten Stelle, ob in der Industrie oder in der Politik, konzentriert, desto mehr verschärft sich die Frage, möglichst ungehinderten Zugang zur Spitze zu haben. Es geht um das Privileg, das Schillers Philipp II. dem Marquis Posa zum Entsetzen des Herzogs von Alba und des Großinquisitors erteilte: Der Ritter wird künftig unangemeldet vorgelassen.

Dieses Privileg haben heute Verbandsvorsitzende, ein Industriemanager, nach dem von ihm entworfene Sozialgesetze heißen, Präsidenten unverantwortlicher Kommissionen, unverantwortlicher Fußballvereine und unverantwortlicher Freunde und Förderer von allem, was das Herz eines Machtbewussten erquickt.

Doch die Machbewussten, die Machtgierigen verwirren sich in dem Irrgarten der Macht. Die Macht ist gut, weil Gott der Allmächtige auch alles Gute verkörpert. Auch die Macht des Teufels. Schlecht an ihr ist nur der Wille des Teufels. Sein Wille zur Macht ist nichtig und böse, wie Papst Gregor der Große im 6. Jahrhundert lehrte.

Darauf weist Carl Schmitt hin, der zugleich an die Ohnmacht des Willens zur Macht in unseren Zeiten technischer Vernichtungsmittel erinnert, die mittlerweile die Kraft der menschlichen Individuen übersteigen, die sie erfinden. Der Arm, der die Atombombe hält,

"ist weniger ein Glied des individuellen Einzelmenschen als eine Prothese, ein Teil der technischen und sozialen Apparatur, die die Atombombe produziert und zur Anwendung bringt".

Auch der angeblich Mächtige ist nur noch ein Funktionselement in einem System unberechenbarer, übersteigerter und unüberschaubarer Arbeitsteilung, in dem er gar nicht mehr funktionieren kann, weil sich die Apparate mit ihren Abläufen verselbständigten.

"Die Wirklichkeit der Macht geht über die Wirklichkeit des Menschen hinweg".

Der Mensch ist gar nicht mehr wirklich, er ist nur noch Teil einer von ihm entfesselten Kettenreaktion, die alles leistet. Das Motto, das Carl Schmitt von Lord Byron übernahm und dem Gespräch voranstellte -

"Seid Ihr glücklich? Wir sind mächtig!"

- verheißt heute keinen Trost mehr. Denn der Mächtige weiß, dass er nicht glücklich ist, aber er weiß auch gar nicht mehr, ob er überhaupt noch mächtig ist. Unter solchen Voraussetzungen bedeutet Einfluss soviel wie Regierung. Gerade das wollten Verfassungen und Rechtsordnung verhindern.


Gerd Giesler (Hrsg.): Carl Schmitt - Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber
Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2008