Wie Philosophie bei Pein helfen kann

"Der Schmerz gehört zum Leben"

Ein Mann beugt sich vor Kopfschmerzen
Körperliche oder seelische Schmerzen: Beide können als Zeichen verstanden werden, das etwas nicht stimmt. © imago/Ikon Images/Claus Lunau
Von Theo Ross · 25.02.2018
"Ich glaube, wir haben verlernt, Schmerzen auszuhalten", sagt der Philosoph Michael Niehaus. Er berät in seiner philosophischen Praxis Menschen mit seelischen oder körperlichen Schmerzen – begleitet sie auf ihrem Weg.
Immer wieder verlieren wir jemanden, müssen wir loslassen, verzichten, uns voneinander trennen, etwas aufgeben. Und der Tod ragt immer in unser Leben hinein. Trauer und Leid gehören grundlegend zur menschlichen Existenz. Kein Wunder also, dass das Thema Schmerz auch für philosophische Praktiker zentral ist.

Thomas Gutknecht, der eine philosophische Praxis betreibt, Menschen also philosophisch berät, sagt: "Ich nenne die philosophische Praxis auch ein Problemasyl. An dem konkreten Beispiel 'Schmerz' könnte man auch sagen, sie ist ein 'Schmerzasyl', wo der Schmerz zur Geltung kommen darf. Schmerzen einfach wegmachen, kann man relativ leicht mit Tabletten und Opiaten, aber das kann ja nicht das Ziel sein, dass ich immer nur schmerzfrei bin." Gutknecht erklärt seine Herangehensweise: "Philosophische Praxis ist keine alternative Therapie, sondern eine Alternative zur Therapie."

Schmerzen als Zeichen, dass etwas nicht stimmt

Auch im Umgang mit Schmerz sehen die philosophischen Praktiker ihre Beratung als Alternative zur klassischen Psychotherapie. "Schmerzen sind in der Regel Indizien, dass etwas verkehrt läuft", sagt Gutknecht. "Auch die negativen Gefühle Ärger, Wut und Zorn sind Signale, dass da etwas nicht stimmt. Ich würde jetzt nicht soweit gehen zu sagen, durch Denken kann ich den Schmerz wegkriegen, aber ich kann ein anderes Verhältnis zu meinem Schmerz bekommen."

Auch der philosophische Praktiker Michael Niehaus plädiert beim Umgang mit Schmerz für eine integrative Haltung gegenüber dem Gast seiner philosophischen Praxis. Schneller Heilungsaktivismus ist ihm suspekt.

"Zuerst geht es um Anerkennung des Schmerzes. Der Schmerz ist da! Er soll nicht weggeredet werden wie in einer Gesellschaft, die auf Gesundheit, Fitness und Jugendlichkeit setzt. Der Schmerz gehört zu unserem Leben. Und ich glaube, wir haben verlernt, Schmerzen auch auszuhalten. Da wären wir wieder beim Halten. Wichtig ist auch der Begriff der Begleitung, weil er diesen Aspekt des gegenseitigen Haltens auch hat. Und Begleitung heißt: Nicht ich als Philosoph weiß den Weg, sondern ich begleite jemanden auf seinem Weg. Und es ist dabei offenzuhalten, wohin dieser Weg geht."

Dem Schmerz Raum geben

Dem Gast der philosophischen Praxis Raum zu geben, seine Schmerz-Geschichte zu erzählen und ihm zu helfen, sie nachvollziehbar zu machen, das heißt vor allem, Ursachen des Leids zu erkennen. Darüber sind sich alle philosophischen Praktiker einig, auch wenn das jeder auf seine Weise macht. Svenja Lüdemann setzt auf poetische Räume im Umgang mit dem Schmerz. Sie folgt hier Nietzsche, für den der praktische Philosoph ein "Dichter des Lebens" ist und es versteht, seinen Schmerz in eine produktive Kraft zu verwandeln, die aus seinem Chaos noch einen tanzenden Stern gebiert. Lüdemann sagt:

"Ich glaube, dass philosophische Praxis dann wirkungsvoll ist, wenn sie Räume für das Poetische eröffnet und nicht alleine reflexive Prozesse in den Vordergrund stellt. Auch dafür gibt es seine Zeit, aber wenn es um existenzielle Erfahrungen geht, gibt es keine Begründungszusammenhänge. Da bleibt die Wahrnehmung dessen, was geschehen ist: des Menschen der fehlt, das Aufwachen und zu sehen, da ist ein leeres Bett, zu wissen, das Kind ist gestorben, das Lachen des Kindes wird man nie wieder hören, man wird vielleicht nie Oma sein, weil der Sohn einen Drogentod gestorben ist. Das kann man nur annehmen und vor diesem Hintergrund ist es für mich wichtig, einfach da zu sein."

Der Schmerz als Motor der Selbstbildung

Thomas Polednitschek setzt dagegen auf die Arbeit am Begriff. Wenn der diffuse seelische Schmerz auf den Begriff gebracht wird, kann man sich leichter von ihm distanzieren. Bei dem philosophischen Praktiker leidet der Menschen nicht an seinem Triebschicksal, sondern an seinem Begriffsschicksal. "Wichtig ist, dass die Arbeit am Begriff zur Existenzmitteilung für die Gäste wird. Dass es nicht nur ein intellektuelles Glasperlenspielerei bleibt, sondern existenzielle Relevanz und Bedeutung bekommt."
Ganz gleich ob sie nun auf sprachanalytische oder phänomenologische Theorien zurückgreifen, in einem Punkt sind sich die philosophischen Praktiker einig: Es gilt den Schmerz anzuerkennen, um ihn dann als Motor der Selbstbildung zu verstehen.
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