Wie Neonazis den Fußball unterwandern

Moderation: Stephan Karkowsky · 27.05.2011
In seinem Buch "Angriff von Rechtsaußen" beschreibt Ronny Blaschke die Umtriebe von Rechtsradikalen im deutschen Fußball. Im Interview spricht der Journalist über martialische Fanrituale, den Einfluss der NPD und die Scheinheiligkeit vieler Vereine.
Stephan Karkowsky: Fußballfans und Funktionäre hören es gar nicht gern, wenn Ihrem Lieblingssport Vorwürfe gemacht werden, dass der Fußball Ressentiments nähren könnte gegen alles Fremde und Andersartige, dass Rechtsradikalismus und Rassismus auf dem grünen Rasen besonders gut gedeihen können. Aber wer genau hinschaut, könnte durchaus zu dieser Erkenntnis kommen, wie Ronny Blaschke zum Beispiel, der Sportjournalist deckt in seinem neuen Buch auf, wie Neonazis den Fußball missbrauchen. Es heißt "Angriff von Rechtsaußen". Guten Tag, Herr Blaschke!

Ronny Blaschke: Hallo!

Karkowsky: Fühlen Sie sich verpflichtet, zu Beginn unseres Gespräches darauf hinzuweisen, dass die allermeisten Fußballvereine vom Geist der Toleranz beseelt sind und rechtsradikale Tendenzen niemals zulassen würden?

Blaschke: Ja, diese Scheinheiligkeit geht mir genauso auf den Keks wie Ihnen, deswegen ist dieses Buch ja auch ein Plädoyer für eine politische Diskussionskultur im Fußball, die es ja eigentlich gar nicht gibt. Die gibt es nur, wenn es mal wieder einen Anschlag gibt, wenn ein schwarzer Spieler diskriminiert wird, wenn es zum Beispiel einen Überfall gibt, wie auf den Roten Stern Leipzig 2009 – dort waren 50 Neonazis auf einen Platz gestürmt. Dann wird eine Empörung gesteuert und kultiviert für wenige Wochen, aber Rechtsextremismus ist ein dauerhaftes Phänomen, was meistens nicht öffentlich ist, und das will ich in dem Buch darlegen.

Karkowsky: Sie sprechen übrigens mit einem, der erst einmal in seinem Leben in einem Fußballstadion war, das war Berliner Olympiastation, Deutschland – Argentinien, WM 2006. Ich bin seither nie wieder hingegangen, weil ich die versteckten Hitlergrüße der Fans einfach unerträglich fand – ein ganzer Block brüllt "Sieg!", lässt das "Heil" weg und streckt statt der flachen Hand die Faust gen Himmel. Habe ich das falsch verstanden oder spielen da die Fans mit dem Tabu eines Nazisymbols?

Blaschke: Einige vielleicht. Ich glaube, die meisten sind sich gar nicht bewusst, was das auch sein kann, was das auch für ein Symbol sein kann, aber ich finde das genau so martialisch und ich fühle mich da genau so unwohl in dieser sehr männlich geprägten, robusten patriarchalischen Struktur. Und der Fußball an sich, wenn wir beim Thema bleiben, der hat Befehl, Gehorsam, das sind alles ritualisierte Aktionen, wo Rechtsextreme immer wieder andocken, denn Fußballfans definieren sich ja auch über ihre Unterschiede zu anderen Gruppen, über ihre Unterschiede und Ausgrenzung. Das wird ja da richtig kultiviert und konserviert, und ich fühle mich da auch nicht so wohl.

Karkowsky: In Ihrem Buch geht es auch um Symbole wie die im Stadion, vor allem aber decken Sie auf, dass der Einfluss organisierter Rechtsradikaler bereits ganz unten beginnt, nämlich auf der Amateurebene. Haben Sie Beispiele?

Blaschke: Ja, es gibt zum Beispiel einen Schiedsrichter in Lüdenscheid in Westfalen, der seit vier Jahren in der Kreisliga pfeift, also in der untersten Liga, der NPD-Funktionär ist, und der ist politisch in seiner Stadt isoliert, aber im Fußball ist er ein geschätztes Mitglied der Familie. Der sagt, dass er dem türkischen Spieler genau so die rote Karte gibt wie dem deutschen – und das macht er vielleicht auch, aber er nutzt den Fußball natürlich auch, um sich zu stärken in der NPD. Der kann im Wahlkampf wuchern mit seinem Ehrenamt, das kann er immer wieder anbringen. Auch der Protest gegen ihn, das wird teilweise mit sehr martialischen Worten genutzt, um sozusagen die wahren Demokraten zu diskreditieren. Denn nur durch eine Protestbewegung ist der aus dem Fußball zu drängen, denn juristisch geht das nicht.

Karkowsky: Warum halten Sie das für gefährlich?

Blaschke: Das ist das Problem, dass, nur weil die NPD sich nationaldemokratisch nennt, heißt das nicht, dass sie demokratisch ist. Die betreibt Ressentiments, die hat sich geöffnet für gewaltbereite Neonazis, und das denken auch viele Fußballfunktionäre. Die denken, dass man die NPD nach den gleichen Maßstäben beurteilen kann wie die CDU oder die SPD, aber das ist sehr, sehr gefährlich. Man muss vor allem – der Schiedsrichter wurde wegen Volksverhetzung verurteilt, der war in einer verbotenen Organisation – man muss auf seine Hintergründe, auf seine Biografie hinweisen, mit wem man es zu tun hat, und dann wird das Bild schlüssig.

Karkowsky: Glauben Sie denn, die NPD verfolgt eine eigene Agenda in den Amateurligen?

Blaschke: Das ist unterschiedlich. Also, der Schiedsrichter sagt das natürlich nicht, aber es gibt zum Beispiel in Hildburghausen, einer Kleinstadt in Thüringen, der es eigentlich sehr gut geht, dort gibt es einen Neonazi, der war mal in der NPD, hat jetzt eine eigene Partei gegründet, und der sagt ganz offen, dass er dort mit dem Fußballverein – mit Germania Hildburghausen – Jugendliche aus den Nachbardörfern an Kameradschaften heranführen will. Und die sind 13, 14,15 Jahre alt, die haben noch kein gefestigtes politisches Bild, und die kann man dann leicht beeinflussen.

Karkowsky: Gibt es denn so eine Grundübereinstimmung der Wertemuster von Fußballfans und Rechtsradikalen? Sie sagen ja im Buch, dass die zum Teil sogar ein ähnliches Vokabular hätten.

Blaschke: Pauschal kann man das natürlich nicht sagen, aber zum Beispiel diese Ultragruppierungen, die ihre Vereine unterstützen wollen, da sind viele auch bekennend antirassistisch, und viele sagen auch, sie sind unpolitisch, wobei ich mit dem Begriff unpolitisch relativ wenig anfangen kann. Nichts ist unpolitisch. Aber es gibt natürlich auch Ultragruppierungen oder Fangruppierungen, dort gibt es einen Anführer, der hat ein Megaphon, der brüllt rein, und viele hören ihm einfach zu. Und oft habe ich gehört, dass für die Fußball einfach ein Symbol ist für die Heimat, für Ehre, für Patriotismus, und da sind wir dann auch schnell bei den Begriffen der NPD.

Karkowsky: Sie hören den Sportjournalisten Ronny Blaschke im "Radiofeuilleton", der sein neues Buch vorstellt, "Angriff von rechtsaußen – wie Neonazis den Fußball missbrauchen". Herr Blaschke, Sie lassen im Buch auch Neonazis selbst zu Wort kommen. Das ist zum einen fair von Ihnen, aber auch sehr aufschlussreich. NPD-Geschäftsführer Klaus Beier zum Beispiel, der sagt Ihnen: Wir unterwandern Fußballclubs ebenso wenig wie die Feuerwehr. Wo hört denn für Sie die normale Unterstützung einer Partei für den Fußball auf und wo fängt die aktive politische Beeinflussung an.

Blaschke: Das war ganz spannend in dem Interview mit Klaus Beier, das war seine erste Antwort, dass Unterwanderung keine Rolle spielt. Aber dann entlarvt er sich selbst in diesem Interview mit jeder Antwort, und er sieht das nicht als Unterwanderung, aber er hat dann Beispiele selbst gebracht. Er hat zum Beispiel mal mit einem offenen Brief den Verein Germania Storkow regelrecht erpresst. Denn dieser Verein wollte ein Testspiel gegen Energie Cottbus für Toleranz abhalten, und da hat Klaus Beier gesagt: Wenn dieses Spiel stattfindet, machen wir eine Mahnwache unter Rechtsextremen. Das hat er auch gemacht, und Energie Cottbus hat das Spiel dann abgesagt. Und die NPD hat eine riesige Publicity bekommen, und das ist jetzt keine Unterwanderung, aber das ist Öffentlichkeit auf dem Rücken des Fußballs. Und da hat eine antidemokratische Partei wie die NPD dann den Fußball einfach missbraucht.

Karkowsky: Umgekehrt beschwert sich dieser NPD-Funktionär ja geradezu bei Ihnen, dass eine rechte Mannschaft keine Hallen mehr bekommt, keine Plätze zum trainieren – ist der Abwehrreflex der Gesellschaft gegen Rechts womöglich stark genug, um den Rechten im Fußball am Ende doch keine Chance zu lassen?

Blaschke: Ich glaube, im Fußball ist das ähnlich wie insgesamt, es sind viele Menschen einfach ermüdet von diesen ewigen Botschaften gegen rechts. Wir haben seit den 90er-Jahren ja die krassen Vorfälle gehabt – Angriffe auf Asylbewerberheime –, aber nur weil auch Medien davon ermüdet sind, heißt das nicht, dass die Gefahr weg ist. Und auch wenn die Mitgliederzahlen der NPD sinken, die rechtsextremen Einstellungen in den Köpfen von vielen Menschen bleiben. Es gibt Studien, die besagen, dass 50 Prozent der Deutschen die Meinung haben, dass es zu viele Ausländer in Deutschland gibt. Also, rechtsextreme Einstellungen gehen bis tief in die Gesellschaft, und da kann die NPD immer wieder andocken.

Karkowsky: Die Zahl, die Sie zitiert haben, gehört zu einer Studie des Bielefelder Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer, der seit Jahren regelmäßig Ergebnisse einer Langzeituntersuchung veröffentlicht zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Und da sind es wirklich knapp 50 Prozent der Deutschen, die sagen: Hier leben zu viele Ausländer. Sie haben mit Heitmeyer auch gesprochen im Buch. Was sagt er Ihnen denn zum Zusammenhang zwischen Fußball und rechten Einstellungen?

Blaschke: Mit Wilhelm Heitmeyer habe ich vor allem über den schmalen Grat zwischen Patriotismus und Nationalismus gesprochen. Auch ich habe mich über die WM 2006 gefreut, dass wir plötzlich alle den Patriotismus entdeckt haben, aber gleichzeitig steckt dahinter auch eine Gefahr, denn je höher wir die eigene Nation, je höher wir uns selbst auf ein Podest heben, desto eher sind wir dazu bereit, Fremde oder Andere auszugrenzen. Und das hat er in einer Studie belegt, dass die Fremdenfeindlichkeit nach der WM 2006 angestiegen ist. Also, wir sollten uns nicht davon einnebeln lassen, von irgendwelchen Fußballstimmungen. Das ist ja während eines jeden Turniers so. Und auch das ist wichtig, davor zu warnen, dass man nicht den Fußball zu sehr mit patriotischen Gedanken überfrachtet, denn das schlägt schnell um.

Karkowsky: Aber gerade vor der WM 2006 hatte man den Eindruck, dass die Fußballfunktionäre großen Wert auf saubere Stadien legen. Da wurden ja sogar Fans aussortiert, die den rechtsradikalen nahe stehende Kleidung – Szenekleidung – getragen haben. Ist das nicht auch ein Zeichen dafür, dass diese ganzen Aktionen – Mannschaften positionieren sich gegen Rassismus und so weiter – dass die viel stärker sind, als die rechte Bewegung?

Blaschke: Da gibt es Ansätze, und es gibt ja auch den DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, der das immer wieder offensiv betont. Das ist wichtig, das ist gut, aber ich sehe auch eine Gefahr darin, weil Theo Zwanziger repräsentiert den Verein als Spitze. Was aber ist darüber hinaus? Wir wissen nicht, der Verband ist sehr groß und auch hierarchisch organisiert. Wichtig ist vor allem, was an der Basis, was in Lüdenscheid, in Hildburghausen, was die Menschen dort machen. Und ich bezweifle, dass die Worte von Theo Zwanziger bis an die Basis immer dringen.

Karkowsky: Und Rechte sind nicht nur Leute, die mit der Zahl 88 zum Beispiel provozieren oder mit irgendwelchen Symbolen, die gerade so eben noch als erlaubt durchgehen, ins Stadion kommen. Sie erkennen auch Ausweichradikale, die das wegen der deutschen Geschichte entstandene Tabu des Rassismus beachten, dafür aber ausweichen auf Sexismus und Homophobie. Würden Sie denn soweit gehen, zu sagen, auch schwulen- und frauenfeindliche Sprüche sind im Grunde genommen nichts anderes als rechtsradikale Gesinnung?

Blaschke: Das ist richtig, weil es ist insgesamt eine Rangliste der Diskriminierungsformen entstanden. Antisemitismus und Rassismus ist geächtet aufgrund unserer Geschichte, aber Sexismus, Homophobie kann man aus tausenden Kehlen hören in Stadien, und das wird nicht sanktioniert. Es gab mal einen Fall, der Dortmunder Torwart Roman Weidenfeller hat den Schalker Stürmer Gerald Asamoah als schwarzes Schwein beleidigt angeblich. Man hat sich dann irgendwann auf schwules Schwein geeinigt, und statt sechs Spielen hat er nur drei Spiele Sperre erhalten. Ein fatales Signal, und rechtsextreme Einstellungen gehen weiter, auch gegenüber Menschen mit Behinderungen, auch gegenüber Obdachlosen, auch das nimmt immer mehr zu, und da sieht man, dass das auch sehr tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. Aber trotzdem wird Rassismus immer noch gleichgesetzt, das ist Gewalt gegen Migranten, aber es ist weit, weit mehr.

Karkowsky: Der Sportjournalist Ronny Blaschke über sein Buch "Angriff von rechtsaußen – Wie Neonazis den Fußball missbrauchen". Erschienen ist das im Verlag "Die Werkstatt". Ihnen danke für das Gespräch!

Blaschke: Danke Ihnen!


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