Wie Menschen Trost finden

Weil nicht immer alles wieder gut wird

Hände von älteren Menschen, die sich trösten
Hände von älteren Menschen, die sich trösten © imago stock&people
Von Bettina Conradi · 28.01.2019
Was spendet Trost? Dieser Frage ist ein Gruppe Potsdamer Studierender nachgegangen - in Kitas, Schulen, Seniorenheimen. Und hat herausgefunden, dass Trost sehr unterschiedlich funktioniert - und dass das Trösten auch dem Tröstenden guttut.
"Es hat so leicht wellige Arme, die sich in meiner Vorstellung ausdehnen können, es strahlt auch Wärme aus."
"Mein Trostwesen wäre in ganz warmen Farben und würde Spuren hinterlassen in meinem Kopf und in meinem Herzen und in meinem Körper."
"Ich spüre die Hand meiner Mutter, wenn ich an Trost denke. Und zwar hat meine Mutter, wenn es ganz schlimm wurde, mir immer ihre Hand angeboten, auf die ich meinen Kopf legen konnte."
Hier geht es um mögliche Trostwesen und Trosterinnerungen: individuell, persönlich… Ich treffe eine Arbeitsgruppe des Studiengangs Bildung und Erziehung in der Kindheit. Die Studentinnen Vivien, Christina und Alina sitzen mit Professorin Karin Borck in deren Haus bei einer Tasse Tee: Projektbesprechung. Ein wichtiges Prinzip bei der Arbeit: Nicht nur auf die Probanden schauen, sondern das Thema auch als Eigenes bewusst machen. Denn – so die Vermutung, auch die eigene Erfahrung beeinflusst das Handeln im späteren beruflichen Alltag:
"Also, Trost ist ja vom Phänomen her erstmal unverfügbar. Das ist ja das Spannende am Trost. Ich weiß ja gar nicht, was funktioniert."

Die Kinder malten Trostpflaster

Im Sommersemester 2018 begann die Forschung zunächst in Kita und Schule. Jetzt geht es um die Auswertung. Ihre Gruppe forsche qualitativ, erzählt Christina.
"Es ist jetzt nicht so wie in der quantitativen Sozialforschung, dass man Zahlen und irgendwelche Werte erhält. Es geht uns eigentlich schon darum, dass wir diese individuellen Geschichten haben. Aber daraus wollen wir ja eigentlich schon mit herausnehmen, was man halt schon verallgemeinern kann."
Kindermalereien, die bunte Fantasiewesen zeigen.
"Grün und isst Schleim" - "wellige Arme": So haben Kinder "Trostwesen" gemalt.© Karin Borck
Um diese Geschichten zu finden, haben die drei ganz eigene Formate entwickelt, zugeschnitten auf die Kinder. Die Gruppe hat unter anderem eine Geschichte geschrieben, an deren Ende der Protagonist, ein Elefant, von den Kindern getröstet werden soll. Der Plan sei aufgegangen, erzählen sie. Auch beim Malen individueller Trostpflaster. Die Reaktionen der Kinder ließen sich durchaus kategorisieren, erklärt Alina. Relevant seien immer besonders Objekte, Orte und Bezugspersonen:
"Und da wurden dann tausend Mamas auf das Trostpflaster gemalt und ganz konkret auch überlegt, wohin denn dieses Trostpflaster kommen könnte."

"Diese Trostwesen, die essen grünen Schleim"

Kleine Anlaufschwierigkeiten, beschreibt Vivien, habe eine Gruppe Fünfjähriger im Umgang mit einer besonderen Aufgabe gehabt: im Atelier der Hochschule Trostwesen zu zeichnen und etwas über sie zu erzählen.
"Es sollte ein künstlerischer Zugang werden. Wir haben so mit den grundlegenden Dingen angefangen: 'Was hast du denn im Kopf?' oder: 'Was überlegst du gerade?', und konnten so mit den Kindern ins Gespräch kommen. Und dadurch fingen sie dann auch relativ schnell alle an, ihre Trostwesen zu malen. Was für uns sehr schön zu beobachten war, aber auch sehr überraschend, wie unterschiedlich die Geschichten zu den Trostwesen, die gemalt wurden, auch geworden sind."
Und Christina bringt ein Beispiel: "Diese Trostwesen, die essen grünen Schleim. Und wenn sie dich trösten, wirst du auch grün. Und die Trostwesen fahren auch in den Urlaub, aber sie können ja nie zusammen in den Urlaub fahren. Aber ab und zu, da können die auch mal zusammen in Urlaub fahren, dann kann ich mich auch mal selber trösten, oder Mama und Papa übernehmen das."
"Die Kinder haben ganz spezielle Vorstellungen davon, was ihr Trostwesen macht, wie es aussieht, wo es wohnt und was es für Aufgaben hat", ergänz Alina.

Keine Trostwesen in Potsdam

Auch bedrückende Ergebnisse nehmen die Forschenden mit:
"Also ich hab ein Kind bei dem Malen des Trostwesens begleitet", erzählt Projektleiterin Professor Karin Borck. Und der Junge hat mir sofort gesagt, dass es keine Trostwesen in Potsdam gibt, weil sein Vater gesagt hat, dass es keine Trostwesen gibt. Und dann habe ich ihn gefragt, wie er denn getröstet wird. Und dann hat er gesagt, er wird nicht getröstet. Nur wenn es ganz schlimm ist, sagt seine Mama: 'Es wird wieder gut'."
Professorin Karin Borck und ihre Studentinnen halten Bilder mit Trostwesen hoch, die Kinder gemalt haben.
Karin Borck und ihre Studierenden vom Projekt "Was ist Trost"?© Karin Borck
Niemand macht hier den Eindruck, aus Pflicht, allein für einen Leistungsnachweise dabei zu sein. Fast freundschaftlich scheint das Verhältnis zwischen Professorin und Studierenden. Nicht nur in dieser Gruppe.
Im neuen Jahr treffe ich eine weitere Arbeitsgruppe – in einem Seniorenheim in Berlin-Wedding.
Wir teilen uns auf, ich gehe mit Sarah. Sarah interviewt Herrn S., Jahrgang 39, seit sechs Jahren im betreuten Wohnbereich. Seine Frau, seit einem Schlaganfall pflegebedürftig, lebt schon drei Jahre länger hier, eine Etage unter ihm. Gekonnt und präzise navigiert er seinen Rollstuhl an den Tisch im Aufenthaltsraum.
"Also unser Projekt, das heißt, 'Was ist Trost?'" Sarah klärt eingangs Formalitäten, souverän. Dann legt sie Postkarten mit unterschiedlichen Motiven aus, die einen Einstieg ins Gespräch erleichtern sollen.

Innerlich wieder ins Gleichgewicht kommen

"Was würden Sie am ehesten mit dem Thema Trost verbinden von den Bildern?"
Herr S. scheint zunächst irritiert, wählt dann aber gezielt die Karte mit der Blumenwiese und kommt nach und nach ins Erzählen.
"Hm, Trost. Blumen! Ja."
"Und was bedeutet denn Trost für Sie eigentlich?", fragt Sarah.
"Trost bedeutet für mich, dass ich innerlich vielleicht wieder ins Gleichgewicht komme. Und viel Trost haben wir ja als Jungs schon gehabt, als Kind. Meinen Vater kenne ich ja nicht. Der ist ja im Krieg gefallen, ist nicht wiedergekommen. Wir hatten ja nichts nach dem Krieg, und da brauchte man Trost, und den habe ich eigentlich von meiner Mutter und der Oma gekriegt."
Nach einer im Rückblick als sorglos empfundenen Lebensmitte erfahre er heute Trost durch liebevolles Kümmern seiner Tochter und ihrer Familie, erzählt Herr S.
"Wenn Sie Trost brauchen, äußern Sie das dann auch?", will Sarah wissen.
"Also ich geh nicht irgendwo hin und sage, 'Mir geht es gar nicht gut, helft mir mal'", sagt Herr S. "Sowas mache ich eigentlich nicht. Nein."

Trösten tröstet auch den, der tröstet

Wenn nicht mehr alles gut wird, dann kann Trost in Beziehungen stecken und in Begegnung. – Und: Auch Trösten tröstet. Das wird deutlich, wenn man Herrn S. sprechen hört:
"Meine Frau muss ich jeden Tag… die tröste ich zum Beispiel. Wenn sie mich sieht, das ist für sie Trost. Und für mich eigentlich auch. Sie kommt ja auch manchmal zu mir hoch essen. Dann koche ich selber, dann machen wir uns was Schönes. Und das ist dann Trost für uns auch."
Sarah bedankt sich. Das Gespräch war knapp und rührte doch an viele tiefe und persönlich bewegende Erfahrungen. Man kann nicht über Trost reden, ohne auch das Traurige anzuschauen. – Für Interviews wie diese eine Gratwanderung. Sarah entscheidet, nicht tiefer zu fragen. Sie habe nichts öffnen wollen, das sie dann nicht begleiten könne, sagt sie später. So stellt sich bei der Forschung mitten im Leben auch die Frage nach den Grenzen. Eins scheint klar: Das Trost-Projekt ist eins, bei dem die Studierenden mehr lernen als nur für die Hochschule.
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