Wie in einem großen Kaufhaus

05.01.2007
"In diesem neuen Licht" heißt der neue Roman von Gregor Hens - und ein wenig ratlos gerät man in seine Fänge. 327 Seiten ist er lang und aufgeteilt in fast 100 Kapitel - das gibt der Lektüre etwas Drängendes- fast fühlt man sich in die Enge getrieben, in die Ecke geschrieben, aus der heraus man sich sehnt nach Weite, nach Erzählfluss- an so etwas wie Seele oder Anmut wagt man hier gar nicht zu denken.
Denn Hens überschüttet uns mit Informationen. Entwirft Szenerien. Eine nach der anderen. Erzählt keine Menschenentwicklung, sondern erklärt uns seine Figuren und ihr Sein in der Welt, reiht Behauptung an Behauptung, Spektakel an Spektakel - hastet vom Stierkampf zum Sechs-Tage-Rennen, vom Sex-Seminar zum Leichenschauhaus, vom Jetsetter zu D.H.Lawrence, vom reichen Snob aus New York zur mittellosen Einwanderin aus Marokko.

In Teilen liest sich dieses Buch als schlendere man durch ein großes Kaufhaus, in dem man alles findet, was die "ganz und gar Heutigen" - wie Botho Strauss diese Spezies einmal nannte - so brauchen. Sprachseminare, buddhistisch Erleuchtete, Enneagramme, Tellerwäscher-Stories, Machthalunken und Migranten, und auch ein bisschen hoffnungsfrohe Utopie – in anderen Worten: manchen Ramsch, hin und wieder Solides, wenige Kostbarkeiten.
Und doch gerät man in den Sog dieses merkwürdigen, immer wieder so plakativen Buches, in dem es natürlich auch geht um Liebe und ihren Kummer, um Freundschaft, Macht und Verrat.

Fast wider Willen fasziniert reist man mit den so schönen wie kosmopolitischen und doch seltsam körperlos und schon allemal seelenlos bleibenden Figuren durchs Geschehen. Sie werden nicht wirklich lebendig. Und doch will man wissen, wie es weitergeht mit dem reichen und erfolgreichen Paar David und Tess, er ein Dandy und Dichter, sie eine weltweit und blitzgescheit agierende Juristin und mit ihrem gemeinsamen Freund Tobias, der um seine davongelaufene Frau trauert und im Alltag dümpelt.

Einst war Tobias ein hoch gepriesener Übersetzer und Sprachwissenschaftler, berühmt geworden durch einen provokativen Forschungs-Ansatz: Man müsse herausfinden, was im Gehirn geschehe, wenn eine neue Vokabel hinein gegeben werde. Gehirnströme müsse man messen, Augenbewegungen, Reflexe. Die Hirne müsst ihr öffnen, hatte er gefordert und seine neue Wissenschaft wet linguistics genannt. Eine hübsche Parodie auf Genie und Unsinn.

Jetzt spielt Tobias mehrmals in der Woche Schach mit David. Dort messen sie ihre Kräfte, ordnen einander ein. Immer wieder wird in diesem Roman das Schachspiel zum Symbol auch für Machtspiele.

Das Paar mag Tobias, und es braucht ihn, der Tess natürlich begehrlich bewundert, weil sich in diesem flackernden Dreieck die Lust füreinander spielerisch neu entfachen lässt. Die Spinne, in deren Netz sich alle verfangen, ist Tess. Auch Nabila, die Migrantin aus Marokko, für deren Erscheinen im Buch an ziemlich vielen Haaren gezogen werden musste- aber dann ist sie da, als Vertraute für Tess, Freundin und Dienerin, später als Geliebte von Tobias, schließlich Mutter seiner Kinder und stellvertretende Bürgermeisterin von Casablanca. So jedenfalls wird es einem en passant mitgeteilt.

Ein Buch, das springt zwischen Schauplätzen, Kontinenten, Figuren, Zeiten; schnelle, stürmende Bilder malt und immer wieder Grenzen zu überschreiten sucht zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Dichtung und Wahrheit.

Denn Tobias übersetzt jetzt wieder. Einen Roman von D.H. Lawrence, das heißt er schreibt ihn neu, weil er ihm so, wie er ist, nicht gefällt. Und je länger er schreibt und mit seinen Freunden in Neu Mexiko wohnt, dem Schauplatz des Romans, desto mehr greifen Leben und Übersetzung ineinander. Bald vermag man kaum noch das eine vom anderen zu unterscheiden. Ein geschicktes dramaturgisches Spiel, dem man als Leser vergnügt folgt. Und hier gewinnt das Buch an Kraft und Farbe – aber auch an Pathos.

Hens versteht viel vom Bauen eines Romans. Vielleicht zu viel. Er hat mächtig und phantastisch gebosselt. Er hat viel gewollt und viel Zeitgeist, Exzentrik und Folklore gebraucht. Der große Dichter schreibt auch über Nichtigkeiten groß. Wie sagte es einmal Montaigne in seinen Essais: "Alle Themen sind für mich gleichermaßen fruchtbar. Mir reicht als Gegenstand eine Fliege."


Rezensiert von Gabriele v. Arnim

Gregor Hens: In diesem neuen Licht
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2006, 327 Seiten, 19,90 Euro