Wie in Deutschland nach dem Krieg
Bilder aus dem Irak von explodierten Bomben und Toten in den Straßen Bagdads sehen wir fast täglich im Fernsehen. Wie aber erleben die Menschen dort diesen schrecklichen Alltag? Eine junge Irakerin gibt in ihrem Internettagebuch "Bagdad Burning" Aufschluss: Brilliant und detailliert ihre Analyse, kongenial gelesen von Sophie Rois.
"Wisst Ihr, was mich beim Schreiben im Internet in den Chatrooms und Foren wirklich nervt? Die erste Reaktion, meistens von Amerikanern, ist, du lügst, du bist keine Irakerin. Und warum bin ich keine Irakerin? Ganz einfach, erstens, ich habe Zugang zum Internet, Iraker haben kein Internet, zweitens, ich kann damit umgehen, Iraker wissen nicht, was ein Computer ist, drittens, Iraker sprechen kein Englisch.
Ich sehe die Armee und denke, so ein Bild hatten die von uns, bevor sie unser Land besetzt haben, und vielleicht haben sie es immer noch? Wie kommt es, dass man uns für ein zweites Afghanistan hält?"
Sprechen Sie mit ihr. Sie ist fast jeden Tag im Internet. Sie ist 25 Jahre alt und war Computer-Spezialistin, bis sie nach dem Einmarsch der Amerikaner 2003 arbeitslos wurde. Das Leben, speziell für Frauen, hat sich seitdem im Irak radikal verändert. Natürlich ist es richtig, dass Saddam Hussein sein Volk grausam unterdrückt hat, wer von uns in der westlichen Welt aber hat gewusst:
"Dass Frauen, egal, was erzählt wird, im Irak wesentlich besser gestellt waren als anderswo in der arabischen Welt und in manchen Teilen der westlichen Welt, wir bekamen immerhin gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Wir stellten 50 Prozent der Arbeitskräfte, wir waren Ärztinnen, Anwältinnen, Krankenschwestern, Lehrerinnen, Professorinnen, Universitätspräsidentinnen, Architektinnen, Programmiererinnen und vieles mehr. Wir kamen und gingen, wie wir wollten, wir trugen, was wir wollten, solange es innerhalb der Grenzen lag, die eine konservative Gesellschaft vorgibt."
Heute hingegen kann sich eine Frau in Bagdad kaum noch allein auf die Straße wagen. Das Chaos regiert, die Polizei ist nicht Herr der Lage. Kriminelle regieren das alltägliche Leben, Frauen werden entführt oder vergewaltigt.
Recht und Toleranz sind täglich neu auf dem Prüfstand. Vor den Golfkriegen saßen auf den Schulbänken schiitische, sunnitische und christliche Kinder nebeneinander. Seit dem letzten Krieg aber ist die Stimmung im Land fundamentalistischer geworden als vor 50 Jahren.
"Gebt nicht dem Islam die Schuld, jede Religion hat ihre Extremisten, in Zeiten von Chaos und Unordnung blüht der Extremismus auf.
Jemand hat mich gefragt, ob die Iraker sich bei einer Wahl für einen islamischen Staat aussprechen würden, vor sechs Monaten hätte ich mit einem entschiedenen Nein geantwortet, jetzt bin ich nicht mehr sicher. Es hat eine überwältigende Rückbesinnung auf den Fundamentalismus gegeben. Die Leute wenden sich aus verschiedenen Gründen der Religion zu, der erste und wichtigste Grund ist Angst."
Was steckt nicht alles in diesem Tagebuch jener jungen Irakerin mit dem Pseudonym Riverbend: brillant und detailliert ihre Analyse der innenpolitischen Situation im Irak. Bewegend ihr Mitgefühl für die jungen amerikanischen Soldaten.
Wir erfahren, wie der Alltag aussieht: Wasser, Gas und das Einkaufen erinnern an Deutschland nach dem Krieg. Und wie diese junge Frau das alles in Worte fast, eine literarische Entdeckung, präzise beobachtend und oft auch mit sehr viel Sinn für Humor. Schulhefte für die Kinder müssen gekauft werden:
"Schließlich hatte ich einige Schlumpfhefte und Barbie-Notizbücher für die Ältere beisammen, für die Kleine musste ich zwischen Winnie Puh und dem König der Löwen wählen, schließlich entschied ich mich für Winnie Puh. Die Radiergummis lagen in einem großen Glasbehälter. Schließlich entschieden wir uns für Radiergummis in Erdbeerform, die seltsam genug nach Pfirsich rochen."
Die Schlumpfhefte und Winnie Puh allerdings sind keine Errungenschaft der amerikanischen Befreiung, Barbie und Schlümpfe gab es auch schon vorher.
"Bagdad Burning" ist ein einmaliges und unverzichtbares Zeitdokument, politisch hochanalytisch und menschlich bewegend, kongenial gesprochen von Sophie Rois. Vergessen Sie die Fernsehberichterstattungen über den Irak: Schließen Sie die Augen, hören zu und versetzen Sie sich in dieses Land.
"Wir erleben den 11. September 2001 jeden Monat aufs Neue, die Zahl der Iraker, die seit März 2003 gestorben sind, dürfte die Zahl der im World Trade Center umgekommenen Menschen inzwischen um das Achtfache übertreffen. Auch sie sprachen ihre letzten Worte. Der 11. September, er saß da und las Zeitung, als er nach der Tasse vor sich und einen Schluck Tee trinken wollte, konnte er das entfernte Geräusch eines Flugzeugs über sich hören. Es war ein heller klarer Tag, und er hatte jede Menge zu tun. Aber plötzlich verfinsterte sich die Welt, eine gewaltige Explosion. 11. September 2004, Feludscha, ein irakisches Haus. Gesendet von Riverbend, 14 Uhr 49."
Riverbend: Bagdad Burning.
Gesprochen von Sophie Rois
aus dem Englischen von Eva Bonné
Der Hörverlag München, 2006
2 CDs, 150 Minuten, 19,95 Euro.
Riverbend Blog
Ich sehe die Armee und denke, so ein Bild hatten die von uns, bevor sie unser Land besetzt haben, und vielleicht haben sie es immer noch? Wie kommt es, dass man uns für ein zweites Afghanistan hält?"
Sprechen Sie mit ihr. Sie ist fast jeden Tag im Internet. Sie ist 25 Jahre alt und war Computer-Spezialistin, bis sie nach dem Einmarsch der Amerikaner 2003 arbeitslos wurde. Das Leben, speziell für Frauen, hat sich seitdem im Irak radikal verändert. Natürlich ist es richtig, dass Saddam Hussein sein Volk grausam unterdrückt hat, wer von uns in der westlichen Welt aber hat gewusst:
"Dass Frauen, egal, was erzählt wird, im Irak wesentlich besser gestellt waren als anderswo in der arabischen Welt und in manchen Teilen der westlichen Welt, wir bekamen immerhin gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Wir stellten 50 Prozent der Arbeitskräfte, wir waren Ärztinnen, Anwältinnen, Krankenschwestern, Lehrerinnen, Professorinnen, Universitätspräsidentinnen, Architektinnen, Programmiererinnen und vieles mehr. Wir kamen und gingen, wie wir wollten, wir trugen, was wir wollten, solange es innerhalb der Grenzen lag, die eine konservative Gesellschaft vorgibt."
Heute hingegen kann sich eine Frau in Bagdad kaum noch allein auf die Straße wagen. Das Chaos regiert, die Polizei ist nicht Herr der Lage. Kriminelle regieren das alltägliche Leben, Frauen werden entführt oder vergewaltigt.
Recht und Toleranz sind täglich neu auf dem Prüfstand. Vor den Golfkriegen saßen auf den Schulbänken schiitische, sunnitische und christliche Kinder nebeneinander. Seit dem letzten Krieg aber ist die Stimmung im Land fundamentalistischer geworden als vor 50 Jahren.
"Gebt nicht dem Islam die Schuld, jede Religion hat ihre Extremisten, in Zeiten von Chaos und Unordnung blüht der Extremismus auf.
Jemand hat mich gefragt, ob die Iraker sich bei einer Wahl für einen islamischen Staat aussprechen würden, vor sechs Monaten hätte ich mit einem entschiedenen Nein geantwortet, jetzt bin ich nicht mehr sicher. Es hat eine überwältigende Rückbesinnung auf den Fundamentalismus gegeben. Die Leute wenden sich aus verschiedenen Gründen der Religion zu, der erste und wichtigste Grund ist Angst."
Was steckt nicht alles in diesem Tagebuch jener jungen Irakerin mit dem Pseudonym Riverbend: brillant und detailliert ihre Analyse der innenpolitischen Situation im Irak. Bewegend ihr Mitgefühl für die jungen amerikanischen Soldaten.
Wir erfahren, wie der Alltag aussieht: Wasser, Gas und das Einkaufen erinnern an Deutschland nach dem Krieg. Und wie diese junge Frau das alles in Worte fast, eine literarische Entdeckung, präzise beobachtend und oft auch mit sehr viel Sinn für Humor. Schulhefte für die Kinder müssen gekauft werden:
"Schließlich hatte ich einige Schlumpfhefte und Barbie-Notizbücher für die Ältere beisammen, für die Kleine musste ich zwischen Winnie Puh und dem König der Löwen wählen, schließlich entschied ich mich für Winnie Puh. Die Radiergummis lagen in einem großen Glasbehälter. Schließlich entschieden wir uns für Radiergummis in Erdbeerform, die seltsam genug nach Pfirsich rochen."
Die Schlumpfhefte und Winnie Puh allerdings sind keine Errungenschaft der amerikanischen Befreiung, Barbie und Schlümpfe gab es auch schon vorher.
"Bagdad Burning" ist ein einmaliges und unverzichtbares Zeitdokument, politisch hochanalytisch und menschlich bewegend, kongenial gesprochen von Sophie Rois. Vergessen Sie die Fernsehberichterstattungen über den Irak: Schließen Sie die Augen, hören zu und versetzen Sie sich in dieses Land.
"Wir erleben den 11. September 2001 jeden Monat aufs Neue, die Zahl der Iraker, die seit März 2003 gestorben sind, dürfte die Zahl der im World Trade Center umgekommenen Menschen inzwischen um das Achtfache übertreffen. Auch sie sprachen ihre letzten Worte. Der 11. September, er saß da und las Zeitung, als er nach der Tasse vor sich und einen Schluck Tee trinken wollte, konnte er das entfernte Geräusch eines Flugzeugs über sich hören. Es war ein heller klarer Tag, und er hatte jede Menge zu tun. Aber plötzlich verfinsterte sich die Welt, eine gewaltige Explosion. 11. September 2004, Feludscha, ein irakisches Haus. Gesendet von Riverbend, 14 Uhr 49."
Riverbend: Bagdad Burning.
Gesprochen von Sophie Rois
aus dem Englischen von Eva Bonné
Der Hörverlag München, 2006
2 CDs, 150 Minuten, 19,95 Euro.
Riverbend Blog