Wie eine SMS ein Leben verändert

30.05.2007
Der deutsch-iranische Autor Navid Kermani ist sowohl mit seinen Büchern über den Nahen Osten als auch mit Prosabänden wie "Du sollst" bekannt geworden. In seinem neuen Roman "Kurzmitteilung" bringt die Nachricht vom Tod einer fast unbekannten Frau einen 40-jährigen Eventmanager dazu, über sein Singledasein und die Allgegenwart des Todes nachzudenken.
Navid Kermanis kurzer Roman beginnt mit einer Todesnachricht, übermittelt per SMS. In einem Straßencafé im katalanischen Cadaqués liest Dariusch, ein Eventmanager, auf seinem Display: "Meine Kollegin Maike Anfang ist gestorben, die mit uns noch Whiskey trinken war. Einfach so. Ich weiß gar nichts mehr. Liebe Grüße, Korinna."

Durch diese Nachricht gerät das Leben des selbstsicheren und selbstgefälligen vierzigjährigen Mannes ins Wanken. Der Tod von Maike Anfang, die er kaum kannte, mit der er beruflich in Verbindung stand, reißt ihn aus seinem Trott. Zusammen mit Korinna, der Leiterin der Marketingabteilung, und Maike Anfang sollte er Patrick Boger, einem charismatischen Vorstandsmitglied der Ford AG, dessen Abschiedsabend außergewöhnlich gestalten.

Navid Kermani zwingt seinen Ich-Erzähler zum schonungslosen Subjektivismus. Dariusch beschreibt, ob es ein Protokoll oder ein Tagebuch ist, kann man nicht unterscheiden, im Roman "Kurzmitteilung" ein paar Tage seines Lebens. Je mehr er über seine beruflichen und seine privaten Strategien in Beziehungen, über seine Kleidung, seine Reisen, seine zufriedenen Gedanken erzählt, desto überraschungsloser erscheint sein Leben. Der Tod einer fast unbekannten Frau bringt ihn dazu, über sein egoistisches Singledasein und die Allgegenwart des Todes nachzudenken. Etwas zwingt ihn, zurück nach Köln zu fahren.

Er, der Fremde, drängt sich in das Leben der toten Frau, er drängt sich ihrem Freund auf, ihrer Mutter, er begibt sich in die absurde Rolle des leidtragenden selbsternannten Detektivs, phantasiert sich in eine Beziehung zu Maike Anfang, die es nie gab, und tröstet die Mutter wie ein liebevoller Schwiegersohn.

Navid Kermani, der Islamwissenschaftler, analysiert anhand dieser durch den Tod zur Besinnung gekommenen Figur das Verhalten der Menschen zueinander. Er übt Zivilisationskritik, schimpft auf den Fußball, den deutschen Geschmack, auf den Islam und plädiert für die Liebe zueinander. Kermani beschreibt die wachsende Verzweiflung eines Mannes, der die Verzweiflung nicht kannte. Er beschreibt den Sex mit Natascha - Kermani kann das, wir wissen das seit seinem Roman "Du sollst" - und beendet das Buch mit einer E-Mail an "meinen Freund".

Der letzte Brief spricht von durchlebter "Erfahrung", "heiler" Ehe, "innerer Wirklichkeit" und der Möglichkeit, das "Wesentliche" zu erkennen. Maike Anfangs Tod ist für Dariusch der Anfang einer neuen Existenz.

Navid Kermani, der intellektuelle, unorthodoxe, zeitkritische Denker will die coole Wohlstandsgeneration, die in schicker und sinnloser Mission durch die Welt jettet, zur Besinnung bringen. Aber die Botschaft des Romans "Kurzmitteilung" ist zu gut für diese Welt.

Rezensiert von Verena Auffermann

Navid Kermani. Kurzmitteilung. Roman.
Ammann Verlag. Zürich. 156 Seiten. 2007. 17.90 Euro.