Wie ein Spiegelbild des menschlichen Wirkens

12.01.2010
Respekt, Hochachtung oder gar Bewunderung bringt der Mensch manchen seiner Mitgeschöpfe entgegen. Doch die "blöde Kuh" straft er mit Verachtung. Nun hat Florian Werner mit "Die Kuh - Leben, Werk und Wirkung" einen Band vorgelegt, der zum Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt wurde.
Die Kuh als Maß aller Dinge

Respekt, Hochachtung oder gar Bewunderung bringt der Mensch manchen seiner Mitgeschöpfe entgegen: den Pferden, Elefanten und sogar gefährlichen Raubtieren. Aber die "blöde Kuh", die auf der Wiese oder im Stall träge grast oder wiederkäut, straft er mit Verachtung. Jedenfalls so lange, bis der Mensch das Buch von Florian Werner gelesen hat. Nach der Lektüre sieht er die Kuh mit anderen Augen.

Ohne Rinder hätte der Aufstieg des Menschen zum Kulturwesen nicht stattfinden können, oder er wäre zumindest ganz anders verlaufen. Erst nachdem Menschen vor etwa 10.000 Jahren im mittleren Osten begannen, den Auerochsen zu zähmen, zu nutzen und so zu züchten, dass er nach und nach zum Rind wurde, begann die Entwicklung der Landwirtschaft. Die Menschheit wurde sesshaft.

Seitdem sind Kühe unkomplizierte, treue Begleiter des Menschen. Sie wurden zur Selbstverständlichkeit. Besitz und Wohlstand wurden in Kühen gemessen, denn Kühe gaben dem Menschen langfristige wirtschaftliche Sicherheit. Nur dank seiner Kühe und der Milch, die sie lieferten, konnte der Mensch planen und weiteren Besitz erwerben.

Wie Florian Werner anschaulich beschreibt, begann mit der Kuh der Kapitalismus. Denn Kühe waren auch Tauschobjekte und Wertanlage. Pferde dienten vielfach der Kriegsführung und der Angeberei. Sie waren zunächst - und sind es heute wieder - ein Luxusgut. Kühe aber waren stets die Alma Mater der Menschheit: die nährende Mutter. Dass sie dabei oft nicht den Respekt erhalten, der ihnen gebührt, scheint ebenso typisch für unseren Umgang mit Müttern.

Frühere Kulturen waren sich der Bedeutung der Kuh weit stärker bewusst als wir heute. Für die antiken Ägypter war das Rind die Quelle allen Lebens, und das Firmament war für sie nichts anderes als die Unterseite einer riesigen Kuh. Viele Kulturen stellten ihre Götter in der Gestalt von Rindern dar, und Hindus verehren bis heute alle Rinder als etwas Heiliges.

In der modernen Industriegesellschaft jedoch sind Rinder zum grasenden Fleisch geworden. Die Massenproduktion von Rindfleisch führte schließlich zu Krankheiten, die auch den Menschen bedrohen, wie der Rinderwahnsinn.

Immer mehr Landschaften werden durch Massentierhaltung zerstört, Wasser wird in riesigen Mengen verbraucht und Wüsten breiten sich aus. Sogar zum Klimawandel tragen Rinder nicht unerheblich bei, weil sie in ihren Mägen das klimawirksame Gas Methan produzieren. Rinder sind ebenso ein Zeichen für den Aufstieg der Menschheit, wie der Risiken, denen sie sich zunehmend aussetzt.

Florian Werner ist ein unterhaltsames, leicht lesbares und zugleich sehr informatives Buch gelungen. Auf jeder Seite liefert er neue Einsichten und Erkenntnisse über ein angeblich so langweiliges Lebewesen, wie die Kuh. Dass dabei Biologie und Ökologie nur am Rande vorkommen, stört nicht.

Denn Florian Werner konzentriert sich auf die Bedeutung der Kuh für die menschliche Kultur. Er hat zahlreiche Zitate und Beispiele aus der Literatur zusammen getragen, aber auch aus Malerei, Religion und sogar aus Comics und Spielfilmen.

Mit der Zeit spürt der Leser immer deutlicher, dass es in diesem Buch eigentlich nicht um Kühe geht, sondern um den Menschen. Stärker als jede andere Tierart ist die Kuh ein Spiegelbild des menschlichen Wirkens. Der Mensch nutzt die Kühe. Er lässt sie für sich arbeiten, er verkauft sie oder quält sie. Aber er verehrt sie auch und er isst sie auf.

Besprochen von Michael Lange

Florian Werner, Die Kuh - Leben, Werk und Wirkung
Nagel & Kimche-Verlag (2009), 240 Seiten, 19,90 Euro