"Wie ein kleiner Ritter"

Jochen Süss im Gespräch mit Ute Welty · 16.05.2011
Sie sind durch ihren Chitinpanzer gut geschützt und haben keine so genannten Fressfeinde. Außerdem bewegen sie sich völlig geräuschlos. Doch Zecken übertragen häufig lebensgefährliche Krankheiten auf Mensch oder Hund.
Ute Welty: Die Dinger sind einfach nicht totzukriegen. Gemeinerweise überlebt die gemeine Zecke Angriffe mit Pinzette und Feuerzeug und auch eine 40-Grad-Wäsche kann dem Spinnentier wenig anhaben. Die Zecke, eine echte Überlebenskünstlerin, die für Menschen aber lebensgefährlich sein kann. Schließlich übertragen viele Tiere eine besondere Form der Hirnhautentzündung. Da fällt es schwer, sich für diese Tiere zu begeistern. Das aber genau tut Dr. Jochen Süss, Direktor und Professor am Friedrich-Loeffler-Institut in Jena und Zeckenforscher. Guten Morgen!

Jochen Süss: Schönen guten Morgen!

Welty: Was macht für Sie die Faszination der Zecke aus? Besonders possierlich wirken die Tiere ja nicht mit ihren krabbeligen acht Beinen.

Süss: Nein. Sie haben aber Strategien entwickelt, um gut zu überleben und um, was für sie das Wesentliche ist, immer wieder an eine Blutmahlzeit beim Wirt heranzukommen. Und das ist zwar nicht richtig, was ich sage, aber sie sind von der Evolution sozusagen bevorzugt worden.

Welty: Wieso ist das nicht richtig, was Sie sagen?

Süss: Die Evolution ist natürlich ungerichtet, bewegt sich nicht dahingehend, dass eine bestimmte Spezies besonders bevorzugt wird.

Welty: Aber die stärkere Spezies setzt sich dann eben durch?

Süss: Genau! Das ist der Punkt, ja.

Welty: Könnte die Zecke sich beklagen dann vor allem über ihr Image-Problem? Gemein und hinterlistig lässt sie sich fallen, heißt es, um sich dann in die Haut von Mensch und Tier zu bohren und ihr Gift zu verspritzen. Stimmt das alles so?

Süss: Nein. Sie ist weder gemein, noch hinterlistig. Sie ist aufgrund ihrer genetischen Konstitution natürlich bestrebt, ihr biologisches Programm zu verwirklichen, und das bedeutet, nach dem Schlüpfen aus dem Ei, wo sich die Larve bildet, dann eine Blutmahlzeit zu bekommen, sich zu häuten und dann eine Nymphe zu werden und nach einer weiteren Blutmahlzeit dann zu einem erwachsenen Tier zu werden, wo das Männchen dann das Weibchen begattet. Und dann werden Eier gelegt und so dreht sich das Karussell erneut.

Welty: Ist die Zecke für irgendwas gut?

Süss: Na. das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Natürlich, sie hält bestimmte Erreger im Habitat. Ob das jetzt gut ist, können wir nur als Menschen beurteilen. Aber sie hat schon eine ganze Reihe von Programmteilen, die uns wichtig erscheinen in der Evolution. Aber die Zecke ist dahingehend was Besonderes: Wir kennen zum Beispiel kaum oder überhaupt keine Fressfeinde. Jedes Tier hat einen Fressfeind. Bei den Zecken wissen wir es nicht. Es wird durchaus mal eine vollgesogene Zecke als Proteinspender von einem Kleinsäuger verspeist.

Welty: Also der nimmt die Blutmahlzeit dann sozusagen als Extra mit?

Süss: Genau. Aber die Zecke selbst ist ja im Wesentlichen ein Chitinpanzer, der mit ein paar Organen gefüllt ist. Sie ist ja wie ein kleiner Ritter, wenn man sie unterm Mikroskop sich anschaut.

Welty: Die Zecke breitet sich ja aus. Nach Bayern und Baden-Württemberg wird jetzt eben auch vor allem Brandenburg bevölkert. Wie muss man sich auf die neuen Mitbewohner einstellen?

Süss: Also zunächst mal, wenn wir jetzt von dem gemeinen Holzbock sprechen, der ist überall vorhanden. Aber es gibt inzwischen andere, mehr Wärme liebende Zecken, also zum Beispiel die Auwald-Zecke, die nach Norden wandert. Da entstehen natürlich neue Gefahren. Zum Beispiel die Babesiose des Hundes wird durch diese Zeckenart verbreitet.

Welty: Und was kann man da tun?

Süss: Im Moment wird natürlich dahingehend die Diagnostik aufgebaut, um das genau diagnostizieren zu können. Und wenn man es diagnostiziert, kann man eine Babesiose ordentlich behandeln. Die wird ja auch als die sogenannte Hunde-Malaria bezeichnet. Das sind ja Protozoen, also keine Bakterien und keine Viren, die dringen in die Erythrozyten ein, die roten Blutkörperchen, zerstören sie, …

Welty: Parasiten in den roten Blutkörperchen.

Süss: Genau.

Welty: Und welche Symptome macht das dann?

Süss: Na ja, das Tier ist schwer krank, eben dadurch, dass es anämisch wird. Es hat Fieber, und etwa 30 Prozent dieser Tiere, wenn sie nicht behandelt werden, sterben an dieser Erkrankung. Und deswegen muss man sie sehr ernst nehmen. Das ist nur ein Beispiel.

Welty: Die Hörer werden sich daran erinnern: in der letzten Woche hatten wir hier in Deutschlandradio Kultur die große Vogelschau mit zahlreichen Vogelexperten und noch mehr nachgemachten Vogelstimmen. Daran können Sie sich aber kein Beispiel nehmen, oder?

Süss: Wie meinen Sie das?

Welty: Die Zecke macht kein Geräusch?

Süss: Keinerlei Geräusch. Es ist ein langsam durch die Laubstreu oder über die Grasspitzen sich bewegendes Tier, was ja auch weder springt, noch sich fallen lässt, sondern vom Wirt im Vorbeigehen abgestreift wird, und da entstehen überhaupt keine Geräusche.

Welty: Der Zeckenforscher Jochen Süss vom Friedrich-Loeffler-Institut in Jena. Ich danke fürs Gespräch und ich weiß jetzt gar nicht, ob ich Ihnen einen zeckenfreien Sommer wünschen soll.

Süss: Nein, auf keinen Fall. Ich verdiene mein Geld damit.

Welty: Alles klar. – Nochmals danke und einen schönen Tag.

Süss: Nichts zu danken. Tschüß!