Wie der Kugelschreiber die Welt eroberte

Von Matthias Hennies · 24.11.2005
Unsere Großeltern plagten sich noch mit dem Bleistift, der ständig gespitzt werden musste. Oder sie holten den Füllfederhalter heraus - dann drohten Tintenflecke. Darum gehört der Kugelschreiber zu den wichtigsten Erfindungen der letzten hundert Jahre. Und wie er erfunden wurde, ist auch eine typische Geschichte des 20.Jahrhunderts.
Manchmal erscheint das wahre Leben wie eine Operette oder eine Filmkomödie. So ein Fall ist die Erfindung des Kugelschreibers – wie ein Film über die Jagd nach dem "großen Coup".

Hauptfigur ist der Ungar László József Bíró: Erfinder, Künstler, Journalist. In den dreißiger Jahren ist er Redakteur der Zeitschrift "Elöre". In einer Druckerei in Budapest überwacht er, eine Zigarette im Mundwinkel, den Andruck.

Beim Anblick der Rotationswalzen, die Druckfarbe aufs Papier bringen, kommt ihm eine Idee: Wer schnell schreiben will, müsste eine Tinte wie Druckfarbe haben, eine Tinte, die trocknet, sobald sie auf dem Papier ist, und nicht schmiert!

Aber Druckfarbe ist so zähflüssig, dass sie aus dem gebräuchlichen Federhalter nicht heraus fließt. Zusammen mit seinem Bruder Georg experimentiert Bíró, bis sie den Einfall mit der Kugel haben: Ein neues Schreibgerät wird mit schnell trocknender Tinte gefüllt und an der Spitze mit einer Kugel verschlossen. Wenn man schreibt, dreht sich die Kugel und überträgt die Tinte auf das Papier. Die Stifte sehen noch wie plumpe, teure Füllfederhalter aus, doch 1938 bekommt Bíró das Patent auf einen Kugelschreiber.

Bevor er die Erfindung zu Geld machen kann, muss er vor den Nationalsozialisten fliehen. In Argentinien beginnt er 1943 mit der Herstellung der Stifte - und erregt die Aufmerksamkeit von Henry George Martin, einem britischen Geschäftsmann mit exzellenten Beziehungen zur englischen Luftwaffe.

Martin weiß, was Piloten brauchen: bessere Schreibgeräte. Füllhalter laufen in großer Höhe aus und Bleistift kann radiert werden. Martin kauft die Patentrechte von Bíró und startet in einem Flugzeughangar in Reading, Südengland, die Produktion. Noch 1944 verkauft er der Royal Air Force 30.000 Kugelschreiber.

Im Juni 1945 trifft Milton Reynolds in Buenos Aires ein, Businessman aus Chicago. Reynolds sieht die Kugelschreiber in einer Geschäftsauslage, hakt die Daumen in seine Weste und beschließt, die Gelegenheit beim Schopf zu packen.

Er lässt den Kugelschreiber in den USA nachbauen, und am 29. Oktober 1945 bringt Gimbel’s Kaufhaus in New York eine sensationelle Neuheit: "Reynold’s Rocket". Nach wenigen Tagen sind Kugelschreiber für 100.000 Dollar über die Ladentheke gegangen.

Doch die Stifte schreiben stockend und klecksend, Reynolds Firma muss Tausende zurücknehmen und macht 1951 pleite.

Da betritt ein französischer Baron die Szene. Seit Kriegsende produziert Marcel Bich in Clichy, einem schäbigen Vorort von Paris, Schreibutensilien.

Der Baron schafft es, die Kinderkrankheiten des Kugelschreibers zu kurieren. Bich tauft den neuen Stift "Bic", als Kurzform seines Familiennamens, und bringt ihn Ende 1950 auf den Markt. Unschlagbar billig, unschlagbar simpel: Innen ein Plastikröhrchen für Tinte, außen ein Plastikröhrchen zum Anfassen und unten eine Metall-Spitze mit der Kugel. Der BIC wird bis heute in Massen verkauft.

Und was wurde aus dem ungarischen Erfinder? Die Nachrichten über sein Schicksal sind widersprüchlich. Manche meinen, er hätte alle Patentrechte zu früh verkauft und wäre Maler geworden. Andere sagen, er sei zum Direktor einer großen Kugelschreiberfabrik aufgestiegen. Wieder andere berichten, dass er Erfinder blieb und sich unter anderem am ersten Deo-Roller versuchte.

Klar ist: László József Bíró starb am 24. November 1985. Und in vielen Ländern der Welt heißen Kugelschreiber bis heute: "Biró".