Wie Computer das Schachspiel verändern

Robert von Weizsäcker im Gespräch mit Marietta Schwarz · 09.05.2012
Nach Einschätzung von Robert von Weizsäcker entwickelt sich das Schachspiel weiter. Vor der Weltmeisterschaft in Moskau äußerte er sich zudem sehr positiv über die beiden Kontrahenten Viswanathan Anand und Boris Gelfand: "Es sind beides sehr vornehme, geradezu kultivierte Vertreter dieses Spiels", sagte von Weizsäcker.
Marietta Schwarz: Als vor einiger Zeit Helmut Schmidt und Peer Steinbrück beim Schachspielen fotografiert wurden, da war danach die Häme groß, dass das Brett falsch vor ihnen stand. Ja: Schach, das ist so ein Spiel, das im doppelten Sinne in der Schublade steckt, als repräsentative Freizeitbeschäftigung für Intellektuelle oder Nerds. Aber es ist eben auch eine Sportart. Morgen beginnt in Moskau die Schachweltmeisterschaft.

Der 43-jährige Israeli Boris Gelfand fordert den amtierenden Weltmeister aus Indien Viswanathan Anand heraus - ein Zweikampf, der in zwölf Partien bis 31. Mai ausgetragen werden soll.

Am Telefon ist jetzt Robert von Weizsäcker, neben seiner Tätigkeit als Professor für Volkswirtschaftslehre unter anderem auch internationaler Fernschach-Großmeister und Ehrenpräsident des Deutschen Schachbundes. Guten Morgen, Herr von Weizsäcker.

Robert von Weizsäcker: Guten Morgen!

Schwarz: Bevor wir über Ihre Schachleidenschaft reden, wie würden Sie die beiden Kontrahenten, die da ab morgen gegeneinander antreten, charakterisieren?

von Weizsäcker: Also es sind beides sehr kultivierte, geradezu vornehme Vertreter dieses Spiels, die auch über das Spiel hinaus offen für die Welt sind, was man wahrlich nicht von allen großen Meistern sagen kann.

Schwarz: Zumindest vom Herausforderer Gelfand konnte man lesen, dass er wochenlang in Klausur war, sich intensiv vorbereitet hat. Wie hat man sich das denn vorzustellen? Werden da Partien im Computer auswendig gelernt?

von Weizsäcker: Auswendig gelernt nicht, aber das Schach - das muss man sagen, fast leider sagen - hat sich sehr verändert durch die Möglichkeit, über Computer wahnsinnig starke Algorithmen zu entwickeln und damit eine Art Objektivität, eine vermeintliche in das Spiel einzuführen, und immer mehr auch sehr große Spieler hängen sich daran.

Und diese Klausur müssen Sie sich so vorstellen, dass man sich A mit den Partien des Gegners beschäftigt, sehr intensiv, um Schwächen zu entdecken. Dann versucht man B, in der Eröffnung etwas zu finden, was eventuell den Gegner in eine schwierige Lage bringt. Und C schließlich trainiert man alle drei Phasen des Spiels wie im Hochleistungssport, nämlich Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel, und die mentale und auch psychische Belastung ist außerordentlich hoch.

Schwarz: Das heißt, man ist danach richtig erschöpft?

von Weizsäcker: Nicht nur erschöpft. Der Dr. Seeger beispielsweise, ein Schach spielender Arzt, hat mal gemessen, wie viel Gewicht man verliert bei einem sehr großen Turnier, und das sind im Schnitt mehrere Kilo.

Schwarz: Wahnsinn. Wie hat denn, wo wir schon vom Computer und von der Vorbereitung mit dem Computer gesprochen haben, wie hat der Computer und vielleicht auch das Internet denn das Schachspiel, auch das professionelle Schachspiel verändert in den letzten Jahren?

von Weizsäcker: Ja sehr stark. Früher war es ja so – und ich selbst, natürlich auf einem viel geringeren Niveau, gehöre auch noch dazu –, hat man sich das Spiel beigebracht aufgrund der Literatur, aufgrund der Partien, die es gab, und die musste man in Büchern und Zeitschriften finden. Heute gibt es Datenbanken mit Millionen von Partien, auf die man sofort zugreifen kann, und es gibt eben Rechenmaschinen, die Schach spielen, die, wie man sagt, Brute Force rechnen, das heißt alles brutal durchrechnen, ohne wirklich zu denken. Das hat den Charakter des Spiels stark verändert.

Die älteren Spieler, die jetzt zum Beispiel um die WM kämpfen, stammen noch aus dem klassischen Schach und sind entsprechend breit geschult. Die jungen, die Nummer eins der Welt beispielsweise, der Magnus Carlsen aus Norwegen, ist ein reiner Computerspieler. Der denkt wie ein Rechner. Das kann er unglaublich gut, und es ist ein bisschen frustrierend, dass Schach durch reines Rechnen so stark gespielt werden kann.

Schwarz: Hat der Computer oder hat das Internet möglicherweise auch letztendlich das russische Schachmonopol gebrochen, dadurch, dass Informationen weltweit zugänglich waren?

von Weizsäcker: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass dieses Monopol deswegen nicht mehr existiert, weil die Sowjetunion auch nicht mehr existiert, und dort galt Schach als nationale Prestigeangelegenheit und wurde entsprechend flächendeckend gefördert. Die riesigen Talente, die bei einem so großen Land dann schließlich sortiert wurden, waren immer Spitzenspieler, die sind teilweise nicht mehr im Lande. Mit der Technologie hat es nach meinem Urteil wenig zu tun.

Schwarz: Sie selbst, Herr von Weizsäcker, haben das Schachspiel von Ihrem Vater, von Richard von Weizsäcker, gelernt. Waren Sie damals gleich angefixt?

von Weizsäcker: Nein, im Gegenteil. In etwa so mit fünf, sechs Jahren habe ich von ihm gelernt, wie die Figuren ziehen, aber ich habe wirklich nicht Schach spielen gelernt. Ich hatte immer den Eindruck, er lässt mich so weit hängen, dass ich immer verliere, was ich dann auch tat, und ich musste mir sehr viel später dann im Grunde die Sache selbst beibringen, und mein Aufhänger war dieser spektakuläre Kampf ’72 zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski, also USA gegen UDSSR, gewissermaßen der Kalte Krieg auf den 64 Feldern.

Schwarz: Das ist interessant: andere Väter lassen ihre Söhne eigentlich auch gerne mal gewinnen. Wann haben Sie denn Ihren Vater zum ersten Mal geschlagen?

von Weizsäcker: Daran kann ich mich nicht erinnern. Aber Sie sprechen was Wichtiges an. In dieser Familie, darf ich Ihnen sagen, ist es nicht leicht, überhaupt wahrgenommen zu werden, und Schach spielte immer eine große Rolle, und das war dann ein Feld für mich, gewissermaßen ein Befreiungsfeld psychologisch, diese Wahrnehmung zu erreichen und da auch dann mal richtig besser zu sein als alle anderen.

Schwarz: Glauben Sie, dass das Denken im Schach auch Ihr Denken als Volkswirtschaftler prägt?

von Weizsäcker: Ich würde sagen als Mensch. Was ganz wichtig ist zu verstehen: Schach ist keine rein intellektuelle Sache. Es ist eine stark rationale und auch emotionale Angelegenheit. Das dann sauber zu trennen, ist eine der Hauptübungen, die man da lernen muss.

Das Zweite, was man lernt, ist: Man muss sich auf sich selbst verlassen können. Sie müssen ja im kompetitiven Schach hoch komplizierte Situationen beurteilen bei knapper Zeit, und Sie können nicht wirklich sicher in die Zukunft schauen. Das heißt, das Ganze ist unter Unsicherheit.

Und wenn Sie bei knapper Zeit so was durchdenken, ist die typische Beobachtung, dass man bestimmte Varianten berechnet, die nächste berechnet und die dritte berechnet und dann plötzlich zur ersten zurückspringt, weil man glaubt, man hätte was übersehen. So was darf Ihnen nicht passieren. Sie müssen sich also angewöhnen, sich vollkommen auf sich zu verlassen, und was Sie einmal durchdacht haben für die Wahrheit auch zu nehmen.

Schwarz: Jetzt wird diese WM ab Donnerstag ja in der Moskauer Tretjakow-Galerie ausgetragen, also inmitten hochwertiger Kunst. Kann die Umgebung einen Schachspieler tatsächlich beflügeln, oder ist das eher auch so ein Versuch, das für die Zuschauer attraktiv zu machen?

von Weizsäcker: Ich glaube letzteres. Es ist vor allem auch eine gewisse Eitelkeit des Geldgebers. Schach selbst schlägt ja die Brücke zwischen Sport, Wissenschaft und Kunst, insofern passt das auch sehr gut. Ich glaube, dass weder Anand noch Gelfand davon irgendwie beeindruckt sein werden.

Schwarz: Robert von Weizsäcker über die morgen beginnende Schachweltmeisterschaft in Moskau. Herr von Weizsäcker, vielen Dank für das Gespräch.

von Weizsäcker: Bitteschön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.