Widerstand gegen Ölkonzerne

Ecuadors gallisches Dorf

Patricia Gualinga ist die Sprecherin der Menschen von Sarayaku. Sie steht vor der Wand eines Holzhauses, an der ein Protestplakat gegen die Erdölförderung in ihrem Lebensraum hängt.
Patricia Gualinga, die Sprecherin der Menschen von Sarayaku, vor einem Protestplakat gegen die Erdölförderung © Deutschlandradio / Burkhard Birke
Von Burkhard Birke · 16.12.2018
Die Kitchwa von Sarayaku, ein indigenes Volk im südlichen Amazonasgebiet Ecuadors, wehren sich seit mehr als 25 Jahren erfolgreich gegen die Erdölförderung auf ihrem Gebiet. Für ihren Widerstand sind sie inzwischen weltweit berühmt.
300 Kilometer mit dem Bus bis Canelos – und dann weiter mit dem Kanu. Luftlinie sind es von dort nur rund 40 Kilometer. Das klingt eigentlich machbar. Kaum liegt das Verkehrschaos von Ecuadors Hauptstadt Quito hinter uns, gleitet der Bus mit rund 100 Kilometern pro Stunde über eine mehrspurige Autobahn. Später wird die Straße einspurig und die holprige Berg- und Talfahrt über endlose Serpentinen durch Nebelgebiete und Andentäler beginnt. Nach gut sechs Stunden erreichen wir endlich Canelos. Wir – das ist eine kleine Journalistengruppe, unterwegs mit einer kirchlichen Hilfsorganisation. Seit Quito haben wir mindestens drei Klimazonen durchquert, Pullover und Jacken an- und wieder ausgezogen.
Am nächsten Tag bringt uns ein Jeep zu einer Holzbaracke. Der Hafen von Canelos. Knapp 50 Meter Fußweg führen hinab zur Anlegestelle am Rio Bobonaza, dem Bobonazafluss, dessen braune Fluten langsam vorbeiströmen.
Der Fischer Galo navigiert sein Kanu auf dem Río Bobonaza im ecuadorianischen Amazonasgebiet.
Ein Fischer auf dem Río Bobonaza im ecuadorianischen Amazonasgebiet© Deutschlandradio / Burkhard Birke
Die beiden circa vier Meter langen und etwa 70 Zentimeter breiten Holzkanus werden beladen: Unsere Rucksäcke und einige Lebensmittel werden in Plastiktüten verpackt. Wir ziehen Schwimmwesten über: Schließlich geht es über Stromschnellen und der Einbaum könnte kentern.
Galo, unser Skipper, montiert den Außenbordmotor, schließt ihn an einen Benzinkanister an. Wir nehmen jeweils zu zweit auf den engen Holzplanken im Boot Platz: sechs Passagiere, ein Lotse im Bug, Skipper Galo im Heck.

Dynamit-Stangen im grünen Paradies

Immer wieder muss Galo den Motor ausschalten und hochklappen: Infolge der Trockenheit der letzten Wochen führt der Bobonaza extrem wenig Wasser. Der Klimawandel ist auch im ecuadorianischen Amazonas zu spüren. Galo navigiert das Kanu vorbei an Sandbänken, riesigen, von Papageien bevölkerten Bäumen, steilen Uferböschungen. Schwer vorzustellen, dass in diesem grünen Paradies Dynamitstangen im Boden vergraben sein sollen.
Drei bis vier Stunden braucht das Kanu normalerweise, um sich flussabwärts nach Sarayaku durchzuschlängeln. Heute wird es länger dauern. Einen Augenblick schießt mir die Vorstellung durch den Kopf, in der stockdunklen Nacht des Regenwaldes an einer Stromschnelle zu kentern. Auch im Bobonaza leben Anacondas, Piranias, Rochen und Alligatoren. Wir haben keine andere Wahl als Galo und seinen Männern blind zu vertrauen. Binnen Minuten wird es Nacht.
Nach eineinhalb Stunden in der Dunkelheit künden erste Lichter am Flussufer Sarayaku an. Das gallische Dorf inmitten des Urwalds. Wir haben es geschafft.

Jeans statt Lendenschurz

Die ersten zaghaften Lichtstrahlen am frühen Morgen öffnen den Blick vom Missionshaus neben der Kirche auf die Gemeinde: Das Zentrum des großflächig angelegten Sarayaku liegt auf einem kleinen Plateau über dem Fluss: Ein paar Hütten und ein großer Versammlungsraum säumen den riesigen, sandigen Dorfplatz. In Sarayaku regiert die üppige Natur des ecuadorianischen Regenwaldes. Er bestimmt noch immer Leben und Tradition der Menschen hier. Nur wenige Schritte hinter den Hütten wuchert das Grün Amazoniens in seinen unzähligen Schattierungen.
Ein Dorfzentrum im Dschungel mit Hütten aus Holz und Stroh.
Das Dorfzentrum von Sarayuka© Deutschlandradio / Burhard Birke
Überall gibt es Geister – auch der große Baum hier besitzt einen Geist, sagt Sabino, der mittlerweile 93-jährige Schamane von Sarayaku. Längst laufen die Angehörigen des Kitchwa Volkes, auch Sabino und sein ältester Sohn José in Jeans und nicht mehr im Lendenschurz herum, ohne allerdings den engen Bezug zur Natur aufzugeben.
"Andere Völker legen ihr Wissen und ihre Traditionen ab, wir versuchen sie von Kawsak Sacha zu überzeugen. Kawsak Sacha bedeutet gesunder Wald. Die Philosophie dahinter ist, dass der Wald lebt, die Bäume, alles lebt, und man muss ihn respektieren. Wir wollen in Symbiose mit dem Wald, im Einklang mit der Natur, leben, aber leider verwischt dieses Prinzip immer mehr mit dem Einzug der westlichen Wissenschaft und Technologie."
Auch in Sarayaku? Parabolantenne, Laptops, ein großer Flachbildschirm, auf denen vor allem die Spiele der ecuadorianischen Nationalmannschaft gemeinsam geschaut werden, und Sonnenpaneelen zeugen vom Anschluss an die Moderne. Regenwasser wird gesammelt, vor allem für die Gäste, damit die Duschen und klassische WCs nutzen können. Die Einheimischen baden im Fluss und versuchen auch in T-Shirt und Jeans die Traditionen ihrer Vorfahren fortzuschreiben.
"Sumak Kawsay – das bedeutet das Leben in seiner ganzen Fülle zu leben, Kontakt mit den Wesen der Natur, die Harmonie, reichlich zu Essen und ein Dach über dem Kopf zu haben, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, keine Angst zu haben. Ein ganzheitliches System."
Aus den Worten Patricia Gualingas spricht Realismus. Patricia ist Sprecherin von Sarayaku. Die 1400 Einwohner der Gemeinde verteilen sich auf sieben Dörfer, leben teils weit verstreut um das Zentrum.

Harmonisch, solidarisch, im Einklang mit der Natur

Sumak Kawsay – das oberste Prinzip der Kitchwa ist das harmonische, solidarische, das gute Leben mit, nicht aber auf Kosten der anderen Mitglieder der Gemeinschaft und im Einklang mit der Natur. ‚Zusammenleben in Vielfalt und Harmonie‘ heißt es auch nach der Reform in der Präambel der ecuadorianischen Verfassung.
"Natürlich sind wir nicht mehr die Indios mit Federn und Lendenschurz – so wären wir vielleicht noch ohne den Druck der westlichen Gesellschaft. Wir versuchen, nützliche Elemente in unser Leben einzufügen. Computer und Internet sind nützlich. Denn wenn Sarayaku seinen Kampf nicht kommuniziert hätte, wäre Sarayaku verschwunden. Da wären Bomben gelegt worden. Wir haben gemerkt, dass die ecuadorianische Regierung Wert auf ein gutes Image im Ausland legt, deshalb haben wir uns der internationalen Solidarität versichert, als unsere Rechte verletzt wurden. Da ist die Technologie und Kommunikation nützlich – Dinge, die längst nicht so schädlich sind wie Erdöl zu fördern und unser Ökosystem zu zerstören."

Weltruhm – dem Internet sei Dank

Der Widerstand gegen das Erdöl verhalf Sarayaku zu notorischer Berühmtheit, sorgte international für Schlagzeilen und Unterstützung. Auch Dank Entwicklungshilfe konnten Sonnenpaneelen und Satellitenschüsseln für Internetverbindungen angeschafft werden. Sarayaku entpuppte sich als kleines rebellisches Dorf des ecuadorianischen Dschungels und die Welt erfuhr es. Schamane Sabino erinnert sich, wie alles anfing:
"Die ersten Erdölleute fuhren über den Rio Bobonaza. Alle 100 Meter gab es Explosionen. Schildkröten, Eidechsen, Fische starben und mit ihnen der Geist. Deshalb bin ich dagegen, dass die Erdölfirmen zurückkommen."
Die ersten Bohrlizenzen für das Gebiet von Sarayaku wurden bereits 1989 vergeben. Drei Jahre später marschierten die Indios verschiedener Amazonasgegenden aus Protest gegen die Regierung nach Quito, um die Rechte auf ihr Land zu verteidigen: Mit Erfolg – sie bekamen Gelder und vor allem wurden die Bodenrechte ins Kataster eingetragen.
1996 dann bekam aber die argentinische Firma CGC vom ecuadoriansichen Staat die Bohrrechte für ein 200.000 Hektar großes Fördergebiet zugesprochen, auch für einen Teil des Gebietes von Sarayaku.

Das Land gehört den Kitchwa, die Bodenschätze dem Staat

Den Kitchwa gehören zwar offiziell die 140.000 Hektar Regenwald, die Bodenschätze jedoch dem Staat.
"Diese Trennung zwischen Land und Bodenschätzen ist lächerlich. Wir machen da keinen Unterschied bei unserem natürlichen Lebensraum. Deshalb pochen wir auf Artikel 169, in dem steht, dass für Megaprojekte im Gebiet von indigenen Völkern deren Zustimmung einzuholen ist."
Und das ist versäumt worden, erläutert Patricia Gualinga. Gemeinsam haben die Bewohner damals den Widerstand organisiert. Am Ende konnten die Kitchwa aus Sarayaku jedoch nicht verhindern, dass die argentinische Ölfirma CGC Dynamitstangen zur seismischen Voruntersuchung platzierte, es zum Konflikt kam zwischen dem Militär und ihrem Volk.
18 Verfahren wurden gegen die Führer Sarayakus eingeleitet. All das konnte den Widerstand der Bewohner gegen das Erdöl nicht brechen. Sie zogen bis vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof in Costa Rica. Der entschied zugunsten der Kitchwa und verurteilte 2010 den ecuadorianischen Staat. Sarayaku bekam eine Entschädigung von 1,3 Millionen Dollar.
Die Ölfirma hat damals 20 Millionen Dollar Kompensation von der Regierung Ecuadors bekommen. Und das, obwohl die Dynamitstangen noch immer im Boden stecken.

Eine eigene Bank, eine eigene Fluglinie

Das Geld ihrer Entschädigungszahlung haben die Kitchwa aus Sarayaku, was übrigens auf Deutsch Maisfluss bedeutet, sinnvoll angelegt unter anderem in eine Bank.
"Die Leute unseres Volkes bekommen bei den normalen Banken keinen Kredit. Deshalb geben wir ihnen Kredit, vergeben wir hier Mikrokredite an unsere Leute zu niedrigen Zinsen."
Ein Prozent monatlich – für Ecuador ist das günstig. Rund 80 Kredite haben sie vergeben. Wird ein Kreditnehmer säumig, so wird der Dorfrat eingeschaltet – aber man kennt und hilft sich. Es gibt verschiedene Kreditformulare: Etwa um Mais anzupflanzen, Hühner zu züchten oder für Notfallkredite – etwa wenn jemand dringend wegen eines Schlangenbisses oder aus anderen gesundheitlichen Gründen nach Puyo geflogen werden muss.
Ein Flugzeug der Linie Aero Sarakuya steht auf einer Wiese.
Ein Flugzeug der Linie Aero Sarakuya© Deutschlandradio / Burkhard Birke
Für 600.000 Dollar, die Hälfte der Entschädigungssumme, kaufte Sarayaku eine Cessna T 206 H für fünf Passagiere und eine 182 P für drei. Die Fluglinie verbindet Sarayaku mit der Außenwelt: Gegen den Bau von Straßen haben sich die Bewohner Sarayakus nämlich bislang ebenso erfolgreich gewehrt wie gegen die Förderung von Erdöl.
Sarayuka, dieses rebellisch traditionelle und zugleich moderne Dorf, das alles andere als rückständig ist: Es gibt einen Arzt für die Notversorgung, einen Fußballtrainer, eine Schule. Unterrichtet wird auf Spanisch und auf Kitchwa. Die eigene Sprache ist wichtig als Bindung zu Kultur und Tradition. Und die wird in Sarayaku gepflegt.

Computer und Sonnenenergie ja, Zigaretten und Alkohol nein

Die Linie des Rates von Sarayaku ist dabei klar: Errungenschaften wie Computer und Sonnenenergie sind willkommen. Probleme der Zivilisation durch Zigaretten und Alkohol versucht man zu vermeiden. Die Vollversammlung, das höchste Entscheidungsgremium, das auch die 25 Vertreter des Rates wählt, hat – auf Druck der Frauen – ein Alkoholverkaufs-Verbot beschlossen.
Ausgenommen bleibt natürlich die Chicha, das selbstgebraute mit Spucke angereicherte Bier der Einheimischen. Die Chicha wird allerdings geteilt und nicht verkauft. Ihre Herstellung ist reine Frauensache, wird im Rahmen einer Minga – einer Gemeinschaftsarbeit – erledigt nach einem wahrhaftigen Ritual, das einen ganzen Tag dauert.
"Früh morgens ernten die Frauen die Yucca – also Maniok. Die Yucca wird geschält, gekocht und danach mit Holzstampfern zu Brei gemahlen – wie man hört. Dann wird die Yucca immer wieder gekaut, ausgespukt, bis sie als süße Masse zusammen mit dem Wasser vom Kochen in einen Tontopf kommt."
24 Stunden muss das Ganze dann gären bis die Chicha fertig ist.
Ein Fischer steht in seinem Boot auf dem braunen Amazonas.
Der Fischer Eriberto Gualinga© Deutschlandradio / Burkhard Birke
Ob Bier brauen, Jagen, Fischen – Solidarität gehört zu den obersten Prinzipien der Gemeinschaft von Sarayaku, erläutert Patricias Bruder Eriberto. Man steht zusammen: Bei kleinen Dingen wie bei großen Projekten – nach dem Motto: jeder packt mit an, leistet seinen Beitrag. So wie beim Kampf gegen das Erdöl.
"Dank unseres Widerstandes haben wir noch einen Urwald, in dem wir jagen, fischen und pflanzen können. Das ist doch das Entscheidende für alle ursprünglichen Völker. Dieses Zusammenleben verschwindet aber in dem Maße wie die Öl-, Bergbau- und Landwirtschaftsbetriebe eindringen."

Neues Unheil droht

Und dies will das Volk von Sarayaku auf alle Fälle verhindern. Neues Unheil droht: Die Regierung hat einer chinesischen und einer italienischen Firma Bohrrechte teilweise auch für das Gebiet von Sarayaku verkauft. Der Kampf geht weiter.
"Es gibt eine Prophezeiung, die sagt: Dieses Volk von Sarayaku, das Volk des Zenits, wird nie verschwinden und bis zum Schluss Widerstand leisten. Als wir das hörten, dachten wir schon an das Ende der Menschheit. Jetzt ist uns klar, dass wir unser Leben, unsere Kultur, unsere Würde verteidigen gegen die Erdölfirmen! Das war die Prophezeiung."
Ruhig und besonnen spricht Patricia Gualinga: Aus ihren Augen jedoch spricht wilde Entschlossenheit. Sie, Eriberto, Nelson, Galo, Rolando, Carolina… all die Menschen, die uns in den letzten Tagen so liebe- und würdevoll ihr Leben zwischen Chicha, Wayusa, Jagd, Fischfang, Laptop, Schule, Bank und Internet näher gebracht haben, werden dafür kämpfen, dass nicht Öl- und Konsumrausch ihre Welt zerstören.
Keine perfekte Welt, aber eine Welt in Symbiose mit der Natur, solidarisch und nachhaltig. Sie haben mich und die anderen der Gruppe nachdenklich gemacht. Jetzt begleiten sie uns zur Piste. Dieses Mal kommen wir in den Genuss der kurzen Reise mit Aero Sarayaku. Ich quetsche mich auf den Sitz neben den Piloten, der gibt Gas.
Die Maschine hebt ab und schwenkt über den Bobonaza und Sarayaku. Ein letzter wehmütiger Blick. Schnell verschwinden die Hütten unter dem dichten Dach eines noch intakten tropischen Regenwaldes. Wer weiß wie lange.
Erstsendedatum: 19.2.2017

Die Reise nach Sarayuka wurde unterstützt vom Hilfswerk der Katholischen Kirche Adveniat.
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