Widersprüche der arabischen Welt

Von Robert Brammer · 15.02.2010
Vor allem im Forum des internationalen Films aber auch im Panorama der Berlinale gibt es zahlreiche Filme, die hinter die Kulissen internationaler Konflikte blicken. Häufig verweisen diese oft blutigen Auseinandersetzungen auf den ungelösten Nahostkonflikt.
HipHop-Musik im religiösen Radiosender "Al Iman" – im von der radikal-islamischen Hamas beherrschten Gazastreifen ist das eine Provokation. Die Musiker, überwiegend Studenten, verweisen wortgewandt auf die individuelle Freiheit eines jeden und fragen den Radiomoderator – allerdings erst nach der Sendung – ob er denn tatsächlich glaube, dass jeder Palästinenser für die Rückkehr aller Flüchtlinge in die palästinensischen Gebiete kämpfe.

So endet der Film "Aisheen" von Nicolas Wadimoff, der ungeschönt beschreibt, wie die israelische Armee den Gazastreifen nach ihrer Militäroffensive im Januar 2009 zurückgelassen hat. Der vom Kinderkanal des arabischen Fernsehsenders Al Dschasira produzierte Film zeigt unkommentierte Impressionen von Zerstörung und von Perspektivlosigkeit und vermittelt dem Zuschauer Einblicke in den Alltag eines von der Außenwelt abgeriegelten Landstrichs.

Im Gazastreifen leben heute eineinhalb Millionen Menschen auf engstem Raum, mehr als die Hälfte von ihnen Kinder, in einem Gebiet, das so dicht besiedelt ist wie Berlin oder München. Auf den Feldern wächst kaum noch etwas. Jahrhundertealte Olivenhaine wurden von der israelischen Armee zerstört.

Dafür hat die palästinensische Bevölkerung seit dem Abzug der Israelis wieder freien Zugang zum Meer. Endlich wieder ein weiter Horizont für Menschen, die nur die Enge und das Eingeschlossensein kennen. Jahrzehntelang war der Strand von Gaza militärisches Sperrgebiet gewesen.

Nicolas Wadimoff zeigt traumatisierte Kinder, die Luftangriffe nachspielen, den Verlust der Eltern oder den ihrer Geschwister. Auch nach der israelischen Militäroffensive werden noch immer Angriffe geflogen. Schulkinder suchen Zuflucht in Schutzräumen. Wenig später machen Clowns ihre Späße über Bomben und die Angst vor ihnen, die viele Kinder oft apathisch oder aggressiv werden lässt.

Der Löwe in dem kleinen Zoo von Rafah hängt ausgestopft in seinem alten Zwinger. Ein wild hinter Gittern herumtobender Pavian hört auf den Namen Scharon. Der Zoo hat auch einen Papagei, ein Straußenpaar und eine Antilope, aber kein Geld für Tierfutter und auch kaum Besucher. Alles steht hier still. Das Leben döst vor sich hin.

2000 Kilometer entfernt sitzt der frühere Leibwächter Osama bin Ladens in seiner Wohnung im jeminitischen Sana und empfängt ausländische Besucher, einen Reporter der "New York Times" oder muslimische Geistliche. Noch immer bekämpft Abu Jandal die amerikanische Ideologie, während sein kleiner Sohn die Geschichten von Tom und Jerry im Fernsehen sieht.

"The Oath" – der Eid – so nennt die amerikanische Regisseurin Laura Poitras ihren neuen Dokumentarfilm. Doch in ihrem Bemühen, die Kämpfer von Al Kaida zu entdämonisieren, erliegt sie mehr als einmal dem charismatischen Auftreten ihres medienerfahrenen Protagonisten.

Schon 2005 war Laura Poitras im Nahen Osten unterwegs, um die Geschichte eines Arztes zu erzählen, der als frommer Sunnit für die Parlamentswahlen im Irak kandidierte. Ihr Dokumentarfilm "My Contry, My Country" vermittelte damals einen lebendigen und anschaulichen Einblick in das Leben der Iraker unter amerikanischer Besatzung.

Auch ihr neuer Film ist hochaktuell. Denn im Jemen ist nahezu unbemerkt eine neue Generation junger Al-Qaida Kämpfer herangewachsen – gefährlicher und wohl auch skrupelloser als die erste um Osama bin Laden. Seit dem gescheiterten Anschlag auf einen Airbus über Detroit stehen sie jetzt erstmals auf der Bühne des internationalen Terrorismus.

Abu Jandal begann seine terroristische Karriere als Mitglied der ägyptischen Moslembruderschaft. Als Kämpfer des Dschihad ging er dann nach Bosnien und später 1996 nach Afghanistan. Dort ernannte ihn Osama bin Laden zu seinem Chefbodygard. "Der Scheich", wie er ihn noch immer ehrfürchtig nennt, hätte ihm damals eine Pistole in die Hand gedrückt und gesagt: "Da sind zwei Patronen drin. Du wirst dafür sorgen, dass ich nie lebend gefangen genommen werde."

Abu Jandal leistete damals einen Eid auf Osama bin Laden als dessen Quartiermeister und kannte alle Attentäter des 11. September persönlich.

"How close where you to Osama bin Laden, when you were with him?"
"A meter and a meter and half way at most."
"And what kind of weapon did you carry?"
"I have my own gun. But there was also a special gun, to be used, if sheik Osama bin Laden was attacked and we are unable to save him. In which case I would have to kill him."

Am 11. September 2001 saß Abu Jandal im Gefängnis – allerdings im Jemen, seinem Geburtsland. 22 Monate war er in Haft. Dann schwor er dem Terror ab – nicht aber den islamistischen Ideen. Er hat, wie er im Film sagt, die Waffen gegen einen Kugelschreiber eingetauscht.

Die zweite Generation von Al-Qaida nennt ihn inzwischen einen Verräter, weil er sich auf einen Handel mit der jemenitischen Regierung eingelassen hat: Freiheit dafür, dass er den bewaffneten Kampf aufgibt.

"Red, White and the Green" – das sind die Farben der iranischen Flagge und das ist auch der Titel von Nader Davoodis Dokumentarfilm über die Bewegung der grünen Hoffnung, aufgenommen in den letzten drei Wochen vor den iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni 2009.

Der Film zeigt noch den übergroßen Optimismus großer Teile der Teheraner Bevölkerung, die anders als in der Provinz auf eine Niederlage von Ahmadinedschad hofft und ihn als Personifikation der Ignoranz brandmarkt. Und es sind vor allem Frauen, die dies tun und die sich in riesigen Fußballstadien mit den Oppositionskandidaten solidarisieren.

"Red, White and the Green" zeigt eine Stimmung, in der die Sehnsucht nach einem wirklichen Wandel mit Händen zu greifen ist. Der Film spiegelt aber auch die Furcht, nach der Wahl wieder isoliert zu sein. Auch hier herrscht inzwischen die Angst vor Chaos und Bürgerkrieg. Der Nahe und Mittlere Osten bleibt eine explosive Krisenregion. Die drei Filme bezeugen und veranschaulichen das in fast jeder Szene.