Whistleblower-Film "Official Secrets"

Denkmal für eine stille Heldin

12:27 Minuten
Szene aus dem Film "Official Secret". Keira Knightley steht alleine vor Gericht.
Alles beginnt mit einer E-Mail, der Kinofilm "Official Secret" thematisiert die reale Geschichte der Whistleblowerin Katharine Gun. © eOne Germany
Moderation: Susanne Burg · 16.11.2019
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Sie wollte den Irak-Krieg verhindern und wurde von der Justiz verfolgt: Katharine Gun leakte 2003 ein Geheimdienstdokument an die britische Zeitung "Observer". Der Film "Official Secrets" zeigt nun ihre Geschichte.
Die Britin Katharine Gun wurde 2003 zur Whistleblowerin. Die Übersetzerin beim britischen Nachrichtendienst GSHQ beschloss, eine Email zu leaken – um eine Invasion des Irak abzuwenden. Die brisanten Informationen wurden schließlich im "Observer" veröffentlicht – für die Zeitung ein Coup.
Der Spielfilm "Official Secrets" mit Keira Knightley und Matt Smith in den Hauptrollen erzählt nun die Geschichte der Whistleblowerin Katharine Gun und des "Observer"-Journalisten Martin Bright. Der Film kommt 21. November ins Kino. Unsere Filmredakteurin Susanne Burg hat beide, Gun und Bright, zum Interview getroffen.
Susanne Burg: Katharine Gun, wie fühlt es sich an, zur Hauptfigur in einem Spielfilm zu werden, gespielt von Keira Knightley?
Katharine Gun: Das ist natürlich schon schwierig, wenn man gefragt wird, wer denn die eigene Person spielen soll. Ich habe tatsächlich eine Liste mit Namen bekommen – ich weiß nicht, ob du auch eine gekriegt hast…
Martin Bright: Nein, ich habe keine Liste bekommen. Mir wurde das einfach nur mitgeteilt.
Gun: Also ich habe eine Liste von Leuten bekommen, zu denen ich sagen konnte, wen ich mir vorstellen kann. Keira Knightley war wohl die beste Wahl. Sie hat viel mit dem Regisseur darüber diskutiert, wie sie mich spielen sollte, wie es am besten wäre. Sie hat dann am Ende entschieden, sich nicht die Haare zu färben, keine blauen Kontaktlinsen zu tragen und nicht zu versuchen mich zu imitieren, sondern einfach eine dezente Version von Keira Knightley zu sein. Sie wollte versuchen, sich in meine Situation hineinzuversetzen, und schauen, wie sich das anfühlt. Ich denke, das war eine gute Entscheidung. Darin steckt eine Ehrlichkeit, roh und unverfälscht, die wohl fehlen würde, wenn sie probiert hätte, etwas zu sein, was sie nicht ist.

Kriegstreiberei bereitet Sorgen

Burg: Lassen Sie uns kurz die Ereignisse rekapitulieren, um die es hier geht. Es beginnt im Januar 2003, als Sie eine Email bekamen. In der stand, man erwarte von Ihnen, dass Sie kompromittierende persönliche Informationen über das Leben von UN-Delegierten kleiner Staaten herausfinden sollten, damit diese erpresst werden konnten, für den Irak-Krieg zu stimmen. Diese Email haben Sie ausgedruckt und einer Freundin gegeben. Sie bildete dann die Grundlage einer Geschichte, die im "Observer" erschien. Als Sie die Email weitergaben, war Ihnen bewusst, welches Ausmaß die Folgen Ihres Handelns haben würden?
Gun: Nein, das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich habe nicht darüber nachgedacht, was als nächstes passiert. Ich hatte vorher bereits einige Monate lang zum Thema Irak recherchiert. Es kam also nicht vollkommen überraschend, so dass ich gedacht hätte, oh was ist denn das? Diese Kriegstreiberei hat mir bereits sehr große Sorgen gemacht. Ich hatte aber nicht nach Informationen gesucht, die ich leaken könnte - das war mir überhaupt noch nicht in den Sinn gekommen. Diese Email hatte jedoch so eine Dringlichkeit – sie verlangte nach sofortigem Handeln. Ich habe mich wie ein Pferd mit Scheuklappen gefühlt, ich sah diesen Krieg kommen. Darum war es ein unmittelbarer Instinkt zu handeln. Erst nachdem die Email im "Observer" abgedruckt worden war, zeigte sich das ganze Ausmaß der Folgen und die Lawine setzte sich in Bewegung.
In der Filmszene geht Keira Knightley durch eine Gruppe von Journalisten.
Keira Knightley als Whistleblowerin Katherine Gun.© eOne Germany
Burg: Der Begriff "Whistleblower" entstand in den 70er-Jahren im englischen Sprachraum, um die negativen Bedeutungen von Spion oder Verräter zu vermeiden, richtig gebräuchlich geworden ist der Ausdruck aber erst ungefähr in den vergangenen zehn Jahren. Nachdem Leute wie Julian Assange, Edward Snowden, Chelsea Manning, so bekannt geworden sind. Wann haben Sie sich selbst zum ersten Mal als Whistleblower gesehen? Sehen Sie irgendeine Verbindung zwischen sich und den von mir genannten Personen?
Gun: Whistleblowing war jetzt nichts, womit ich mich vorher beschäftigt habe. Man erhält keinen Unterricht zur Geschichte der Whistleblowers, wenn man zum Geheimdienst geht. Das wäre das letzte, was sie wollen. Ich glaube niemand, der Informationen aufdeckt, über Betrug, unmoralische Geschehnisse oder was auch immer, niemand, der das tut, denkt als erstes daran, was denn wohl über ihn oder sie gesagt wird. Darum geht es einem nicht. Man macht sich Gedanken über die Missstände, von dem man glaubt, dass sie bekannt werden und behoben werden sollten. Und dann wird man halt von anderen als Whistleblower bezeichnet.

Bereit, ins Gefängnis zu gehen

Burg: Martin Bright, Sie haben die Email zugespielt bekommen und haben angefangen zu recherchieren. Nun ist es schwer, in einem Film die ganze Recherche zu zeigen, die zum Schreiben einer solchen Geschichte nötig ist – die vielen Telefonate, die Emails. Wann wussten Sie, dass die Geschichte soweit ist, um auf der ersten Seite des "Observer" zu erscheinen?
Bright: Ich habe es schon in dem Moment gespürt, als ich die Email bekam. Ich dachte gleich, das könnte potentiell eine sehr große und wichtige Geschichte werden. Es war nur sehr schwierig, die Email zu verifizieren. Es hätten einfach auf Papier gedruckte Worte sein können, eine Fälschung, Propaganda, wir wussten es nicht. Es hat ziemlich lange gedauert, bis wir sicher waren, dass das alles echt war. Und das zu einer Zeit, als klar war, dass wir kurz vor einem Krieg standen. Wir mussten prüfen, ob das auch die Sprache war, die der Geheimdienst verwenden würde, verifizieren, dass Frank Koza der Mann, der die Mail geschickt hatte, auch wirklich existierte. Wir mussten also so gut wie möglich sicherstellen, dass nichts von einem ausländischen Geheimdienst gefälscht wurde. Das hat lange gedauert. Und erst als mein Kollege Ed Vulliamy in den USA feststellte, dass im nationalen Sicherheitsapparat tatsächlich ein Frank Koza existierte, waren wir bereit, die Geschichte zu veröffentlichen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir uns ungefähr zu 99 Prozent sicher, dass die Geschichte stimmte. Aber es gab immer noch ein Risiko.
Burg: Katharine Gun, Sie sind des Verrats angeklagt worden, nach dem Official Secrets Act, also dem Gesetz über offizielle Geheimnisse. Die gesammelte Macht des Staates hat sich da auf Sie gestürzt. Rückblickend ist alles gut gegangen, aber wie groß waren währenddessen Ihre Zweifel, dass am Ende vielleicht nicht alles gut werden würde?
Bright: Du hattest Dich schon darauf eingestellt, ins Gefängnis zu gehen, oder?
Gun: Ja, ich glaube, mir ging es vor allem darum, nicht davon abzuweichen, was ich mir vorgenommen hatte. Meine Motivation änderte sich nicht. Ich wollte meiner Position treu bleiben und mich nicht schuldig fühlen. Normalerweise ist es praktisch unmöglich, Menschen zu verteidigen, die auf Grundlage des Official Secrets Acts angeklagt werden. In meinem Fall gab es den ziemlich schmalen Grat der Verteidigung im Sinne eines Notstands. Mit der Argumentation, dass ich das tat, um Leben zu retten. Wir sahen die Chance, dass wir von dieser Verteidigung Gebrauch machen könnten, auch wenn die Hoffnung nicht groß war, dass es funktionieren würde. Aber ja, ich war aufs Gefängnis vorbereitet. Wir haben über die Dauer einer möglichen Inhaftierung gesprochen. Das war schon real, aber wir blieben positiv.

Kein üblicher Quellenschutz

Burg: Irgendwann haben Sie, Martin Bright, herausgefunden, wer die Email geleakt hatte. Ihr Leben verlief noch recht unbehelligt, so viel stand nicht auf dem Spiel für Sie, Katharine Gun, dagegen machte sich auf einen Gefängnisaufenthalt gefasst - was hat das mit ihrem Gewissen gemacht? Hat das etwas mit Ihnen gemacht?
Bright: Ja. - Katharine lacht, weil wir uns am Anfang wirklich gefreut haben, dass sie festgenommen wurde, weil das belegte, dass die Geschichte stimmte. Das war eine großartige Nachricht, als wir hörten, dass eine junge Frau vom britischen Geheimdienst GCHQ verhaftet worden war. Das ist dieses schreckliche Paradoxon der Journalisten, dass man sich einerseits freut, wenn sich die Story als wahr erweist, andererseits habe ich natürlich Mitgefühl für Katharine gehabt, wegen all dem, was sie damals durchgemacht hat. Was ungewöhnlich an diesem Fall war, war die Tatsache, dass sie gar nicht direkt meine Quelle war. Ich habe ihr nicht gesagt, dass sie mir Informationen schicken soll. Darum kamen die üblichen Mechanismen zum Quellenschutz nicht wirklich zum Tragen. Als wir erfuhren, dass sie verhaftet worden war, haben wir ihr aber rechtliche Unterstützung angeboten und ihr geholfen, Anwälte zu finden. Ich denke, dass ein wichtiger Punkt an dieser Geschichte, an diesem Film ist, dass er ethische Fragen aufwirft, wie Journalisten sich verhalten, und wie wir uns Whistleblowern gegenüber verhalten sollten.
Burg: Von Seiten der Staatsanwaltschaft wurde die Klage sehr unvermittelt fallen gelassen. Da waren Sie bereits darauf vorbereitet, das Ganze zu einem politischen Fall werden zu lassen. Wie war das, als dann plötzlich gar kein Fall mehr da war?
Gun: Das war wirklich sehr verwirrend. Ziemlich merkwürdig, weil sie acht Monate gebraucht hatten, um zu entscheiden, ob sie mich anklagen sollten oder nicht. Als die Anklage dann kam, dachten wir, nun werden wir sehr lange damit beschäftigt sein. Unser Plan war, den Krieg gegen den Irak vor Gericht zu bringen. Wir wollten rechtliche Beratung des Generalstaatsanwalts verlangen und wir wollten Zeugen aussagen lassen. Aber diese Gelegenheit wurde plötzlich zunichte gemacht. Einerseits war das eine riesige Enttäuschung und sehr frustrierend, aber auf persönlicher Ebene war ich natürlich total erleichtert. Denn das hätte sonst bedeutet, dass ich umfassend durchleuchtet werde. Danach haben mich Leute gefragt, ob ich mich als Heldin fühle. Aber nein, ich bin einfach nur ein ganz normaler Mensch. Auch ich hatte Angst, dass irgendwelche Leichen aus meinem Keller an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Das möchte doch niemand erleben.

Noch viele Frage sind offen

Burg: Die Rechercheergebnisse wären skandalös genug gewesen, um zwei Regierungen zu stürzen. Aber das ist nicht passiert. Der Krieg gegen den Irak fand trotzdem statt. Wie beeinflusst das Ihre Sicht auf die Bedeutung Ihrer Handlungen? Zeigt es vielleicht auch, dass die Zeiten, als politische Skandale noch Folgen hatten, damals schon vorbei waren?
Gun: Ich denke der einzige Trost bezüglich der Frage, ob es eine bedeutende Aktion war oder nicht, liegt darin, dass man am Anfang nicht gleich die Ergebnisse der Handlung im Kopf hat. Aber ein Ergebnis war, dass der UN-Sicherheitsrat kein Mandat gegeben hat. Das Bestreben wurde kategorisch fallengelassen, als die Email veröffentlicht wurde. Besonders die Chilenen weigerten sich. Das steht jetzt in den Geschichtsbüchern.
Bright: Das war eine außergewöhnliche Zeit. Unser Land und unsere Medien standen damals unter enormer Anspannung. Wir versuchten, die Regierung zur Verantwortung zu ziehen. Für mich persönlich als Journalist war es enttäuschend, das nicht weiter untersuchen zu können. Es gibt immer noch unbeantwortete Fragen dazu, was in Katharines Fall passiert ist. Wir wissen noch immer nicht, wer diese Operation in Auftrag gegeben hat, weder in den USA noch in Großbritannien. Wir haben nie genau herausgefunden, wer Frank Koza ist, der Mann, der die Email verschickt hatte. Er ist nie befragt worden. Und dann gibt es nach wie vor drängende Fragen zum Rechtsprozess. Warum wurden die Anklagepunkte so vorgebracht? War es nur eine Art Racheaktion, um an Katharine ein Exempel zu statuieren? Und warum wurde das Verfahren auf diese Weise abgebrochen? Wurde es nur deshalb gestoppt, um der Regierung Peinlichkeiten zu ersparen? Das würde ich gerne wissen. Diese Geschichte ist also noch nicht zu Ende.
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