Wettrüsten auf der Skipiste

Moderation: Liane von Billerbeck · 04.01.2008
Aus Sicht der Tourismusforscherin Felizitas Romeiß-Stracke sollten die Wintersportorte mehr Alternativen zum klassischen Skizirkus anbieten. Um Schneesicherheit zu gewährleisten, setzten sich die Orte einem "mörderischen" Wettbewerb aus. Zudem führe der dauernde Einsatz von Kunstschnee zu langfristigen ökologischen Veränderungen.
Liane von Billerbeck: So war es früher: Skisaison von Dezember bis April. Doch das ist in den Alpen mancherorts nur noch für einen hohen Preis zu haben: durch Kunstschnee. Damit Sie sich das vorstellen können: Damit auf einer Fläche von 100 mal 100 Metern 30 Zentimeter Schnee liegen, braucht es eine Million Liter Wasser. Während Umweltschützer vor einer Austrocknung der Alpen warnen, setzt die Tourismusindustrie auf Kunstschnee. Schnee gehöre wie der Wintersport eben zur Identität der Alpenländer.

Felizitas Romeiß-Stracke ist Professorin für Tourismusforschung in München und grad selbst im Schnee. Wie viel Schnee haben Sie?

Felizitas Romeiß-Stracke: Ja, wir haben sogar in Oberbayern genug, dafür hatten wir den ganzen letzten Winter kein Bröckchen Schnee und es war ganz grauenhaft. Das heißt, man muss sich auf diesen Wechsel einstellen und deswegen ist ja auch in dem Beitrag vorhin klar geworden, die Schneesicherheit spielt die entscheidende Rolle, und die Konkurrenz darum ist einfach mörderisch geworden.

Billerbeck: In manchen Gegenden der Alpen da rüstet man auf, man spricht sogar schon von einem Wettrüsten auf den Skipisten, investiert in immer mehr Technik und Kunstschnee und Schneekanonen, um diese Schneesicherheit zu garantieren. Mit welchen Auswirkungen, langfristig?

Romeiß-Stracke: Die wissen wir ja eigentlich nicht so ganz genau. Die einen sagen, gar kein Problem, wie der Bergbahndirektor in dem Interview eben, die Naturschützer warnen, sagen, Austrocknung der Alpen. Kunstschnee verändert auch die Vegetation unter den Pisten, was man übrigens im Sommer schon ein bisschen wahrnehmen kann. Die Argumente gehen immer hin und her, es ist eigentlich – meiner Ansicht nach – noch nicht völlig klar, wie die Auswirkungen sind. Die Auswirkungen sind allerdings im wirtschaftlichen Bereich klar, also, ich sage mal, die ökologischen Auswirkungen, da bin ich mir noch gar nicht so sicher, im wirtschaftlichen Bereich ist es klar, dass diejenigen, die die Schneesicherheit garantieren können, das Rennen machen werden. Das läuft auf eine räumliche Arbeitsteilung in den Alpen hinaus. Es werden immer mehr hochperfektionierte Skizirkusse entstehen, die sind ja schon da, die perfektionieren sich weiter, vor allen Dingen im Zentralbereich der Alpen, in Tirol, Südtirol und in der Schweiz, und auf der anderen Seite fallen Skigebiete raus, was von den Naturschützern dann begrüßt wird, und es gibt dann ruhigere Zonen. Und das finde ich ganz gut.

Billerbeck: Nun sagten Sie eben, die Auswirkungen durch dieses viele Kunstschnee-Produzieren und Abziehen des Wassers aus den Alpen, die wären noch gar nicht klar. Das klingt so ein bisschen nach Verharmlosung, wie viele Leute, die sagen, mit der Erderwärmung ist es auch noch nicht so ganz klar.

Romeiß-Stracke: Nein, nein, nein. Ich denke, man muss da auch sehr differenziert argumentieren.

Billerbeck: Aber es sind doch Unmengen, die da rausgeholt werden.

Romeiß-Stracke: Ja, es sind Unmengen, die da rausgeholt werden, wobei ich in dem Wasser weniger das Problem sehe als wirklich in der Veränderung der Vegetation unter den beschneiten Pisten, denn dieser Schnee ist ja anders. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal auf Kunstschnee gefahren sind, er ist härter, er backt stärker und verpresst den Boden drunter stärker, was Sie im Sommer, wenn Sie durch diese Gebiete gehen, sehen können, dass hier ein anderes Gras wächst. Nun sagen die Bergbahnen, nein, wir tun alles, dass das nicht so ist. Es kommt ein Zweites hinzu, die Kunstschneepisten halten ja auch länger. Sie können, wenn Sie durch Tirol fahren, meinetwegen St. Johann Richtung Kitzbühel, lecken diese Kunstschneezungen inmitten von Grün bis weit ins Frühjahr runter, das heißt, das natürliche Frühjahr wird in diesen Regionen sozusagen partiell verspätet, das heißt, es bewegen sich auch länger Skifahrer dort.

Billerbeck: Der Winter wird verlängert.

Romeiß-Stracke: Der Winter wird verlängert, und gleichzeitig ist aber darum herum schon Frühling, auch für die Tiere, und das führt auch zu einem Ungleichgewicht. Ich verharmlose das nicht, ich finde diese Kunstschneeentwicklung persönlich nicht gut.

Billerbeck: Nun haben Sie ja von diesen zwei Entwicklungen gesprochen, einerseits das Wettrüsten, immer schickere, immer längere, immer tollere Pisten, ich habe gelesen, dass es sogar Manager gibt, die darüber nachdenken, ganze Skigebiete zu überdachen, um dann irgendwie noch schneesicherer zu sein, wenn es da überhaupt eine Steigerung geben kann.

Romeiß-Stracke: Ja.

Billerbeck: Das ist die eine Seite, und die andere Seite, die also schon nicht mehr genug Schnee hat und es sich auch nicht leisten kann, da so teuer Kunstschnee aufzufahren.

Romeiß-Stracke: Und es sich auch nicht leisten sollte.

Billerbeck: Die setzt also auf andere Wege. Welche Alternativen touristischer Angebote gibt es denn, wenn man das eben nicht kann oder nicht will?

Romeiß-Stracke: Es ist schwer, weil, Winter und Wintersport in unseren Köpfen noch so eng verankert sind und auch übrigens in den Köpfen der Tourismusmanager. Man hat es schon vor 15 Jahren mal versucht, Alternativen aufzulegen, eben kein Ski fahren, sondern Winterwandern, Fotografieren der Raureiflandschaft wenn denn schon kein Schnee da ist, das wurde vor 10, 15 Jahren nicht gut angenommen. Heute hat sich die Gesellschaft verändert. Sie zerfällt immer mehr in diejenigen, die noch dem Spaß, dem Fun im Schnee anhängen, und diejenigen, die – schon, sage ich, das sind nämlich eigentlich die Trendsetter – sagen, nein, ich will es eigentlich ruhiger, ich will in mich gehen, ich kann gut auch nur in der kalten Luft laufen oder ich kann sogar Radl fahren in der kalten Luft, ich brauche diesen ganzen Zirkus nicht. Da ist eine Spaltung vorhanden, und diese Spaltung wird sich auch räumlich widerspiegeln und tut sie im Grunde genommen schon.

Klein: Was wäre denn der Alpentourismus ohne Schnee und Wintersport?

Romeiß-Stracke: Also, sagen wir mal, erst mal der Schnee. Schnee ist natürlich ein Traum von uns westlichen Menschen, weil das emotional ist, seitdem es Weihnachten gibt. Wenn Sie das mal verfolgen, früher war Schnee für die Bergbevölkerung was ganz Entsetzliches, es war kalt und er ging bis zur Hüfte und machte das Leben schwer. Seit den romantischen Weihnachtsvorstellungen von den kuscheligen Dächern mit dem hohen Schnee, den verschneiten Tannen und den Lichtern ist Schnee ein hochemotional besetztes Alpenthema, mit Jodeln und Stubenmusi und so weiter. Der Wintersport entstand ja erst in der Breite in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, also, ab 1955, 65, als sich die Leute das leisten konnten, das heißt, wir haben ihn 50, 60 Jahre, es ist möglich, dass so was auch wieder nachlässt. Man muss die Trends nicht extra polieren.

Billerbeck: In den französischen Alpen hat man inzwischen sogar schon mal gefordert, die Produktion von Kunstschnee als öffentliche Dienstleistung zu deklarieren, also quasi als Staatsaufgabe, was halten Sie denn davon?

Romeiß-Stracke: Sie sehen, ich lache. Natürlich hat das mit der wirtschaftlichen Situation zu tun. Es gibt Regionen, und die Savoyer Alpen leben auch davon, die komplett vom Wintersport leben. Das sind Arbeitsplätze. Und es ist ja so in unserer Gesellschaft, dass man mit Arbeitsplätzen den letzten Blödsinn finanzieren und durchsetzen kann, warum nicht auch mit Kunstschnee. Ich denke, das geht zu weit, aber noch mal: Wenn man diese Arbeitsteilung akzeptiert und sagt, okay, hier machen wir richtig perfekte Schnee- und Skizirkusse, und dort eben nicht, dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Denn schauen Sie sich doch die Orte an, die jetzt hauptsächlich vom Wintersport leben, da können Sie im Sommer kaum hinfahren, die sind einfach hässlich.