Wetten, Zocken, Tippen

Das Geschäft mit dem Glücksspiel

Eine Ziehungsmaschine - LOTTO 6 aus 49
Damit fing alles an: Die Lotto-Ziehung im Fernsehen © picture-alliance / dpa / Oliver Dietze
Von Stefan Schmid  · 23.11.2015
Deutschland tut sich schwer mit der Regulierung von Glücksspiel. Halblegal tummeln sich so einige Anbieter auf dem Markt. Dass sie das noch immer tun, liegt vor allem daran, dass der Staat kräftig mitverdient.
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"Und wenn man hier jetzt einmal auf Sportwetten klickt, dann sieht man folgendes: Aktuell können sie auf 21.847 Ereignisse wetten. Das ist gelinde gesagt Wahnsinn, was sie da für eine Auswahl haben."
Es war einmal ein Land, in dem Staatliches Lotto das Glücksspiel der Nation war. Obwohl Vater Staat fürsorglich die Hälfte des eingezahlten Geldes behielt und die Chance auf einen Sechser lächerlich gering war. Trotzdem sahen Millionen von Menschen gespannt zu, wenn im Fernsehen die Kugeln mit den Gewinnzahlen gemächlich aus der Lostrommel rollten und in durchsichtige Zylinder plumpsten.
"60 Jahre ist es her, da wurde die erste Lottozahl gezogen, zwei Waisenkinder fischten ausgerechnet die 13 aus der Lostrommel! Zehn Jahre später konnte man die Ziehung dann erstmals live im Fernsehen verfolgen."
Doch das ist Fernseh-Geschichte, mittlerweile werden nur noch die Gewinn-Zahlen am Bildschirm präsentiert. Das Spiel ist zwar immer noch beliebt. Aber die Welt des Glücksspiels hat sich dramatisch verändert.
Das staatliche Glücksspielmonopol ist durchlöchert, immer mehr Menschen zocken im Internet, private Anbieter aus dem In- und Ausland drängen auf legalen und illegalen Wegen ins Geschäft. Und Lobbyisten helfen, der Geldmaschine Glücksspiel immer wieder Schwung zu verleihen:
"Sportwetten sind schon seit längerer Zeit ein natürlicher Partner des Sports. Es macht Spaß, es gehört einfach dazu, es ist wahnsinnig populär auch in allen Bevölkerungsschichten."
Auch die Fußballvereine verdienen kräftig mit
Ex-Torwart Oliver Kahn verdient sein Geld nicht nur als Fußballexperte beim ZDF, sondern auch als Werbepartner der Firma Tipico. Der Glücksspielkonzern mit Firmensitz Malta bietet sogenannte "Sportwetten" an, in Sportwett-Bars vor Ort und im Internet. Dort können Zocker zum Beispiel darauf setzen, dass die Kicker des russischen Zweitligisten FK Kolomna gegen die Kicker des FK Dolgoprudny gewinnen. Oder verlieren. Oder unentschieden spielen. Neben allerlei Sportwetten hält das Unternehmen auf der deutschen Internetseite noch andere Glücksspiele bereit, die eigentlich verboten sind:
"Zum Beispiel Bloodsucker, ein Automatenspiel, European Roulette für Spielbank-Freaks, außerdem Video Poker für die Karten-Zocker..."
... und ähnliches mehr, was Spieler magisch anzieht.
"Die Bank gewinnt immer"- diese Faustregel aus dem Roulette gilt für alle professionell veranstalteten Glücksspiele, ob staatlich oder privat: Sie sind so gestrickt, dass die Anbieter unterm Strich gewinnen, die Spieler verlieren. Das macht das Geschäft mit dem Glück so attraktiv – für die Veranstalter. Die Anbieter können Milliarden einstreichen.
"Wir sind da von gut 10 Milliarden Euro Spielerverluste, was identisch ist mit Anbietereinnahmen, auf 10,6 Milliarden gewachsen in den letzten Jahren. Wir haben allerdings eine große Dynamik gesehen innerhalb des Glücksspielmarktes. Das heißt, zwischen den Spielen hat sich einiges verschoben."
Ingo Fiedler, Glücksspielforscher an der Universität Hamburg:
"Da haben wir eben Verlierer gehabt, das sind vor allen Dingen die Lotterien: Die sind von 5 Milliarden auf ungefähr 4 Milliarden gefallen. Die staatlichen Casinos sind inzwischen ziemlich bedeutungslos geworden, die haben vielleicht noch 500 Millionen, die sie im Jahr einnehmen, das war mal deutlich mehr. Der große Gewinner sind die gewerblichen Automaten: Die sind inzwischen der größte Spieler im Markt, mit 4,4 Milliarden Einnahmen pro Jahr. Und dann haben wir eben noch das neue Phänomen der Sportwetten, insbesondere im Online-Bereich: Das hat natürlich über die letzten Jahre auch immer weiter zugenommen, ist aber vergleichsweise noch relativ klein."
Auch Online-Casinos und Online-Automaten sind noch relativ klein, aber sehr wachstumsstark. Während Poker nach einem Höhenflug wieder etwas aus der Mode gekommen ist.
"Poker ist ein interessantes Phänomen. Es hat wirklich geboomt, ich würde sagen von 2007 bis 2011, und seitdem ist es immer weiter runter gegangen. Wir haben inzwischen noch Spielerverluste/ Anbietereinnahmen von 150 Millionen. Das ist nur noch ein Marktanteil von 1,5 Prozent, es ist verschwindend gering. Und die Bedeutung von Poker fällt immer weiter – es war ein eher vorübergehendes Phänomen."
Von dem Boris Becker zeitweise stark profitiert hat – nicht als Spieler, sondern als Werbeköder: Um viele kleine Fische an die Pokertische zu locken – wo die Haie auf Beute warten.
"Inzwischen haben sich sehr viele professionelle Spieler herausgebildet, die extrem gut sind. Und wenn jetzt ein neuer Spieler dazu kommt, dann verliert der derart rasant sein Geld, dass er schnell die Lust daran verliert. Und entsprechend kommt dort wenig neues Geld nach von den sogenannten Fischen, die eben von den Haien ausgeplündert werden."
Außerdem haben Länder wie Italien oder Frankreich die Fanggründe abgeschottet. Und die USA haben sogar ein Online-Fangverbot für Pokerhaie verhängt - um reale Spielhöllen wie Las Vegas vor der Internet-Konkurrenz zu schützen:
"Hier in Deutschland ist es auch verboten, aber das Verbot wird nicht durchgesetzt. In dem Moment, wo das in den USA verboten war, ist ein Drittel des Marktes komplett weggebrochen. Und die zweite Entwicklung ist eben Frankreich, Italien, Spanien, auch relativ große Märkte, die wurden reguliert. Dort spielen dann Italiener gegen Italiener. Aber eben die Deutschen können nicht mehr mitspielen. Entsprechend sind das abgetrennte Spielerpools. Und der verbleibende Spielerpool wird halt immer kleiner. Entsprechend fehlt auch der Anreiz, weiter zu spielen."
"Kaffee-Casinos" sind Scheingastronomie
Poker ist allerdings die Ausnahme von der Regel, denn ansonsten steigt das Interesse am Zocken und Wetten im World-Wide-Web. Das größte Geschäft mit dem Glück sind aber immer noch die stationären Spielautomaten. Bundesweit stehen mittlerweile 190.000 attraktive Geldspielgeräte in 90.000 Spielhallen zur Verfügung, in Deutschlands Kneipen sind weitere 70.000 Spielautomaten installiert. Manche dieser Kneipen sind freilich illegale Zocker-Buden:
"Das sind sogenannte Kaffee-Casinos, Scheingastronomie. Das ist praktisch als Gastronomie-Aufstellung angemeldet, als Gaststätte mit Spielgeräten. In Wirklichkeit tritt es nach außen auf als Spielhalle und ist auch für den Kunden nur als solche erkennbar. Und diese Einrichtungen haben völlig andere Konditionen als Spielhallen. Dort können Getränke konsumiert werden, kann sogar Alkohol konsumiert werden, all das ist ja in einer regulären Spielhalle gar nicht erlaubt."
... sagt Georg Stecker vom Dachverband der Automatenwirtschaft, der die Interessen der legalen Spielotheken vertritt.
Zu den Betreibern von Spielautomaten gehört auch Vater Staat, seine Geräte stehen allerdings in den Spielbanken der Bundesländer. An diesen sogenannten "Slot-Maschinen" kann man noch mehr verlieren als an den Automaten der privaten Anbieter, weil höhere Einsätze und höhere Gewinne erlaubt sind. Das berühmteste Casino steht wohl in Baden-Baden, ein sehr altes in Bad Ems, viele sind in Kurorten angesiedelt. Auch in großen Städten wie Berlin, Hamburg oder Bremen befinden sich staatliche Glücksspielpaläste. In Bayern warten sie dagegen nicht in den großen Städten auf Kundschaft, sondern überwiegend in der Provinz.
Neun Spielbanken, die mit Roulette, Poker, Black Jack und Automaten den Spielern "magische Momente" versprechen, hat die bayerische Landesregierung eingerichtet, offiziell um seriöse, legale Glücksspielmöglichkeiten zu bieten. Nebenbei aber auch, um das Geld der Spieler in die Staatskasse zu leiten, gut dotierte Posten zu vergeben und wirtschaftsschwache Grenzregionen zu beleben. Professor Tilmann Becker, Glücksspielforscher an der Universität Hohenheim:
"Die Spielbanken haben es in den letzten Jahren zunehmend schwer, das heißt die Umsätze in den Spielbanken sind zurückgegangen. Weil auf der einen Seite das Automatenspiel in den Spielhallen attraktiver wurde, andererseits Online ist immer aktiver, Online-Casino ist einer der Bereiche der hohe Zuwachszahlen im Umsatz zeigt..."
...dazu kommen noch die Angebote in den Nachbarländern wie Tschechien und Österreich. Bayerns Spielbanken müssen also mit starker Konkurrenz zurechtkommen. Viele schreiben rote Zahlen. So ist nachvollziehbar, dass die bayerische Staatsregierung nicht daran denkt, die gefährlichen Geldspielautomaten auszumustern – die bringen nämlich das meiste Geld. Das ist problematisch, liefe es doch auf eine Ungleichbehandlung zwischen staatlichen Spielbanken und privaten Spielhallen hinaus. Die fallen nämlich seit 2012 unter das Glücksspielrecht - und sollen wegen des großen Suchtrisikos zurückgedrängt werden. Bund und Länder haben zusätzlich die Anforderungen an die Geräte hochgeschraubt und die Regeln für Spielhallen drastisch verschärft, um die Spieler besser zu schützen. Die Branche spricht von einer "Guillotine-Vorschrift", die zu einer Schrumpfung um mehr als die Hälfte führen werde. Georg Stecker, Sprecher des Automatenverbandes:
"Das mag politischer Wille sein, ich warne nur davor: Wenn man die zumacht: Das Spiel hört ja nicht auf, das Spiel ist ja ein Ur-Bedürfnis des Menschen. Die Alternative zu diesen Geldspielgeräten ist ja beispielsweise das Online-Spiel im Internet, was sich immer mehr ausbreitet, wo es praktisch keine Regulierung gibt."
Am Ausbau des Online-Spiels arbeitet die Automatenbranche freilich selbst mit. Etwa der größte Konkurrent des staatlichen Glücksspiel-Monopols, der Gauselmann-Konzern mit dem Online-Ableger Cashpoint. Zum Gauselmann-Imperium gehören auch der große Automatenhersteller Merkur und die gleichnamige Kette von Spielhallen.
Spielhallenbetreiber und Automatenhersteller haben allerdings noch Zeit, sich auf die Änderungen einzustellen und Umgehungsstrategien auszutüfteln. Denn die strengen Vorschriften für die Spielotheken greifen erst ab Mitte 2017, für die Geräte erst ab Ende 2018. Und die Branche hat bereits schweres juristisches Geschütz aufgefahren, um ihr fruchtbares Geschäftsfeld zu verteidigen:
"Wir wehren uns auch juristisch bis hin zum Bundesverfassungsgericht dagegen. Es ist auch die Frage, ob mit den gesetzlichen Maßnahmen, die da geplant sind, das erreicht wird, was man erreichen will. Hinzu kommt auch noch eine massive Ungleichbehandlung zwischen Spielbanken und Spielhallen."
... über die man sich vor Gericht streiten kann. Auch die unterschiedlichen Vorschriften der Bundesländer und die Vergabe der Genehmigungen durch die Kommunen könnten viele Ansatzpunkte für langwierige Verfahren vor Gerichten liefern. So erwartet Glücksspielforscher Tillmann Becker, dass die Kommunen ab 2017 von einer Klagewelle überschwemmt werden, wenn sie Konzessionen einziehen und Spielotheken schließen wollen:
"Dann wir werden mehrere tausend Gerichtsverfahren haben Weil natürlich jeder Spielhallenbetreiber klagen wird, wenn er sein Geschäft nicht weiter ausüben darf."
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Beim Glücksspiel geht es um Milliarden
Der FC Bayern ist nicht nur eine tolle Torfabrik, sondern auch eine erfolgreiche Werbemaschine. Auch für Sportwetten. So präsentierte der Verein in der vergangenen Saison auf der Homepage einen verführerischen Link zum Online-Casino des Glücksspielanbieters Bwin. Dort kann man dann Sportwetten abschließen. Oder pokern oder ins Casino klicken. Auch Live-Wetten sind möglich. In der laufenden Saison wirbt der FC Bayern für den Bwin-Konkurrenten Tipico. Klickt man auf den Namen, landet man in dessen Online-Wettshop. Die meisten anderen Vereine der Fußball-Bundesliga betätigen sich ebenfalls ungeniert als Türöffner für Glücksspielkonzerne, obwohl die in einer juristischen Grauzone oder gar illegal unterwegs sind. Ingo Fiedler, Glücksspielforscher an der Universität Hamburg:
"Vorher gab es das staatliche Monopol, das es auf dem Papier immer noch gibt, mit Oddset und Toto. Da ist es nicht so beliebt gewesen, weil die Auszahlungsquote sehr schlecht war: Sie setzen einen Euro ein, im Schnitt haben sie 50 Cent wieder ausbezahlt bekommen. Jetzt einfach durch die neuen technologischen Entwicklungen insbesondere im Online-Bereich können sie teilweise Auszahlungsquoten von 95 Prozent bekommen. Also kostet das für den Spieler noch ein Zehntel. Das macht es sehr viel attraktiver..."
... zu privaten Anbietern zu gehen. Dort kann man dank digitaler Technik auch jederzeit und überall wetten - Internet und Smartphone machen es möglich.
Außerdem haben private Glücksspiel-Konzerne zahlreiche Wett-Bars eingerichtet. Dort sind Sportereignisse an großen Bildschirmen live zu sehen, während des Spiels sind noch Wetten möglich. Sportbegeisterte junge Männer sind die wichtigste Zielgruppe für diese Variante des Glücksspiels. Und das Geschäft brummt offenbar. Mathias Dahms vom deutschen Sportwettverband:
"Wenn Sie nach der Größe des Marktes fragen: Da ist die letzte verfügbare Studie, die die Firma Goldmedia 2013 erstellt hat. Die sagt, dass der Online-Wettmarkt und auch der Shop-Wettmarkt etwa jeweils 2,7 Milliarden Euro an Wetteinsatz groß sind, also etwa gleich groß, und insgesamt der Wettmarkt ungefähr 5,4 Milliarden Euro groß ist."
Das sind die Umsätze, nicht die Gewinne. Die liegen noch weit unter einer Milliarde. Allerdings ist der deutsche Markt zeitweise stark gewachsen, besonders während der Fußball-WM in Brasilien, als Deutschland Weltmeister wurde. So gehört die Wettbranche zu den Zugpferden im deutschen Glücksspielmarkt. Ingo Fiedler:
"Und da haben sich eben große Anbieter herausgebildet, die zwar in Deutschland immer noch illegal operieren. Aber sich davon überhaupt nicht beeindrucken lassen, dass sie hier ein illegales Produkt anbieten. Die werben ja sogar im Fernsehen. Sie berufen sich dabei darauf, dass entweder das derzeitige Verbot europarechtswidrig sei – diese Klausel im Glücksspielstaatsvertrag – oder aber sie berufen sich darauf, dass sie ja eigentlich eine Lizenz haben müssten, die einfach nur noch nicht vergeben wurde."
Die Geschichte der Sportwett-Lizenzen ist ein komplexes deutsches Trauerspiel, das die Bundesländer auf der Bühne des Föderalismus inszeniert haben. Wir fassen die Geschichte stark vereinfacht und verkürzt zusammen:
Willkommen zum Heimspiel des FC Oddset gegen den TSV Spielverderber!
Private Sportwetten sind verboten. Der staatliche Anbieter Oddset hat ein Monopol im ganzen Land.
Erste Halbzeit: Foulspiel auf beiden Seiten
Das Trauerspiel geht weiter
Im Norden der Republik untergräbt ein kleines Bundesland das staatliche Sportwett-Monopol. Schleswig- Holstein vergibt nämlich regionale Lizenzen an private Anbieter. Außerdem bieten Zwergstaaten wie Gibraltar oder Malta Glücksspielanbietern eine Heimat mit niedrigen Steuersätzen. Deren Internet-Angebote sind aber in Deutschland verfügbar und - dank niedriger Steuerlast und hoher Gewinnausschüttung - attraktiver als die staatliche Sportwette. So laufen dem Staat die Kunden weg. Der reagiert mit einer Werbeoffensive, wird aber vom Europäischen Gerichtshof zurückgepfiffen: Foulspiel, Verstoß gegen den Spielerschutz.
Zweite Halbzeit. Neues Spiel, neues Glück!
Die Werbung für staatliche Lotterien und Sportwetten wird zurückgefahren. Die Bundesländer raufen sich dann – zunächst ohne Schleswig Holstein - zu einem neuen Glücksspielstaatsvertrag zusammen: Das staatliche Lotteriemonopol bleibt erhalten. Für Sportwetten wollen die Länder in einer siebenjährigen Testphase 20 Lizenzen an zuverlässige Anbieter vergeben. Um die Auswahl kümmert sich das Bundesland Hessen. Nordrhein-Westfalen soll darüber wachen, dass die neuen Vorschriften für Glücksspielwerbung eingehalten werden. Und Niedersachsen soll verbotenen Internetangeboten das Wasser abgraben, mit einer Zahlungssperre. Nachdem die Wähler in Schleswig Holstein die FDP aus der Landesregierung verbannen, unterschreibt auch dieses Bundesland den Staatsvertrag.
Nachspielzeit: Oddset in der Abseitsfalle
Der neue Staatsvertrag tritt im August 2012 in Kraft. Die Auswahl der 20 besten Lizenznehmer für Sportwetten nach einem Punktesystem dauert allerdings 2 Jahre. Im September 2014 gibt Hessen bekannt, das der größte Konkurrent des staatlichen Glücksspielmonopols, der Gauselmann-Konzern, mit der Tochter Cashpoint am besten abgeschnitten hat. Die staatliche Sportwette Oddset landet auf dem dritten Platz. Die Firma Tipico, die Oliver Kahn als Gallionsfigur in ihrem Werbefeldzug beschäftigt, erhält wie viele andere Bewerber keine Lizenz
Verlängerung. Spielverderber spielen auf Zeit!
Das Trauerspiel geht weiter. Die Verlierer des Auswahlverfahrens ziehen nämlich vor Gericht - mit Erfolg. Der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat die Lizenzvergabe wegen des undurchsichtigen Verfahrens vor kurzem endgültig gestoppt.
Und damit sind wir in der Gegenwart, die Neuordnung des Glücksspielmarktes hängt wieder in der Warteschleife, die Bundesländer müssen sich wohl auf neue Spielregeln verständigen. Denn auch nach Einschätzung des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof verstößt das deutsche Lizenzverfahren gegen europarechtliche Grundsätze.
Wie lange die Nachspielzeit dauern wird, ist schwer zu sagen. Solange die Rechtslage ungeklärt ist, werden die Behörden weiter darauf verzichten, gegen illegale Anbieter vorzugehen, weil sie teure Schadenersatzklagen fürchten. Der Markt für Sportwetten ist damit offen wie das sprichwörtliche Scheunentor. So schießen Sportwett-Bars wie Pilze aus dem Boden. Denn auch Sportwettkonzerne wie Tipico und Sjbet, die im hessischen Auswahlverfahren nicht zum Zug gekommen sind, vergeben massenhaft Lizenzen an Franchise-Unternehmer, die vor Ort Geschäfte aufmachen. So können die Sportwett-Konzerne rasch wachsen und den Markt erobern, ohne selbst viel Geld zu investieren. Tipico hat zum Beispiel nach Schätzungen von Fachleuten schon mehr als 900 Wettbüros eingerichtet, der Marktanteil soll bei 40 Prozent liegen:
"Das Hauptproblem ist, dass wir eine Begrenzung auf 20 Lizenzen haben. Und jetzt gibt es eben Klagen von allen, die keine Lizenz bekommen werden. Gar nicht unbedingt, weil man dann eine Lizenz haben möchte. Sondern weil der Status Quo natürlich sehr lukrativ ist. Der Status Quo ist ein völlig unregulierter, freier Markt..."
...in dem auch viele der besonders lukrativen Live-Wetten angeboten werden. Die Veranstalter befinden sich dabei in einer Grauzone. Mathias Dahms vom deutschen Sportwettverband:
"Livewetten sind erlaubnisfähig, so würde ich es mal formulieren. Und deswegen bieten das auch viele Wettanbieter an. Das hessische Innenministerium hat an einem Katalog von Livewetten gearbeitet, und den auch schon den Wettanbietern zukommen lassen, wo im Rahmen der Lizensierung dann auch viele Live-Wetten erlaubt werden sollen. Es gibt unterschiedliche Auffassungen in den einzelnen Bundesländern, welche Livewetten zukünftig erlaubt sein sollen und welche nicht erlaubt sein sollen."
Würde der Markt für Sportwetten tatsächlich reguliert, könnten viele dieser Live-Wetten auf der Strecke bleiben. Ingo Fiedler:
"Mit Live-Wetten werden allerdings 60 Prozent der Umsätze generiert. Das heißt da fällt schon mal knapp bisschen mehr als die Hälfte des Marktes weg. Das ist natürlich ziemlich ärgerlich für die Anbieter. Hinzu kommt, dass Spielerschutzmaßnahmen eingeführt werden, die ebenfalls die Einnahmen drücken. Und entsprechend sind sie jetzt froh, wenn sie unreguliert anbieten können."
Die Bundesländer kassieren kräftig mit
Außerdem ist die Chance groß, dass die Politik irgendwann doch jedem Interessenten eine Sportwett-Lizenz zubilligen wird, um den Wildwuchs bei diesem Glücksspiel zu beschneiden. Immerhin kassieren die Bundesländer trotz der undurchsichtigen Lage schon Steuern aus der Wett-Branche:
"Und hier ist laut Gesetz ein Steuersatz von 5 Prozent auf den Wetteinsatz abzuführen. Das funktioniert ganz ähnlich wie die Mehrwertsteuer, dass nämlich diese 5 Prozent dem Kunden im Laden oder auch online vom Wetteinsatz abgezogen werden, und dann nur noch 95 Prozent in die Wette gehen."
230 Millionen Euro flossen 2014 aus der Sportwettsteuer in die Kassen der Bundesländer – der Rubel rollt also trotz der juristischen Rückschläge recht ordentlich. Nur die Spieler werden nach allen Regeln der Kunst abgezockt, solange der Markt für Sportwetten ein "Spiel ohne Grenzen" bleibt. Sportwetten wirken auf den ersten Blick recht harmlos. In der simplen Variante setzt man 10 Euro auf den Sieg einer Fußballmannschaft oder eines Tennisspielers, wenn man verliert sind 10 Euro weg. Halb so schlimm, möchte man meinen. Aber es gibt auch riskantere Wetten. Und die Wett-Fans kommen in der Regel aus der jeweiligen Sportart - und überschätzen sich deswegen gern. Vor diesem Hintergrund ist auch die Werbung von Sportvereinen und Sportidolen für Sportwetten kritisch zu sehen. Doch selbst ein reicher Proficlub wie der FC Bayern will auf diese Einnahmequelle nicht verzichten, im Vorstand sitzt ein früherer Manager der Glücksspielfirma Bwin. Sogar bei Amateur-Vereinen, die ihren Mannschaftssport als Lebensschule für Jugendliche verkaufen, ist die Sensibilität für das Thema gering.
So wollte ein Klub aus Rosenheim auf den Trikots der Herrenmannschaft für die Sportwettfirma Sjbet werben. Der bayerische Fußballverband wies das zurück, weil die Firma keine Lizenz in Deutschland besitzt. Nun tragen die Rosenheimer Kicker den Namen des dazugehörigen Wett-Shop-Betreibers auf dem Trikot – der ist nämlich offiziell als Gastronom eingetragen.
Problematisch ist die Werbung für Sportwetten auch, weil die meisten Sportwett-Unternehmen auf ihren Seiten gleichzeitig Casino- und Automatenspiele anpreisen. Und dafür sind keine Lizenzen vorgesehen. Sportwetten sind damit eine Einstiegsdroge in die Welt des illegalen Glücksspiels. Tilmann Becker:
"Online-Casino-Spiele und Online-Automaten sind definitiv verboten. Nur hält sich kaum jemand daran. Weil man auf der einen Seite sehr viel Geld verdienen kann. Und auf der anderen Seite das Risiko, erwischt und bestraft zu werden, sehr gering ist. Und dann wenn man eine Strafe kriegt, diese auch sehr gering ist."
Es gibt aber eine technische Möglichkeit, verbotene Internet- Angebote auszuschalten: Deutschland könnte die Zahlungsströme blockieren. Ingo Fiedler:
"Dass ein Spieler nicht mehr so leicht bei einem Glücksspielanbieter einzahlen kann. Zum Beispiel weil Kreditkartenzahlungen nicht mehr erlaubt werden für Glücksspielanbieter. Oder eben auch andere Wege. Das ist durchaus machbar, das passiert auch an anderen Seiten der Welt, insbesondere den USA. Für Deutschland wird gerne gesagt, das sei nicht praktikabel. Das teile ich so nicht, das Argument. Es ist relativ klar, wann etwas eine Glücksspielzahlung ist und wann nicht. Beispielsweise haben die Kreditkarten einen eigenen Code dafür. Und dann ist eben klar: Das ist eine Glücksspielzahlung. Und die müssten sie einfach unterbinden. Das machen sie derzeit nicht, einfach aus dem Grund, weil das hoch lukrativ ist. Da werden nämlich Risikoprämien drauf gezahlt. Da heißt diejenigen, die die Zahlungsströme durchleiten, profitieren enorm stark davon. Da müssten man schon mit dem Strafrecht kommen, damit die das auch sein lassen."
Doch auch an diesem Punkt hapert es mit der praktischen Umsetzung, eine Zahlungssperre ist nicht in Sicht. Tilmann Becker:
"Das funktioniert nicht, weil der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte gesagt hat, dass es gewisse Datenschutzprobleme gebe. Und es wäre praktisch nicht umsetzbar. Aber da muss man sich natürlich fragen: Warum ist es in vielen anderen Ländern praktisch umsetzbar und soll in Deutschland nicht praktisch umsetzbar sein?"
Auch die Finanzbranche sitzt mit am Tisch
Die Finanzbranche sitzt übrigens nicht nur mit ihren Bezahlsystemen sozusagen "am Spieltisch", sondern sie bietet auch maßgeschneiderte Finanzwetten für Glückritter an. Ingo Fiedler:
"Finanzgeschäfte können durchaus auch süchtig machen. Zu Recht sind die allerdings nicht aufgrund dieser Suchtgefahr verboten, weil es eben viele positive Effekte hat, die wir dringend brauchen. Funktionierende Finanzmärkte sind ein Grundpfeiler unserer Wirtschaft. Gleichwohl gibt es so Teilbereiche unserer Finanzmärkte, die sich immer mehr Richtung Glücksspiel bewegen. Da ist zum Beispiel an den Derivatemarkt zu denken. Der hat durchaus seine Berechtigung. Aber in dem Moment, wo er sich vornehmlich an Privatpersonen wendet, kann man sich die Frage stellen: Brauchen Privatleute komplizierte Derivate, die sie vielleicht verstehen oder auch nicht in Anbetracht dessen, dass es eine Suchtgefahr gibt? Wo ist da der gesamtgesellschaftliche Nutzen?"
Hoeneß: "Und diese Schlossallee gibt man ja nur her, wenn man in Not ist, wenn man pleite ist, oder wenn man nicht mehr weiter weiß."
Deutschlands bekanntester Fußballmanager Uli Hoeneß hat seinen Dribbelkünstler Franck Ribery einmal stolz mit der wertvollsten Immobilie im Monopoly-Spiel verglichen, mit der Schlossallee. Später zeigte sich, dass er selber leidenschaftlich Monopoly an den Finanzmärkten gespielt hat. Und womöglich sogar süchtig war nach riskanten Spekulationen mit Glücksspielcharakter. Auch das gibt es nämlich – etwa unter der Bezeichnung "Binäre Optionen". Konrad Landgraf von der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern:
"Sie setzen zum Beispiel auf einen steigenden Rohstoffkurs, auf steigende Währungskurse oder eben auf fallende Kurse, und das geht teilweise im Dreißig-Sekunden- oder Minutentakt."
Die Anbieter solcher Finanzwetten gehen gerne am herkömmlichen Glücksspielmarkt auf Kundenfang. Denn dort ist die Trefferquote ihrer Werbung recht hoch. Ingo Fiedler:
"Die Anbieter davon bewerben das dann direkt bei denen, wo sie wissen, dass die Online- Glücksspiele machen. Das heißt, die haben sich E-Mail-Listen aufgekauft, von bestehenden Online-Glücksspielanbietern. Und dort schicken sie dann die Werbung hin, für diese binären Optionen."
Das Geschäft mit den Finanzwetten ist offenbar so interessant, dass die Branche ihr Glück sogar in Wettkneipen versuchen will.
"Das ist dann so ähnlich wie die binären Optionen, die wollen das als Automaten herausbringen. Sie sehen hier: keine Einsatzlimits, keine Umsatz- oder Vergnügungssteuer. 50 bis 120 Sekunden pro investierte Aktien, Währungen, Indizes und Rohstoffe können sie hier handeln, das Ganze eben auch in einem vom Glücksspiel nicht regulierten Markt, weil es sich ja nach ihrer Sprachregelung um Finanzprodukte handelt. Wie das dann wirklich kommen wird, ist noch unklar, und ob das überhaupt zugelassen wird, ist auch noch unklar, da beschäftigt sich gerade die BaFin damit, also die Bundesfinanzdienstleistungsaufsicht."
Das Beispiel zeigt: Die Wirtschaft entwickelt ständig neue Ideen, um Menschen zum Wetten oder Zocken zu verleiten. Spielautomaten und Spielbanken, Sportwetten und Finanzwetten, Lotterien mit riesigen Jackpots, Bingo, Poker, Black Jack und vieles mehr: Fast alle Variationen des Glücksspiels stehen mittlerweile massenhaft zur Verfügung, offline und online. Die Geldmaschine Glücksspiel läuft immer schneller, rund um die Uhr, überall.
Die Verluste der Spieler übersteigen mittlerweile 10 Milliarden Euro pro Jahr. Die Bundesländer haben bei der Kanalisierung des Glücksspiels kläglich versagt, der Markt ist offen wie nie zuvor. Weil die Landesfürsten keinen klaren Kurs zustande bringen, herrscht Rechtsunsicherheit. Derweil können private Anbieter den Markt mit legalen und illegalen Glücksspielen überschwemmen und neue Kundenkreise fürs Zocken gewinnen.
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