Westliche Technologien in Afrika

Die neuen Kolonialmächte

08:16 Minuten
In vielen kenianischen Supermärkten kann per Telefon mit Diensten wie M-Pesa von Safaricom bezahlt werden.
In vielen kenianischen Supermärkten kann per Telefon mit Diensten wie M-Pesa von Safaricom bezahlt werden. © imago / Joerg Boethling
Von Pia Behme · 20.03.2021
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Bezahlen per SMS, mit wenigen Klicks zum Kredit: Der afrikanische Kontinent ist für westliche Digital-Startups ein großer Markt. Doch die Produkte setzen oft alte Denkmuster vom "weißen Retter" fort – anstatt auf die Potentiale vor Ort einzugehen.
Kenias Digitalisierung gilt in Europa als Vorbild für den Versuch, Armut durch Technik zu besiegen. Per SMS an der Supermarktkasse bezahlen, Geld sicher zu Verwandten schicken und mit wenigen Klicks sofort einen Kredit bekommen: Finanztechnologie-Startups wie Safaricom oder Tala werden dafür gepriesen, auf diese Weise auch den Kenianern und Kenianerinnen ohne Bankkonto Zugang zum Finanzsystem zu ermöglichen. Doch die Realität sieht weniger rosig aus.
"Eine der Folgen, die wir hier sehen, vor allem in Kenia und generell in Ostafrika, ist, dass die Leute bankrottgehen. Sie haben Kredite aufgenommen, die sie nicht zurückzahlen können", sagt Abeba Birhane, die als Doktorandin am University College Dublin zu Künstlicher Intelligenz, Algorithmen und Kognition forscht.

Startups nehmen die Rolle der ehemaligen Kolonialherren ein

Birhane blickt kritisch auf die westliche FinTech-Industrie, die afrikanische Länder als Absatzmarkt entdeckt hat: "Obwohl diese Kreditmechanismen verkauft wurden als ein Weg aus der Armut, als ein Weg, Frauen ohne Konto den Zugang zu Banken zu ermöglichen, leiden diese Leute unter den Auswirkungen. Während die Startups, die fast ausschließlich von Menschen aus westlichen Ländern gegründet und geführt werden, viel Geld machen."
Birhane nennt das "algorithmische Kolonialisierung". Sie sieht in dem Vorgehen der Tech-Unternehmen Gemeinsamkeiten zum traditionellen Kolonialismus. Die Firmen nehmen dabei die Rolle der ehemaligen Kolonialmächte ein. Ihnen gemeinsam ist der Wunsch zu dominieren – durch die Kontrolle der zentralen Kommunikations- und Infrastruktur.
"Ähnlich zum traditionellen Kolonialismus ist auch hier diese ‚Wir-sind-besser‘-Mentalität: ‚Wir helfen, wir retten sie, wir sind verantwortlich, wir nehmen es in die Hand.‘ Der Unterschied besteht darin, dass die algorithmische Tech-Kolonialisierung viel subtiler ist und keine rohe Gewalt angewendet wird. Es ist viel schwieriger, die Nuancen zu erkennen", erklärt Birhane.

Nutzlose, manchmal sogar schädliche Technologie

Ein KI-Produkt, das von einem westlichen Tech-Unternehmen entwickelt wurde, ist oft nicht die passende Lösung für ein Problem in einem afrikanischen Land. Wenn es denn überhaupt ein Problem gibt.
"Weil die Fragen, die von Menschen in westlichen Ländern als brennende Fragen angesehen werden und für die sie Algorithmen entwickeln, nicht unbedingt die brennenden Fragen sind, mit denen sich verschiedene Communities in afrikanischen Ländern befassen", unterscheidet die Wissenschaftlerin. "Weil es ein anderer Kontext, eine andere Kultur, andere Menschen, eine andere Lebensweise ist. So ist die Technologie nutzlos und manchmal sogar schädlich."

Die Rhetorik des "weißen Retters" bleibt

Wie etwa die banklosen Kreditsysteme in Kenia, meint Birhane. Anstatt einen Weg aus der Geldnot zu bieten, basiert das FinTech-Geschäftsmodell auf der Ausbeutung von Armut. Wie der traditionelle Kolonialismus, profitieren auch hier reiche Einzelpersonen und Unternehmen aus dem Globalen Norden von den ärmsten Communities im Globalen Süden. Nur, dass es jetzt unter dem Deckmantel "revolutionärer Technologie" geschieht. Die Rhetorik des "weißen Retters" bleibt. Das, was es vor Ort bereits gibt, wird ignoriert.
"Es ist nicht nur eine Form von Kolonialismus. Es behindert auch Innovationen von lokalen Expertinnen und Experten. Weil westliche Technologie und ihre Infrastruktur so allgegenwärtig sind", sagt Birhane.

Künstliche Intelligenz und Roboter erscheinen ethnisch weiß

Auch die Art und Weise wie Künstliche Intelligenz dargestellt wird, trägt koloniale Strukturen in sich, erklärt Kanta Dihal von der University Cambridge. Sie leitet unter anderem das Projekt "Decolonizing AI". Egal ob Roboter, Sprachassistenten und -assistentinnen oder Filme: reale und fiktionale Darstellungen von Künstlicher Intelligenz haben in der Regel weiße Merkmale.
"Die Geschichten rund um Künstliche Intelligenz sind Zukunftsvorstellungen, in denen es kaum People of Colour gibt. Es gibt weiße Menschen, um die sich Roboter kümmern, die durch Akzente und Gesichtszüge ethnisch weiß erscheinen", erklärt die Forscherin.

Der erste Roboter mit einer Staatsbürgerschaft: eine Weiße

Die in Hongkong entwickelte Sophia ist eine menschenähnliche KI, die 2017 viele Interviews gab und die saudi-arabische Staatsbürgerschaft erhielt. Damit ist sie der erste Roboter weltweit mit einer Staatsbürgerschaft. Sie sieht aus wie eine weiße Frau. In Filmen wie Terminator oder RoboCop werden die Technologien von weißen Schauspielern und Schauspielerinnen verkörpert. Erst neuere Serien wie Westworld oder Humans haben KI-Charaktere diverser besetzt.
Auch Stockfotos, zeigen häufig Roboter in der Farbe Weiß, wenn nach Bildern für Berichte über KI gesucht wird: "Was in keiner Weise so aussieht wie das, was der Nachrichtenartikel dann tatsächlich behandelt. Also zum Beispiel FinTech, Blockchain oder Drohnen. Oder allgemeiner: Künstliche Intelligenz. Die Abkürzung für KI ist also ein kaukasisch-aussehender weißer Plastikroboter", sagt die KI-Forscherin Dihal.

Das Konzept der Intelligenz basiert auf Hierarchien

Wenn Künstliche Intelligenz also als eine weiße Person dargestellt wird, wird auch Intelligenz mit weißen Menschen assoziiert, so Dihal. Sie verweist hier auf die Kolonialgeschichte: "Das Konzept der Intelligenz wurde im 19. Jahrhundert erfunden, um Menschen abzugrenzen, indem man sie in Hierarchien aufteilte. Intelligenter zu sein bedeutete, dass jemand menschlicher war. Und das bedeutete, dass Frauen und People of Colour als weniger intelligent und daher weniger menschlich angesehen wurden. Das rechtfertigte ihre Unterordnung, das rechtfertigte ihre Ausbeutung. Sie galten als unfähig über sich selbst zu bestimmen."
Weder Abeba Birhane noch Kanta Dihal sehen das Problem in Künstlicher Intelligenz selbst. Es geht vielmehr darum, die Technologie so einzusetzen, dass nicht nur westliche Tech-Unternehmen von ihr profitieren. Dafür setzt sich auch die Organisation "Black in AI" ein, die Schwarze Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zusammenbringt, um ihre Präsenz im Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz zu stärken.

Damit anfangen, was der Kontinent bereits bietet

"Wenn der Wunsch wirklich ist, dass KI afrikanischen Ländern nützt, dann sollte der Ausgangspunkt sein, dass man dorthin geht und lernt, was es dort bereits gibt. Vielleicht brauchen die Leute das Zeug, das man entwickelt gar nicht. Oder es sind Dinge, die die Leute bereits haben", sagt die Forscherin Birhane.
2018 hat Google mit Landwirten und Landwirtinnen sowie Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in Tansania zusammengearbeitet, um zu verstehen, welche Schwierigkeiten es dort bei der Lebensmittelproduktion gibt. Ein Problem ist etwa, dass die Cassava-Pflanze anfällig für Krankheiten ist. Sie entwickelten also eine KI, die frühzeitig Krankheiten erkennen kann und die auf den Handys der Landwirten und Landwirtinnen ohne Internetzugang funktioniert.
"Man sollte mit dem anfangen, was der Kontinent bereits bieten kann. Anstatt anzunehmen, dass das nichts ist oder, dass es nur Probleme, Krankheiten und Hungersnot gibt. All diese negativen Stereotype. Man sollte damit anfangen, die zu entfernen. Es gibt positive Dinge. Es gibt Beiträge, die der Kontinent leisten kann und die er seit Jahrhunderten leistet", erklärt die Wissenschaftlerin Abeba Birhane.
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